Wir und die Anderen

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Der zweite Weltkrieg ist mehr als 70 Jahre her und man könnte meinen, Themen wie nationalsozialistische und faschistische Ideologien seien heute in Deutschland kein Problem. Doch wenn man auf die aktuellen Nachrichten schaut, dann ist das Gegenteil der Fall. Erst vor kurzem musste das Kabarettstück „Betreutes Denken“ der Dresdener Herkuleskeule wegen mutmaßlich rechter Pöbelei unterbrochen werden. Eine Gruppe aus 15 Zuschauern hatte die Vorstellung mit rassistischen und verachtenden Zwischenrufen so massiv gestört, dass diese abgebrochen wurde. Als zwei der Darsteller die Täter zur Rede stellten, wurde einer von ihnen mit einem Bierglas beworfen und am Kopf verletzt. Wendet man den Blick in die Parteienlandschaft Deutschlands, stößt man auch hier auf beunruhigend viele Parallelen zum Faschismus des 20. Jahrhunderts. Die umstrittene Partei „Alternative für Deutschland“ bewegt sich, besonders mit ihrem rechten Flügel, ziemlich nah an der Grenze zur Verfassungswidrigkeit. Regelmäßig schließt die AfD Journalisten aus und auch das geflügelte Wort „Lügenpresse“, kommt uns aus NSDAP Zeiten bekannt vor. Das Patriarchat scheint von AfD-Anhängern ebenfalls gern gesehen, denn das Wort „Frauen“, kommt im Wahlprogramm der AfD nur ganze zweimal vor. Das sind nur einige Punkte aus einer langen Liste, doch ist das schon Faschismus? Um das zu verstehen, muss man auf die Anfänge des Faschismus schauen und seine Mechanismen verstehen. Verschiedenste Theorien versuchen zu erklären, warum es damals wie heute zu Phänomenen wie der faschistischen Bewegung kam.

Rechtsgerichtet und antidemokratisch

Tatsächlich gibt es keine einheitliche Definition für den Begriff Faschismus. Je nach Schwerpunkt (soziologisch, sozialökonomisch oder sozialpsychologisch) unterscheiden sich die Definitionen mehr oder weniger voneinander. Einiges haben sie jedoch gemeinsam: Faschismus ist der Oberbegriff für eine rechtsgerichtete und antidemokratische Ideologie. Im Mittelpunkt steht dabei die Verherrlichung der Nation oder Rasse und damit verbunden die Diskriminierung derer, die nicht dazu gehören. Der Faschismus tendiert dazu Männlichkeit, Jugend und Gewalt unreflektiert zu glorifizieren, und dementsprechend wird Frauen keine allzu wichtige Rolle beigemessen, außer der Rolle als Mutter und Gebährende. Das Denken in „Wir“ und „die Anderen“, führt zu einer gefühlten rassistischen Überlegenheit der eigenen Nation und der ethnischen Verfolgung „der Anderen“. Im schlimmsten Fall bis zum Völkermord.

Der Faschismus entwickelte sich bereits vor dem ersten Weltkrieg, erhielt jedoch erst 1920 in Italien Beachtung. Dort nutzte Benito Mussolini die zerrütteten innenpolitischen Verhältnisse und die Schwäche der Demokratie seines Landes aus und schwang sich auf bis zum Diktator. Er hatte sich einmal mit sozialistischen Werten identifiziert, doch hatte diese Ansichten über Bord geworfen. Seine Anhänger fand er vor allem in der Ober- und Mittelschicht, die eine sozialistische Revolution befürchteten und um ihr Kapital und ihren Besitz bangten. Der „Duce“, wie er genannt wurde, ging mit Schlägertrupps gegen die Sozialisten vor, was seinen Unterstützern sehr in die Hände spielte. Mussolini legte eine ähnliche Karriere hin, wie Adolf Hitler. Zunächst wurde er Minister, erfreute sich großer Unterstützung und wandelte seinen Schlägertrupp zur Polizei um. Durch einen Staatsstreich riss er dann die komplette Macht an sich und machte Italien zu einer Diktatur. Einige Jahr später folgte Hitler und Deutschland wurde zur zweiten Diktatur mit faschistischen Zügen.

