Die Renaissance der Stadtstaaten

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Die Ursprünge der autonomen Stadt

„Wir Athener betrachten Beratungen nicht als Hindernisse auf dem Weg des Handelns, sondern wir halten sie für notwendige Voraussetzungen weisen Handelns“, soll der griechische Politiker Perikles gegen 500 vor Christus gesagt haben. Die Stadt Athen war damals unabhängig, ein Staat mit eigenen Gesetzen, einer eigenen Rechtssprechung, eigenen Bürgern, einem eigenen Heer. Der heute oft als „Antikes Griechenland“ zusammengefasste, lockere Bund aus Stadtstaaten wie Delphi, Korinth oder eben Athen wirkt heute wie aus der Zeit gefallen. Und doch könnte genau dieses Konzept der souveränen Stadt zum Erfolgsmodell der Zukunft werden — so wie es das schon einmal wurde.

Für Perikles und seine griechischen Zeitgenossen stellte die Stadt und ihr direktes Umland die perfekte Größe für eine Verwaltungseinheit dar. Die Vorteile eines Stadtstaates waren damals offensichtlich und viele von ihnen gelten auch für heutige Städte. Alle Bürger teilen sich ein ähnliches Umfeld, Politiker kennen die Lebensumstände der Bewohner genau, Informationen zwischen Behörden und Institutionen können schnell und unkompliziert weitergegeben werden und nicht zuletzt entsteht in einem Stadtstaat eine ganz eigene Kultur, die im Austausch mit anderen Städten aufblüht und der Stadt einen eigenen Charakter und damit Zusammenhalt gibt. Austausch ist dabei ein wichtiges Stichwort: Alle erfolgreichen antiken Stadtstaaten waren Meister des Handels. Die natürlich begrenzte Größe eines Stadtstaates erfordert Spezialisierungen, die gegen Güter aus anderen Städten eingetauscht werden können. Aufgrund der geografischen Struktur des Athener Hinterlandes, geprägt von steinigen Hügeln und Bergen, war die Stadt kaum in der Lage, Landwirtschaft zu betreiben. Getreide wurde deswegen beispielsweise aus Sizilien importiert und gegen Silber aus den Bergwerken Athens eingetauscht.

Mit der Bedeutung des Handels ist eine Anbindung ans Wasser das wichtigste Kriterium für einen erfolgreichen Stadtstaat. Doch ein Hafen allein sichert nicht die Existenz einer souveränen Stadt. Bündnisse untereinander stabilisieren nicht nur den Handel, sondern schützen die einzelnen Parteien auch vor Kriegen gegen andere, größere Mächte. So zerfiel das griechische Stadtstaatengebilde insbesondere durch Streitigkeiten und Kriege untereinander, bis es ein anderer ehemaliger Stadtstaat 146 vor Christus endgültig verdrängte: das Römische Reich.

Für die römischen Imperialisten stellte die griechische Polis das Gegenteil eines funktionierenden Regierungssystems dar. Feldzüge lassen sich in mikrodimensionalen Verwaltungseinheiten nicht umsetzen. Städte können sich zur Verteidigung zwar zusammenschließen, doch Eroberungen sind unter vielen kleinen Parteien nur schwer aufzuteilen und durch die geografische Entfernung, sowie eine gänzlich andere Kultur, nur schwer verwalten.

Die Blüte der Handelsbündnisse

Nachdem das Römische Reich ab dem Dritten Jahrhundert nach Christus stückweise zerfiel, enstanden im Machtvakuum des frühen Mittelalters zunehmend neue Stadtstaaten, die in ihrem Aufbau der griechischen Polis stark ähnelten. Zwar wurden sie zumeist, wie auch in allen anderen Verwaltungsformen im damaligen Europa, nicht demokratisch regiert, doch weiterhin prägten Handel und Bündnisse die neuen kleinen Großmächte. Im Mittelmeerraum florierten Städte wie Venedig, Florenz, Pisa oder Genua. Doch nicht nur im Süden des ehemaligen Römischen Reiches breiteten sich Stadtstaaten aus. Auch im mittelalterlichen Nordeuropa entwickelten sich unabhängige Städte. Und auch sie formten sich zu einem Bündnis zusammen: der Hanse. Hamburg, Bremen, Danzig, Stockholm – viele Mitglieder der Hanse stehen bis heute für Handel, Schiffahrt und Unabhängigkeit. Die Macht der Hanse breitete sich im Mittelalter schnell aus. Selbst in Städten wie London besaß die Handelsunion riesige Lagerdistrikte und sogar eigene Kirchen. Diese Einflussnahme selbst in den inneren Aufbau kontinental bedeutender Großmächte, charakterisiert die Stellung der beteiligten Handelsstädte.

