Vor gut einer Woche, am 3. Januar 2020, wurde der iranische Offizier und Politiker Qāsem Soleimānī in Bagdad, der irakischen Hauptstadt bei einem Raketenangriff durch eine US-Amerikanische Drohne getötet. Soleimānī war Kommandeur der Quds-Einheit, der Eliteeinheit der Iranischen Revolutionsgarden und galt als einer der wichtigsten Einflussnehmer auf die (paramilitärische) iranische Interessenverfolgung im Ausland, insbesondere im Nahen Osten.
Die Tötung sorgte auf der ganzen Welt für teils heftige Reaktionen. So stimmte beispielsweise das Irakische Parlament schon am folgenden Wochenende dafür, dass alle ausländischen Streitkräfte das Land verlassen müssen. Ein Beschluss der Regierung wird dazu noch erwartet. Dies würde auch das Ende der Anti-IS-Koalition im Irak bedeuten. In verschiedenen Operationen und Programmen werden unter anderem Irakische Streitkräfte ausgebildet. Darum hatte der Irak 2018 die NATO auch ausdrücklich gebeten. Mittlerweile haben die USA angekündigt, Teile ihres Militärs im Irak zu halten. Dies wäre jedoch völkerrechtswidrig. Auch andere NATO- und Partnerstaaten möchten ihre Streitkräfte im Irak halten. Bundesaußenminister Heiko Maas sprach sich ebenfalls für eine Fortsetzung aus. Bundeswehrsoldaten haben ihre Missionen dennoch zunächst ausgesetzt und den Irak in Richtung Kuwait und Jordanien verlassen.
Übrig bleibt zunächst einmal starke Unsicherheit darüber, wie es im Iran weitergeht. Zuletzt drohten starke Proteste immer wieder die Stabilität der Iranischen Regierung und der geistlichen Führung zu gefährden. Neben mehrmaligen Abschaltungen des Internets, kamen bei den Protesten auch mehrere Menschen ums Leben.
Durch die Eliminierung des, in der iranischen Öffentlichkeit schlussendlich wohl doch beliebten, Offiziers, erfuhr die Führung des Staates jedoch eine neue Stärkung, sehr zum Leidwesen der demokratisch orientierten Kräfte und Aktivist*innen. Somit kam der Angriff aus demokratischer Sicht zu einer echten Unzeit. Besonders Preisanhebungen wie eine Benzinpreisverdopplung sowie Misswirtschaft in Folge der harten Sanktionen, aber auch Korruption und Fehlplanungen waren Auslöser der nach Experteneinschätzungen schwersten Proteste der letzten 40 Jahren. Mehr als 100 Menschen wurden nach Angaben von Amnesty International von Polizei und paramilitärischen Kräften getötet.
Da Donald Trump den Angriff selbst anordnete, kann man von einer innenpolitischen Motivation ausgehen. Gegen Trump läuft derzeit ein Impeachment- also ein Amtsenthebungsverfahren. Der Wahlkampf für die Präsidentschaftswahl im November diesen Jahres nimmt ebenso an Aktualität und Geschwindigkeit zu. Erfahrungsgemäß haben US-Präsidenten jedoch gute Chancen auf Wiederwahl, wenn kriegerische Auseinandersetzungen geführt werden.
Sicherlich war Soleimānī als Offizier der Revolutionsgarden und der teils stark gewaltsamen Interessenverfolgung in Staaten wie Libanon, Syrien oder eben im Irak kein Anwärter auf den Friedensnobelpreis.
Trotzdem wäre es eine katastrophale Entwicklung, wenn verschiedene Mächte der Meinung sind, einfach Militärangehörige oder Politiker souveräner Staaten ohne Kriegserklärung oder unmittelbar erkennbaren Grund umbringen zu können – dies insbesondere auf fremden Territorien.
Die USA und Präsident Donald Trump zeigen einmal mehr ihre unfassbare Ignoranz für lokale Geschehnisse und politische Verhältnisse auf der anderen Seite der Welt. Es bleibt jedoch auch kein Grund, sich mit der Iranischen Führung oder dem Iranischen Staat den Soleimānī als Hardliner zweifelsohne mit repräsentiert hat, aus bloßer Ablehnung gegenüber dem US-Amerikanischen Imperialismus zu solidarisieren. Er unterdrückte jegliche politische Strömung und jede gesellschaftliche Entwicklung, die wir als positiv erachten. Seien es politische Partizipation, Meinungsfreiheit, Homosexualität oder Gleichberechtigung der Geschlechter.
