666 – Die Zahl des Teufels und Antichristen. Seit Jahrhunderten ranken sich Mythen und Geheimnisse um diese Zahl, bis heute taucht sie immer wieder in Verschwörungstheorien auf. Ihren Ursprung hat sie in der Johannesoffenbarung: „Hier ist die Weisheit. Wer Verständnis hat, berechne die Zahl des Tieres; denn es ist eines Menschen Zahl; und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.“ Verschwörungstheoretiker versuchen immer wieder, diese Zahl durch zum Teil komplizierter Rechnungen auf Figuren unserer aktuellen Geschichte zu beziehen. So wurde bereits Obama zum Antichrist erklärt (Barack Hussein Obama: 18 Buchstaben; 18/3=6 –> 666), kürzlich identifizierte Xavier Naidoo die Fridays for Future Bewegung als angebliche Gruppierung Satans (FFF; f=sechster Buchstabe im Alphabet –> 666).
Die Johannesoffenbarung wird dabei als Prophezeihung des Weltuntergangs ausgelegt, an deren Ende Jesus Christus ein zweites Mal wiederkehrt, den Antichrist besiegt und die Welt 1000 Jahre lang regiert, bevor die Menschheit endgültig endet, ähnlich schnell, wie sie geschaffen sein soll. Und zugegeben: Durch ihre enorm starken Verbildlichungen und Dramatisierungen ensteht dem Leser ein deutliches Bild, wie die Menschheit aus christlicher Sicht ihr Ende finden könnte. Auch seriöse Wissenschaftler setzen sich intensiv mit der Johannesoffenbarung auseinander und sie glauben, das Rätsel um die Zahl des Antichristen gelöst haben zu können.
Um die eigentliche Botschaft der Johannesoffenbarung zu verstehen, versetzen wir uns zurück in ihre Entstehungszeit um das Jahr 100. Das Römische Reich befindet sich nahezu am Höhepunkt seiner Macht und die polytheistische Religion der Römer ist weiterhin deutlich vorherrschend. In den letzten Jahren haben sich jedoch immer mehr christliche Anhänger zusammengeschlossen und gründeten kleine Gemeinden, insbesondere in Kleinasien. Der römische Kaiser kann aber keine andere Religion außer der römischen dulden, schließlich steigt er selbst in dieser nach seinem Tod zur Gottheit auf. Die Christen sind somit einer ständigen Verfolgung ausgesetzt. In dieser Zeit schreibt Johannes (nicht zu verwechseln mit dem Johannes des Johannes-Evangeliums) einen Brief an sieben christliche Gemeinden, die sich aus Furcht vor der Macht Roms im Exil befinden. Er weiß um ihre Angst, viele Christen haben vor der Macht Roms bereits kapituliert und haben zum Schein ihren christlichen Glauben aufgegeben, und möchte durch seine Briefe vor allem Hoffnung verbreiten. Johannes schreibt seine Briefe auf griechisch und chiffriert seine Botschaften so, dass sie nicht für Uneingeweihte leicht verständlich sind. Der Titel „Apokalypse“ bedeutet auf griechisch einfach „Enthüllung“ oder „Vorhersage“.
In Johannes Briefen verkündet er, ein monströses Tier mit unglaublicher Macht versuche, alle Heiligen zu töten. Zwischenzeitlich reite es auf der Hure Babylons und es unterwerfe alle Menschen, dem es begegnet. Gemeint ist mit dem Tier aber nicht eine tatsächliche Gestalt mit diversen Hörnern, sondern der Kaiser Roms. Bis heute konnte die Offenbarung des Johannes nicht genau datiert werden, deshalb kommen drei römische Kaiser infrage: Nero, Trajan und Hadrian. Sie alle verfolgten Christen rigoros und und regierten in der Zeit, in der die eigentlichen Hoffnungsbriefe verfasst wurden. Die Hure Babylons ist der wahrscheinlich deutlichste Hinweis der Johannesoffenbarung auf das Römische Reich: Unter Christen gilt die Stadt Babylon als Symbol der rein weltlichen und gottlosen Macht im Kontrast zur göttlichen Stadt Jerusalem. Als Hure Babylons ist also eine Macht gemeint, die sich nicht zum christlichen Gott bekennt und ihren Einfluss durch weltliche Mittel (wie Kriege) versucht auszubreiten.
