Eine Zerreißprobe für die Demokratie

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Was wir gerade erleben, ist für uns alle komplett neu. Geschlossene Geschäfte, leere Straßen, und zum ersten Mal seit dem zweiten Weltkrieg die Beschränkung unserer Grundrechte. Nun wird in das Recht auf die Freiheit der Person und das Recht auf Freizügigkeit eingegriffen und ein Kontaktverbot für mehr als zwei Personen erlassen, das in den Augen mancher jedoch auch nur ein freundlicherer Begriff für das so verhasste Wort „Ausgangssperre“ ist.

Es ist erstaunlich, auf wie viel Zustimmung die Verbote und Einschränkungen stoßen. Erstaunlich und gut. Gut deswegen, weil es um Menschenleben geht und erstaunlich, wo wir doch in einer Gesellschaft leben, die sich komplett querstellt, wenn es um Tempolimits auf der Autobahn gilt. Das Motto freier Bürger, freie Fahrt, scheint nicht für den Ausgang zu Fuß zu gelten. Stattdessen ist der Ton angespannt, man solle sich mal zusammenreißen und an die SupermarktkassiererInnen denken. Und dann wird abends fleißig geklatscht.

Es geht mir in keinem Fall darum, die Bedrohung durch die Corona Pandemie zu verharmlosen oder die epidemiologischen Maßnahmen anzuzweifeln. Ich habe Vertrauen in die Wissenschaftler und Politiker, die diese schwierigen Entscheidungen treffen. Dieser Kommentar dient lediglich dazu, darauf aufmerksam zu machen, dass wir immernoch in einem Rechtsstaat und einer Demokratie leben und dass wir hinschauen müssen, wenn es um etwas so Wichtiges, wie die Beschränkung unserer Grundrechte geht. Es ist wichtig, dass die Maßnahmen auf Verständnis treffen. Trotzdem steht der Schutz von Leben nicht über allem, ansonsten dürfte es auch keine Luftverschmutzung geben, keine Umweltzerstörung.

Als Grundlage für die aktuellen Beschränkungen gilt das Infektionsschutzgesetz (IfSG). Spotlight hat hier die wichtigsten Fragen rund um das Thema beantwortet. Jetzt soll dieses Gesetz verschärft werden. Durch die Änderung soll der Bundesgesundheitsminister eine „epidemische Lage nationaler Tragweite“ ausrufen dürfen, was ihm weitreichende Machtbefugnisse verschaffen würde. Unter anderem könnte Jens Spahn dann eine Meldepflicht an den Grenzen verordnen, sowie Vorgaben zur Versorgung mit Medikamenten und Schutzausrüstungen treffen. Auf den ersten Blick alles keine schlechten Sachen, doch dadurch, dass sich ein Minister kurzerhand an die Spitze der Verwaltung setzt, die eigentlich Ländersache ist, wird der Föderalismus und die Bindung der Regierung an Gesetze unterlaufen. Spahn könnte außerdem „Ausnahmen“ vom IfSG zulassen, also das Gesetz teilweise außer Kraft setzen. Wann diese „Ausnahmen“ eintreten dürfen ist im aktuellen Entwurf mehr als schwammig formuliert. Die pauschale Aussage lautet: „um die Abläufe im Gesundheitswesen und die Versorgung der Bevölkerung aufrechtzuerhalten“. Das kann praktisch alles sein.

Auch Florian Meinel, Professor für Öffentliches Recht in Würzburg sieht in der Gesetzesänderung ein Problem: „Damit schlagen wir langfristig einen ganz problematischen Weg ein.“ Es ist wichtig, dass die Regierung jetzt keine Strukturen schafft, um sich selbst zu ersetzen, wie z.B: einen Notausschuss.

Wir können durchaus sagen, dass weder Merkel, noch Spahn, aus purem Machthunger dieses Gesetz missbrauchen werden. Doch können wir uns so sicher sein, dass dem immer so ist? Und es passiert durchaus, dass die aktuelle Krisenlage von Präsidenten ausgenutzt wird. Auch in Europa. In Ungarn hat das Parlament dem Notstandsgesetz von Präsident Viktor Orbán zugestimmt. Damit darf der rechtsnationale Präsident theoretisch für unbegrenzte Zeit ohne Kontrolle des Parlaments mittels Dekreten regieren.

Die Renaissance des deutschen Blockwarts

Gerade ist die Bundesregierung dominanter denn je. Das ist typisch für Krisenzeiten, doch besonders Deutschland lebt von der Vielfalt an Exekutiven. Der Föderalismus wurde nach dem zweiten Weltkrieg aus guten Gründen ins Leben gerufen und es ist schon bedenklich, wie wenig die Länder um ihre Kompetenzen kämpfen und wie froh sie sind, wenn ihnen die Bundesregierung Entscheidungen abnimmt. Eine Zentralisierung zu diesem Zeitpunkt wäre mehr als kritisch. Bekäme der Bund beispielsweise die Einsatzkontrolle über die Polizisten der Bundesländer, dann ist das ein fragwürdiger Schritt in Richtung eines neuen autoritären Staates.