Die Wirtschaft boomt, die Demokratie verschwindet

Ein solches faschistisches Herrschaftssystem, wie es in Deutschland und Italien an der Macht war, zeichnet sich durch einige prägnante Prinzipien aus. Zum einen der Führerkult, bei dem eine einzige Person, meist ohne real greifbare Gründe, verehrt und verherrlicht wird. Nicht umsonst wurde Hitler auch „der Mann ohne Eigenschaften genannt“. Dieser Führer hat einen Totalitaritätsanspruch, was bedeutet, dass er die komplette Macht in seiner Partei vereint. So etwas nennt man auch totalitäre Diktatur. Der Unterschied zu einer autoritären Diktatur besteht darin, dass sich ein totalitares Herrschaftssystem in alle Bereiche des gemeinsamen Lebens einmischt, mit dem Ziel einen „neuen Menschen“, entsprechend ihrer Ideologie, zu formen. Nach diesem Prinzip ist im Faschismus auch die Gesellschaft gegliedert, totalitär und hierarchisch. Trotzdem wird auf eine kooperative Wirtschaft gesetzt, weswegen es auch zu Zeiten des Nationalsozialismus wirtschaftlich recht gut lief und es zu einigen technischen Neuerungen kam. Weiterhin zeichnet sich ein faschistisches System durch die Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Kräfte, wie etwa Bildung und Medien aus. Und natürlich die Ausgrenzung aller, die nicht zur vermeintlich ethisch und moralisch überlegenen Gemeinschaft der Nation gehören.

Obwohl das System des Faschismus offensichtlich ziemlich schrecklich ist, gibt es erstaunlich viele Menschen, die diese Meinung nicht teilen und faschistische Ideen unterstützen. Warum ist das so?

Faschismus als Herrschaft des Kapitals

Der Marxismus hat sich mit dieser Frage beschäftigt und einige Theorien hervorgebracht, die eines gemeinsam haben. Sie sehen den Faschismus als Produkt des Kapitalismus. Man mag diese These mit Vorsicht betrachten, denn immerhin wollten die Marxisten den Kapitalismus stürzen, doch bei genauerem Betrachten der Faschismustheorien kommt man nicht umher, ihre Meinung nicht doch zumindest in Erwägung zu ziehen.

Stalins Sozialfaschismusthese besagt, der Faschismus liegt begründet in den verschiedenen gesellschaftlichen Klassen. Das Kleinbürgertum, was wohl heute die Mittelschicht wäre, stehe zwischen der Kapitalistenklasse und der Arbeiterklasse, den heutigen Geringverdienern. Sie fürchten sich vor der Arbeiterklasse und vor allem davor, in sie abzusteigen. Diese Angst käme nicht irgendwoher, sondern wird laut Stalin gezielt von der Kapitalistenklasse, die vom Kapitalismus so wunderbar profitiert, propagiert. Die Angst vor dem Kapital nennt Stalin „pseudo-antikapitalistisch“, denn das Kleinbürgertum sei nur augenscheinlich gegen den Kapitalismus. Tatsächlich sei die Bewegung arbeiterfeindlich und damit prokapitalistisch. Nur durch den Erhalt der Arbeiterklasse bleibe der Kapitalismus erhalten, denn er basiere auf Lohnarbeit. Damit ließe sich auch der Antisemitismus erklären, durch den sich besonders der Nationalsozialismus auszeichnet. Da Juden mit guter Wirtschaft verbunden wurden, bündelte sich der Hass auf sie. Dabei hatten die Menschen eigentlich Angst, vom Kapitalismus erdrückt im Niedriglohnsektor zu landen. Man muss hierbei jedoch bedenken, dass Stalin, genau wie Hitler, ein politischer Massenmörder war und nicht als philosophische Figur verstanden werden darf. Er regierte die Sowjetunion als Diktator und setzte seine politischen Meinungen und Ideen mit Enteignungen, Todesurteilen und Verschleppungen durch. Vor diesem Hintergrund muss auch seine Sozialfaschismustheorie kritisch hinterfragt werden.

Georgi Dimitroff vertrat beim Plenum der Kommunistischen Internationalen 1933 eine These, die der Sozialfaschismustheorie sehr ähnlich ist. Ihm nach sei der Faschismus ein Mechanismus des Kapitalismus in der Krise. Ist dieser bedroht, vollziehe sich eine Wandlung zur Diktatur, um die Kapitalverwertung aufrechtzuerhalten. 

Leo Trotzki, russischer Revolutionär und marxistischer Theoretiker, brachte das Ganze auf den Punkt. Der Faschismus zeige sich in Zeiten der Krise und manifestiere sich in Worten gegen die Großbourgeoisie und in Taten gegen die Arbeiterklasse. Mit anderen Worten, man ist sauer auf die Reichen und lässt es an den Armen aus, weil man Angst hat selbst irgendwann zu den Armen zu gehören.