Doch was steckt hinter der Zahl 666? Wie bereits erwähnt, wurde der Text der Johannesoffenbarung auf griechisch verfasst. Im Altgriechischen sind Zahlen und Buchstaben identisch, einer Zahl kann somit ein Buchstabe zugeordnet werden. Ein Wort als Zahl zu verschlüsseln ist dadurch einfach, anders herum lassen sich aber aus dieser Zahl unzählige Wörter ableiten. Derartige Rätsel waren damals sehr beliebt, bei Ausgrabungen in der Westtürkei fanden Archäologen an einer antiken Hauswand die Kritzelei: „Ich liebe die, deren Zahl 865 ist.“ – eine antike Version der Liebeserklärung durch ein Grafitti an einer Fassade. Theoretisch passen alle drei erwähnten römischen Kaiser mit ihrem Namen auf diese Zahl, vermutlich werden Forscher nie herausfinden können, wer von ihnen genau gemeint war. Den Adressaten der Briefe dürfte es jedoch ein leichtes gewesen sein, diese Zahl zu entschlüsseln, schließlich wussten sie genau, welcher Kaiser Rom derzeit beherrschte.
Der Kontext der Offenbarung des Johannes ging in den folgenden Jahrhunderten schnell verloren und so blieb der katholischen Kirche nichts anderes übrig, als sie wörtlich zu begreifen. Darüber zu diskutieren, warum die Kirche so einen Text überhaupt ohne jeglichen Beweis so ernst nimmt, ist müßig. In der Religion wird das Wort des Auserwählten zur Wahrheit. Johannes erwähnt in seinen Briefen häufiger, wie zeitnah seine Vorhersagen sind. Jesus (er symbolisiert in der Offenbarung die Hoffnung, die den Christen erneut wiederfahren wird) werde in naher Zukunft zurückkehren und den Antichrist besiegen. Die Kirche und damit die gesamte Gesellschaft der europäischen Frühmittelalters ging also lange Zeit lang von einem sehr baldigen Untergang der bekannten Welt aus – eine Fehlinterpretation. Dies sorgte für einen enormen Machtzuwachs der Kirche, konnte ihr aber auch gefährlich werden. Wenn Jesus nach seinem Sieg über den Antichristen ein 1000 jähriges Weltreich unter seiner Herrschaft errichtet, dann konnte die damalige katholische Kirche nicht die derzeitige Herrschaft Christi sein. Somit standen Teile der Johannesoffenbarung im eklatanten Widerspruch zum Selbstverständnis der Kirche als Vertreter Gottes Herrschaft auf Erden. Der Kirchenvater Augustinus verfolgte deshalb alle, die an einer Darstellung der 1000 jährigen Herrschaft Jesu festhielten. Tatsächlich war damit aber wohl einfach eine lange Zeit der Hoffnung gemeint, schließlich nutzen viele damals hohe Zahlen, um besondere Größe auszudrücken. Dies wurde nachträglich häufig falsch gedeutet. So schrieben römische Geschichtsschreiber bei deutlichen Niederlagen ihrer Legionäre fast immer von 30.000 gefallenen Soldaten, unabhängig davon, wie viele in der Schlacht tatsächlich ihr Leben ließen.
Obwohl in der Forschung heutzutage relativ eindeutig ist, welche Bedeutung hinter der Offenbarung des Johannes wirklich steckt, werden die Verschwörungstheorien um sie und die geheimnissvolle Zahl 666 vermutlich nicht so schnell beendet sein. Die Faszination des Textes und das Bedürfnis nach dem Wissen eines größeren Zusammenhangs sorgt dafür, dass Menschen sich immer wieder abstruse Ideen überlegen, wie sie ihr persönliches Feindbild in die Offenbarung des Johannes hineinprojezieren können. Wenn wir eines daraus lernen können, dann ist es dies: Der Kontext einer Quelle ist so entscheident, wie ihr Inhalt. Ihn zu missachten macht aus einer verschlüsselten Botschaft der Hoffnung einen biblischen Weltuntergang.