Sicher, langes Debattieren und Zögern sind nicht sehr sicherheitsversprechend. Aber wir leben in einer Demokratie, eine der größten Errungenschaften der Menschen. Sie kann lange dauern und das ist manchmal lästig, aber es ist auch ebenso wichtig. Darauf weist auch Angela Merkel hin.

„Für jemandem wie mich, für die Reise- und Bewegungsfreiheit ein schwer erkämpftes Recht waren, sind solche Einschränkungen nur in der absoluten Notwendigkeit zu rechtfertigen. Sie sollten in einer Demokratie nie leichtfertig und nur temporär beschlossen werden.“

Angela Merkel, Bundeskanzlerin

Doch die Menschen scheinen ihre Freude am Autoritarismus wiederzuentdecken. Die BILD wirft einen Blick auf Österreichs Kanzler Sebastian Kurz, der einen Hardcore Kurs gegen das Virus fährt und sagt „So einen brauchen wir!“. Merkel hingegen sei viel zu zögerlich. Aus psychologischer Sicht ist die Hinwendung zum „starken Mann“ gar nicht so überraschend. Es gibt in der Psychologie ein Phänomen, das sich „Priming“ (deutsch: Bahnung) nennt. Dabei wird die Verarbeitung eines Reizes durch eine vorherige implizite (unbewusste) Darbietung eines Stimulus gezielt beeinflusst. 1990 wurde eine Studie im Journal of Personality and Social Psychology veröffentlicht, bei der Menschen mit dem Stimulus „Angst vor dem Tod“ geprimt wurden. Anschließend waren diese Menschen empfänglicher für autoritäre Ideen. Und tatsächlich, die Reaktion der Menschen zeigt, wie gerne wir dem „starken Mann“ zujubeln wollen.

Auch die freie Presse ist vor der neuen Beschränkungsfreude nicht sicher. Nachdem die fränkische Tageszeitung zwei Kommentare veröffentlichte, wurde bemängelt, sie solle nur Fakten berichten. Dabei sind Zeitungen keine Medien zur reinen Verlautbarung. Besonders in Zeiten, in der sie Versammlungsfreiheit eingeschränkt wird, ist die Aufgabe der freien Medien besonders wichtig. Das Hamburger Abendblatt verkündete in der Ausgabe vom 30.03.20, dass sich die Leserzahl der Online Zeitung von Februar auf März verdoppelt habe. Das sind so viele Leser wie noch nie in der Geschichte des abendblatt.de. Die freien Medien übernehmen in einer Demokratie die Machtkontrolle und wenn eine Schwedische Tageszeitung schreibt: „Wir brauchen jetzt keinen Diskutierclub, sondern Führung“, dann wird damit das gesamte Prinzip der Demokratie infrage gestellt.

Jeder bloße Hinweis auf die Einschränkungen der Grundrechte gleicht einem Akt des Volksverrats.

Der Ton wird noch aggressiver, wenn es um das Kontaktverbot und damit die Beschränkung des Rechtes auf Freizügigkeit geht. Ob man sich denn nicht einmal zusammenreißen könne, man müsse doch bloß auf dem Sofa sitzen bleiben und fernsehen. Dass diese Isolation für zahlreiche Menschen eine extreme psychische Belastung darstellt, wird dabei nicht bedacht. Die Isolation kann Krankheitsbilder von Menschen mit psychischen Probleme verstärken. Der so wichtige Kontakt zu Therapeuten ist nur noch über die Webcam möglich, Hilfstelefone können nicht mehr an Beratungsstellen vermitteln. Dazu kommen Familien, die auf engstem Raum zusammenleben müssen, Familien in denen es zu Konflikteskalationen kommt. Kinder sind dann noch stärker ausgeliefert. Ein Anstieg häuslicher Gewalt gegen Kinder und Frauen ist unter Ausgangsbeschränkungen nicht zu verhindern. Wie viel Leid müssen wir in Kauf nehmen und wie viele Menschen werden wir vielleicht eben auch durch die Maßnahmen, die uns schützen sollen verlieren?

„Was jetzt gegen die Corona-Pandemie gemacht wird, ist sicherlich ad hoc richtig. Aber es fehlt uns die Übersicht darüber, was wir wie gewichten“

Christoph Möllers, Professor für Öffentliches Recht an der Humbolt-Universität zu Berlin

Noch einmal, mir geht es nicht darum die Situation, in der wir uns befinden zu verharmlosen oder die Sinnhaftigkeit der Maßnahmen anzuzweifeln. Ich möchte lediglich dazu aufrufen, dass wir hinschauen müssen, wenn es um die Einschränkung unserer Grundrechte geht, die unsere größte Errungenschaft sind. Der Staat ist nicht jemand, der uns diese Rechte gnädig gewehrt, ganz im Gegenteil, er ist dafür zuständig die Grundrechte zu gewährleisten.

Wir müssen darauf achten, dass sich niemand an die Umstände gewöhnt. Die Aussage „Not kennt kein Gebot“ gilt in einem Rechtsstaat nie. Sicher hat die Bundesregierung in kurzer Zeit viel auf die Beine gestellt und wir können uns glücklich schätzen, dass wir unser Land in einer stabilen Regierung wissen. Trotzdem braucht ein Rechtsstaat eben auch Gedanken und eine Demokratie, in der abgewägt wird, um ein Rechtsstaat zu sein. Eine Demokratie ohne Angst.

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