Das schwache und das starke Ich

Die Frankfurter Schule sieht die marxistischen Theorien jedoch als unzureichend an. Da der Faschismus nicht vor der Arbeiterklasse halt mache, müsse der Grund in der Psychologie liegen. Diese These ist Ausgangspunkt der Theorie des autoritären Charakters. In dieser Theorie ist die Rede von einem starken und einem schwachen Ich. Während Menschen mit einem starken Ich eine hohe Selbstreflektion an den Tag legen, neigen Menschen mit schwachem Ich zu Vorurteilen. Sie wollen Teil der Autorität sein und sich gleichzeitig auch unterwerfen. Und genau hier liegt das Problem. Da man seine eigenen Autoritäten nicht hassen kann, muss der Hass gegen Autoritäten von Fremdgruppen gehen. Nur so kann man dem Paradoxon aus Autoritätsperson Sein und gleichzeitiger Unterwerfung gerecht werden. Autorität ist ein interessantes Phänomen, denn der Mensch hat gerne Macht über andere. Gleichzeitig gibt es das Bedürfnis der sozialen Zugehörigkeit, welches sich oft nur dann erfüllen lässt, wenn man sich anderen Autoritäten unterwirft. Faschismus funktioniert genau nach diesem Prinzip. Während auf der einen Seite gegen Ausländer und Frauen gehetzt wird, wird auf der anderen Seite ein Führer mit totalitärer Macht verehrt.

„Rassismus ohne Rassen“

Heute ist das Thema Faschismus so aktuell, wie nie. Einen Führerkult hat die AfD noch nicht erreicht, sollte sich der rechte Flügel jedoch abspalten und Björn Höcke zum Parteivorsitzenden wählen, dann wäre es möglicherweise soweit. Herrn Höcke darf man übrigens offiziell als Faschisten bezeichnen, das hat das Verwaltungsgericht Meiningen letztes Jahr beschlossen. Trotzdem wählen Menschen die AfD und das sind längst nicht mehr nur alte weiße Männer, wie es das Klischee vorgibt. Besonders junge Männer scheinen von der AfD angetan zu sein, ganze 21% der 18 bis 24jährigen in Sachsen wählten die AfD bei der Landtagswahl 2019. Irgendwas machen sie richtig, diese Politiker am rechten Rand der Legalität. Die AfD steht für wirtschaftliche, öffentliche und soziale Sicherheit und holt damit auch junge Menschen ab. Unsicherheit über den Arbeitsplatz und die Lebenssituation ist zwar ein normales Gefühl in diesem Lebensabschnitt, jedoch auch ein unangenehmes. Vor den verlockenden Versprechen von Sicherheit, verschwindet der Rassismus, Sexismus und Faschismus der Rechten. Tatsächlich sind sich viele Jugendliche der ausländerfeindlichen Ziele der AfD bewusst, doch sehen diese Tatsache als nicht so gravierend an.

Während die AfD ganz offen rassistisch ist, macht es die Identitäre Bewegung ganz anders. Die als rechtsextremistisch eingestufte Gruppierung vertritt das Prinzip des Ethnopluralismus. Das bedeutet so viel wie, verschiedene Kulturen sind okay, aber eben nur innerhalb ihres eigenen Staatsgebiets. „Rassismus ohne Rassen“, so wird es auch genannt, wenn im Mittelpunkt nicht die Überlegenheit, sondern die Schädlichkeit von verwischten Grenzen und die Unvereinbarkeit verschiedener Lebensweisen steht. Mittlerweile ist diese Bewegung dank massiver antifaschistischen Engagements in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.

Faschismus tritt in vielen verschiedenen Formen auf, manchmal abgeschwächt und differenziert, wie die Störer im Dresdener Kabarett, manchmal auch knallhart in Form von Björn Höcke. Vielleicht sollten wir wirklich einmal darüber nachdenken, ob der Kapitalismus noch das am besten funktionierende System ist. Sicher hat das System über viele Jahre Wohlstand geschaffen, doch es erzeugt auch soziale Ungerechtigkeit und da wo Ungerechtigkeit herrscht, entsteht der  Nährboden für Rassismus und Faschismus. Wir leben im Jahr 2020. Vielleicht sollten wir anfangen, umzudenken.

Bildquelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:PEGIDA_DEMO_DRESDEN_5_JAN_2015_16082789188.jpg

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