„Gutjahr, wenn der Tag der Abrechnung kommt, wird dir das nichts nutzen, wenn dein Kadaver von einer Axt gespalten im Rinnstein liegt. Du bist auf der Liste. Laufen magst du können. Entkommen nicht! Nirgends.“
Diese erschreckenden Worte sind nur ein Beispiel für die zahlreichen Hassbotschaften, die der Moderator und Journalist Richard Gutjahr seit mehr als drei Jahren täglich erhält. Jetzt wendete er sich mit einem offenen Brief an den Intendanten des BR Ulrich Wilhelm, für den er 22 Jahre als sogenannter „fester freier Mitarbeiter“ gearbeitet hatte. In diesem Brief erzählt Gutjahr von Jahren voller Hass gegen ihn und seine Familie, und davon, wie er vom Intendanten des BR alleine gelassen wurde. Sein Brief löste eine Welle der Solidarität von Journalisten in ganz Deutschland aus, die gleiches erfahren haben, einfach, weil sie ihre Arbeit gemacht haben.
Bereits vor drei Jahren hatte sich Gutjahr an den Intendanten des BR gewandt, und um Hilfe im Umgang mit den Morddrohungen und Hassbotschaften gebeten. Seine Rechtsschutzversicherung hatte ihm gekündigt und die Prozesskosten wuchsen dem Familienvater über den Kopf. Doch anstatt einem seiner bekanntesten Reporter im Kampf gegen Neonazis und Reichsbürger zur Seite zu stehen, spielte Wilhelm die Attacken aus dem Netz herunter. Zusätzlich verbreitete er Unwahrheiten, man hätte die Prozesskosten beglichen, was keineswegs stimmte. Lediglich eine einmalige Zahlung, die weniger als einem Monatsgehalt entsprach, ließ man Gutjahr zukommen. Dieser fühlte sich alleine gelassen und kündigte zum Ende des Jahres 2019 sein Arbeitsverhältnis mit dem BR. In Gutjahrs Augen habe der Intendant nicht nur eine Verantwortung, sondern auch eine Vorbildfunktion. Ein größeres Zeichen, als die Rückendeckung des Intendanten und gleichzeitig Vorsitzenden der ARD, hätte es nicht geben können, so Gutjahr. Der vollständige Brief ist auf Gutjahrs Blog zu finden.
Rechte Aktivisten entfachten Shitstorm gegen WDR-Redakteur
Der Fall Richard Gutjahr ist nur einer von vielen, der zeigt, dass Pressefreiheit auch in unserem demokratischen Europa nicht mehr selbstverständlich ist. Immer öfter scheint es keine Unterstützung für Journalisten aus Führungsetagen zu geben. Für Aufregung sorgte in den letzten Wochen auch die Debatte um das „Umweltsau“-Video des WDR. In diesem Video war ein Kinderchor zu sehen, der den umgeschrieben Text des alten Kinderliedes „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad“ sang. Das Video war als Satire gemeint, doch die Zeile „Meine Oma ist ´ne alte Umweltsau“, löste im Internet einen ungeahnten Shitstorm aus, der so groß wurde, dass der WDR das Video kurze Zeit später löschte. In den Augen vieler Journalisten eine Fehlentscheidung und eindeutiges Zeichen, dass die großen Medien vor rechter Propaganda einknicken. Denn schnell wurde nachgewiesen, dass der Shitstorm künstlich über anonyme Twitteraccounts, überwiegend aus der rechten Szene, erzeugt wurde. Rechte Aktivisten hatten vermehrt und gezielt gegen das Video getwittert. Schon bald sahen einige Politiker die Welle als Möglichkeit ihre Bekanntheit zu steigern und äußerten sich ebenfalls zu diesem Thema. So wurde der Shitstorm aufgeblasen und führte schließlich zur Löschung des Videos.
Als wäre das nicht genug, fiel WDR-Intendant Tom Buhrow dem Redakteur des Videos in einer Radio-Sondersendung auch noch in den Rücken. Er erklärte, der Mitarbeiter sei kein Redakteur des WDR gewesen, sondern nur freier Mitarbeiter und betonte gleichzeitig, dass sein 92jähriger Vater ja gar keine Umweltsau sei. Währenddessen hatten Neonazis bereits das Haus des Redakteurs ausfindig gemacht und bedrohten ihn. Sicher hätte er sich andere Worte und etwas Unterstützung vom Intendanten gewünscht.