Mit dem Zusammenschluss mitteleuropäischer Klein- und Königreiche zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation im Spätmittelalter, geriet die Unabhängigkeit vieler deutscher Hansestädte in Gefahr. Auch das Dänische Königreich beanspruchte gleich mehrere Hansestädte für sich, darunter auch Hamburg. 1618 fällte das deutsche Reichskammergericht nach einem seit Generationen von Richtern andauernden Prozess ein entscheidendes Urteil: Hamburg gehöre formal zum Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation, dürfe über innere Angelegenheiten aber weitesgehend weiter selbst entscheiden. Ein Status, welcher der heutigen Autonomie der Freien- und Hansestadt Hamburg nicht unähnlich ist.

Ein Konzept mit Zukunft

Die Ausbreitung moderner Nationalstaaten in Europa drängte die Stadtstaaten weitesgehend zurück. Erneut waren imperialistische Politiken und Machthunger zu stark, um das funktionierende Konzept der unabhängigen Stadt anzuerkennen. Heute existieren formal noch drei Stadtstaaten weltweit: Monaco, die Vatikanstadt und Singapur, wobei lediglich Letzterer als de facto autonom bezeichnet werden kann. Monaco steht unter der Schutzherrschaft Frankreichs und die Vatikanstadt ist existenziell von Italien, insbesondere Rom, abhängig. Ohne den religiösen Sonderstatus des katholischen Stadtstaates, wäre die Vatikanstadt heute mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Stadtteil der italienischen Hauptstadt.

Doch viele Experten prophezeihen einen erneuten Aufstieg der Stadtstaaten. Nationalstaatliche Grenzen werden in Zeiten des Internets zunehmend unbedeutend. Ob ein Unternehmen beispielsweise im selben Land beheimatet ist, wie der Kunde, spielt heutzutage kaum noch eine Rolle. Durch das Internet ist es egal geworden, ob das Ziel einer Information 100 oder 1.000 Kilometer entfernt ist. Die Bedeutung des unmittelbaren Umfelds hingegen hat sich kaum verändert. Soziale Kontakte und Freizeitmöglichkeiten müssen zwangsweise im direkten Bereich eines Bürgers liegen, damit dieser darauf zugreifen kann.

In diesem Zusammenhang lässt sich zunehmend auch das Phänomen des Lokalpatriotismus beobachten. Viele Menschen hängen emotional mehr an ihrer Stadt, als an ihrem Land. Das hat auch die Wirtschaft erkannt und richtet Werbekampangen mittlerweile häufig spezifisch auf einzelne Städte aus. Diese emotionale Unabhängigkeit zum Land könnte zukünftig auch zu einer politischen Unabhängigkeit führen. Großstädte und Metropolregionen könnten sich zu Bündnissen zusammenfügen, die nach Außen geschlossen auftreten und sich gegenseitig militärisch und diplomatisch absichern, sich nach innen aber zu einem absoluten Großteil selbst verwalten, um die Politik maximal auf sich zu optimieren. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die Europäische Union bereits heute. Sie will sogenannte Regionen, Gebiete in etwa so groß wie deutsche Bundesländer, stückweise mehr Macht zukommen lassen. So könnte sich langfristig ein mehrstufiges Bündnismodell mit einem Fokus auf teilautonome Regionen etablieren.

Ein Flickenteppich aus Stadtstaaten im 21. Jahrhundert klingt wie ein enormer Rückschritt. Doch das Modell der Hanse klänge für einen Bürger des antiken Roms vermutlich ähnlich absurd. Neue Technologien machen die Mittel- und Langstrecke zunehmend unbedeutend, im Gegensatz zur Stadt. Globalisierung und die lokale Lösungssuche bei globalen Problemen könnte ein neues Verwaltungszeitalter einläuten: Die Reinaissance der Stadtstaaten.

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