Die Psychologie hinter Riots – und warum sie weder zufällig noch geistlos sind

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But in the final analysis, a riot is the language of the unheard

Martin Luther King, 1967

In den USA herrscht der Ausnahmezustand. Tausende Menschen gehen auf die Straßen, der Präsident verschanzt sich zeitweil in seinem Bunker. Der Tod des Schwarzes George Floyd hat in den USA die größte Protestwelle seit der Ermodrung Martin Luther Kings 1968 ausgelöst. Während die meisten Proteste friedlich blieben, kam es jedoch immer wieder auch zu Gewaltausbrüchen und sogenannten Riots. Polizeiautos und -stationen wurden angezündet, Läden zerstört und geplündert. Warum breiten sich die Proteste so schnell aus und warum sind sie manchmal so gewaltvoll?

Zu versuchen, die Psychologie hinter Riots zu verstehen, bedeutet nicht sie zu rechtfertigen. Aber zu versuchen, Symptome zu behandeln, ohne ihren Grund zu verstehen, wäre schlechte Medizin, genauso wie es wäre, gegen gewaltvolle Proteste vorzugehen, ohne das darunterliegende System aus Rassismus zu addressieren. Ansonsten wird Gewalt immer nur wieder in Gewalt resultieren.

Große Protestwellen, wie wir sie gerade in den USA sehen, passieren nicht einfach so. Dafür braucht es ein auslösendes Ereignis, das zu einem Triggermoment wird. Der gewaltsame Tod von George Floyd war ein solcher Triggermoment. Es war der letzte Tropfen, der das Fass von jahrhundertelanger systematischer Diskriminierung gegen die Black Community zum Überlaufen gebracht hat.
Zunächst lokale Proteste weiten sich aus, wenn es eine geteilite Identität gibt. In diesem Fall geht es schon lange nicht mehr allein um George Floyd und Derek Chauvin, der Polizist, der auf Floyds Nacken kniete, bis dieser keine Luft mehr bekam und maßgeblich an seinem Tod Schuld ist. Es geht um das Verhältnis zwischen der Polizei und der Black Community. Eine Identität, die viele teilen. Wenn dann auch noch strukturelle Ungerechtigkeiten zugrunde liegen, steigt die Wahrscheinlichkeit für Konfrontationen.

Das Phänomen von „In-Group“ und „Out-Group“

Eine maßgebliche Rolle darin, ob und wann eine friedliche Demonstration eskaliert, spielt das Verhalten der Polizei. Gewaltvolle Proteste sind in Gebieten, in denen die lokale Gemeinschaft ein gutes Verhältnis mit der Polizei hat, sehr unwahrscheinlich. Doch Riots sind Produkte aus der Interaktion von Polizei und Gruppe.
Wenn in einer Gruppe nur ein paar Menschen die Polizei konfrontieren, beginnt eine Spannung. Eigentlich hat der Rest der Gruppe überhaupt nichts mit den Konfrontationen zu tun, die Polizei reagiert jedoch oft gegenüber der gesamten Gruppe. Wenn die eingesetzte Gewalt gegen die Gruppe als ungerecht empfunden wir, verstärkt das ein „Wir gegen die Anderen“-Denken. In der Sozialpsychologie nennt man dieses Phänomen „In-Group“ und „Out-Group“. Wir werden stärker von unserer In-Group, also der Gruppe, der wir selbst angehören, beeinflusst. Wir finden gut, was unsere In-Group gut findet und schlecht, was die Out-Group sagt. Das Phänomen basiert auf dem menschlichen Grundbedürfnis nach sozialer Zugehörigkeit und es polarisiert enorm.
Polizisten, die ein Training in Deeskalation erhalten haben, können öfter gewaltvolle Ausschreitungen vermeiden. Wichtig ist hier immer der Dialog. Wenn jedoch kein Dialog gesucht und stattdessen mit Tränengas und Gummigeschossen auf Demonstranten geschossen wird, dann führt das unweigerlich zur Eskalation.

Riots sind ein Ausdruck von Macht

In den USA wurden im Zuge der Riots Hunderte von Geschäften zerstört und geplündert. Obwohl es wie ein irrationales Chaos wirkt, ist wenig davon dem Zufall überlassen. Riots sind ein Ausdruck von Macht, besonders das Plündern im Kontext von Riots. Eine Gruppe, die jahrelang machtlos war und Ungerechtigkeit erfahren hat, wird für einen Moment machtvoller als die Polizei. Professor Clifford Stott von der Keele University, Professor für Sozialpsychologie, sagte der BBC, Riots seien hoch strukturiert und bedeutungsvoll für diejenigen, die daran teilnehmen.

Studien haben gezeigt, dass besonders Plünderungen von großen Geschäften im Zusammenhang von Ungerechtigkeit in kapitalistischen Systemen auftreteten. 1992, während der Los Angeles Riots, wurden Geschäfte, die von Minderheiten geführt wurden, gekennzeichnet, damit die Menschen diese Geschäfte unbeschädigt lassen.

Dass Riots und Plünderungen nicht ziellos sind, zeigt auch die Tatsache, dass manche Riots zu Plünderungen führen und andere nicht. In Hong Kong wurden im Zuge der Proteste 2019 beispielsweise ebenfalls Schaufenster eingeschlagen und Polizeistationen angegriffen, geplündert wurde jedoch nicht. Experten gehen davon aus, das diese Tatsache daran liegt, dass die Proteste in Hong Kong durch politische Entwicklungen entstanden sind und nicht durch Diskriminierung und soziale Ungleichheit.

In fact, when people riot, their collective behaviour is never mindless. It may often be criminal, but it is structured and coherent with meaning and conscious intent

Clifford Stott, Professor für Sozialpsychologie, Keele University

Riots können Symptome von tief sitzender Anspannung und struktureller Ungerechtigkeit sein, auf die es keine einfach Lösung gibt, genau wie es bei Polizeigewalt gegen Schwarze der Fall ist. Darunter sitzt ein System aus Rassismus und weißer Vorherrschaft, das seit jahrhunderten in den USA wächst und nie wirklich angegangen wurde. Jetzt gerade erleben wir, wie sich diese Spannungen mit voller Kraft entladen. Menschen sind wütend, sie gehen auf die Straße und sie sind laut. Millionen von Menschen aller Ethnien und jeden Alters nutzen ihre Stimme um auf das Problem von strukturellem Rassismus aufmerksam zu machen. Denn dieser Rassismus ist es, der Millionen von Menschen überall auf der Welt, besonders aber in den USA, ein Grundrecht verwehrt. Wir nennen das Menschenwürde. Ein Grundrecht, für das es sich einzustehen lohnt.

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