Ob das „Umweltsau“-Video nun Satire ist oder nicht, ob sich nun tausende Omas angegriffen fühlen oder nicht sei dahingestellt. Problematisch ist vor allem das Einknicken des WDR vor Hass aus dem Internet. Besonders weil dieser Hass aus der rechten Szene kommt und das Problem eigentlich nicht unbekannt ist. Das rechtsextreme Netzwerk „Reconquista Germanica“ beispielsweise ist dafür bekannt gezielt Journalisten anzugreifen und sie zu diffamieren. Bis sie vor kurzen ihren YouTube Kanal löschten, hatte das Netzwerk 33.000 Abonnenten. Das sind keine Unbekannten. Patrick Gensing, Leiter des Faktenfinders der Tagesschau, welche dazu dient Desinformation und Propaganda aufzudecken, hat den geballten Hasses des rechten Netzwerks bereits zu spüren bekommen. Und mit ihm viele andere.
Obwohl nachweislich nur zwei Prozent der Deutschen Twitter täglich nutzen, wird dabei vor allem das meist politisch geprägte soziale Netzwerk genutzt. In den sogenannten „Bubbles“, verstärken Menschen gleicher Ideologien sich gegenseitig mit ihren Meinungen und Kommentaren. Die Empörung findet in eben dieser „Bubble“ statt, dementsprechend ist nicht jeder Kommentarhaufen direkt ein Shitstorm. Das ist vielen Redaktionen jedoch offensichtlich nicht klar, wie die Reaktion auf das „Umweltsau“-Video zeigt. Journalisten sehen daran besonders kritisch, dass solche Aktionen gerade bei Volontären einen Eindruck hinterlassen. Die jungen Redakteure sehen, wie es läuft und trauen sich dann nicht mehr „eine Haltung“ zu zeigen. Niemand will sich gerne zum Feind machen, wenn er auf Rückendeckung nicht zählen kann. Gefährlich, denn so siegen Rechtsextreme Aktivisten langsam, aber sicher.
Die Aufgabe der freien Presse ist es, dahin zu schauen, wo es die Regierenden nicht tun
Der freie Journalismus ist ein unverzichtbarer Pfeiler unserer Demokratie, ist er in Gefahr, so auch alles andere, was wir Freiheit nennen. Darauf wies auch Philipp Welte, Vizepräsident des Verband Deutscher Zeitschriftenverleger beim Pressefreiheitsabend 2019 hin. Aktuell habe Deutschland eine der reichhaltigsten Verlagslandschaften weltweit, unter anderem zählen dazu über 300 Tageszeitungen. Trotzdem sei auch in Europa Pressefreiheit immer weniger selbstverständlich. Recht hat er, über all auf der Welt werden Journalisten immer weiter eingeschränkt oder bedroht, alleine in der Türkei sind Anfang des Jahres 2020 22 Journalisten inhaftiert. Menschenrechtlerin Amal Clooney sagte: „Die Arbeit von Journalisten ist so gefährlich wie noch nie“. Was sie nicht sagt, woran jedoch alle denken, ist der in Saudi-Arabien grausam ermordete Jamal Kashoggi. Er ist einer von vielen, die für die Pressefreiheit ihr Leben verloren. Viele Journalisten vermissen Solidarität. So schreibt auch Gutjahr in seinem Brief: „Wenn wir nicht endlich lernen, eine gemeinsame Stimme in Bezug auf Hass und Hetze gegen Journalisten und Politiker zu finden […] dürfen wir uns nicht wundern, dass unsere Gegner uns immer zwei Schritte voraus sind“.
Wie also umgehen mit Hass aus dem Netz? Rechter Hass besteht längst nicht mehr nur noch aus Kommentaren und sogenanntem „Hatespeech“. Heute erfreuen sich auch Bilder und Memes im Internet großer Bekanntheit. Wer diesen Hass schwächen möchte, muss verstehen, wie er funktioniert. Ihn entkräften funktioniert durch ironische Brechungen, satirische Überformungen oder simple Analysen. Diese zeigen eine besonders große Wirkung, denn ein reflektierter Umgang und die Zerlegung in seine Strukturen, entzieht rechtsextremem Hass die Kraft. Wenn wir uns bewusst machen, woher initiierte Shitstorms kommen und was damit erreicht werden will, können wir rechtem Hass mit Gelassenheit begegnen und unsere Welt bleibt eine freie.
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Journalists_and_photographers_Prague_2019.jpg