Das iranische Militär reagierte schließlich am 8. Januar mit dem Angriff auf verschiedene Stützpunkte der USA im Irak mit Boden-Boden-Raketen. Dies stellte wohl die, wenn man das in so einer Situation sagen kann, bestmögliche Reaktion dar. Die Iranische Führung musste ihre Souveränität und Integrität nach außen gegenüber den USA und anderen Mächten, sowie nach innen gegenüber der eigenen Bevölkerung wahren. Der Angriff erfolgte ohne nennenswerte Schäden und Todesopfer und die USA verzichteten auf eine weitere Folgereaktion.
Doch schon wenige Stunden später kam erneut Schwung in die Ereignisse, als eine zivile Boeing 737-800 der Ukraine International Airlines, einer ukrainischen Fluggesellschaft, kurz nach dem Start in Teheran auf dem Weg nach Kiew abstürzte. Dabei kamen alle 167 Passagiere sowie die neun Crewmitglieder ums Leben. Auf iranischer Seite sprach man von einem technischen Defekt. Doch schnell verdichten sich die Beweise, die Maschine wäre von einer iranischen Rakete abgeschossen worden. Zuerst sprachen der kanadische Premierminister Justin Trudeau und der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj von einem Abschuss der Maschine. Die USA und Trump gaben sich zurückhaltend und obwohl US-Satelliten den Start zweier Boden-Luft-Raketen verzeichneten, lehnte das United States Central Command eine Stellungnahme ab.
Die Iranische Führung widersprach bis einschließlich dem 10. Januar bei einer längeren Pressekonferenz diesen Darstellungen. Es war von „psychologischer Kriegsführung“ gegen das Land die Rede. Als die Beweise sich schließlich verdichteten, gab sie dem Druck jedoch nach und der iranische Generalstab bestätigte am 11. Januar den Abschuss. Präsident Rohani und Außenminister Javad Zarif drückten ihr Bedauern aus. Wenige Stunden vor dem Start waren 15 Raketen vom iranischen Militär abgefeuert worden. Die Luftabwehr habe deshalb mit US-Amerikanischen Gegenschlägen gerechnet.
Der Abschuss sei ein Versehen gewesen, resultierend aus der sekundenschnellen Entscheidung eines Offiziers aufgrund der angespannten Lage. Man habe nach den Drohungen und Handlungen seitens der USA von einer realen Gefahr bzw. einem Angriff auf iranische Strukturen ausgehen müssen. Somit macht die iranische Regierung die USA mindestens mitverantwortlich.
Die Ukraine fordert eine vollständige Aufklärung der Ereignisse, Zugriff auf die Informationen für ihre eigenen Experten sowie Entschädigungszahlungen. Warum die Maschine zu dieser riskanten Zeit und Situation eine Starterlaubnis erhielt, bleibt weiterhin fraglich. Für die Iranische Regierung ist diese Angelegenheit vor der internationalen Gemeinschaft eine große Blamage.
Es folgten Proteste seitens der iranischen Bevölkerung und Opposition, sowohl im Internet als auch auf der Straße. Sie fühlten sich belogen und funktionalisiert. So kamen in der Heimatstadt Soleimānīs, Kerman, bei Trauerfeierlichkeiten mehr als 50 Personen in einer Massenpanik ums Leben, hunderte wurden verletzt.
Die Wut der Menschen, die vor wenigen Tagen noch die Trauerveranstaltungen und die dreitägige Staatstrauer zu Soleimānīs Tod erlebten, gründet unter anderem darin, dass die meisten der Todesopfer des Fluges PS752 Iraner*innen oder iranisch stämmig gewesen sind. Viele Menschen sehen sich, insbesondere nach der Massenpanik mit zahlreichen Todesopfern funktionalisiert. Im Staatsfernsehen liefen die Bilder Soleimānīs über Tage rauf und runter, während den vielen Opfern von Massenpanik und Absturz kaum Beachtung von staatlicher Seite geschenkt wurde. Die Proteste dauern derzeit (12. Jan.) an.
Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Qasem_Soleim_funeral_Ahvaz_2.jpg