Wenn die Polizei zum Täter wird

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Als John H. fällt, denkt er, er wird überfallen. Der 31-jährige Pfleger aus Eimsbüttel in Hamburg mit ghanaischen Wurzeln war gerade noch mit dem Fahrrad auf dem Weg zu seinem nächsten Patienten, nun liegt er gefesselt und umringt von Männern ohne Uniform auf dem Boden. Nur langsam begreift er: Diese Männer sind Polizisten. Überfallen wurde er trotzdem. Ohne Aufforderung anzuhalten, attakierten ihn die Beamten am 18. April diesen Jahres, im Nachhinein sagen sie, anhand seines Verhaltens hätten sie ihn für einen Drogenkurier gehalten. Der tatsächliche Grund für den Angriff dürfte eher H.s dunkle Hautfarbe sein. Neben seinem Fahrrad, seinem Handy, seiner Uhr und seinem Fußknöchel, beschädigte der misslungene Polizeieinsatz vor allem John H.s Vertrauen in die Polizei. In einem „Statement“ innerhalb einer Instagram-Story sagte die Polizei Hamburg, man bedauere zwar den Vorfall, die Zivilfahnder hätten jedoch nach „bestem Wissen und Gewissen gehandelt“. Eine angemessene Entschuldigung gibt es bis heute nicht.

Zu sagen, die Polizei sei grundsätzlich rassistisch und alle Polizisten würden grundsätzlich immer racial profiling betreiben, wäre absurd und ungerecht. Die allermeisten Polizisten wollen vor allem eins: Helfen. Einige rassistische Polizisten sind aber ein wesentlich größeres Problem, als beispielsweise eine rassistische Drogerieverkäuferin oder ein rassistischer Filialleiter bei Edeka. Keineswegs möchte ich damit Alltagsrassismus herunterspielen, der für sehr viele People of Colour ein immenses Problem ist, egal ob bei der Job- oder Wohnungssuche oder einfach nur auf dem Weg zur Uni oder beim Warten in der U-Bahn. Polizisten sind aber die einzige Gruppe von Menschen, der wir tagtäglich begegnen und der wir erlauben, offen bewaffnet aufzutreten. Polizisten sind Ausdruck des Gewaltmonopols unseres Staates, im Zweifel entscheiden sie über körperliche Unversehrtheit und Freiheit. Ihnen gegenüber muss ein anderer Maßstab angelegt werden, als jeder anderen Berufsgruppe.

Die wichtigste Ressource der Polizei ist das Vertrauen der Bevölkerung. Wozu das führen kann, verdeutlicht ein Blick über den Atlantik in die Vereinigten Staaten. Die dortige Polizeigewalt insbesondere gegenüber Afroamerikanern und Latinos übersteigt alle anderen westlichen Länder. Nach den jüngsten Vorfällen, unter anderem dem gewaltsamen Tod George Floyds, geben unabhängige Organisationen Handlungsempfehlungen für Notsituationen heraus, in denen sie raten, zu überlegen, ob die Betätigung des Notrufs möglicherweise eher zu einer Eskalation der Situation führen könnte, und man stattdessen nicht lieber die Hilfe von Nachbarn oder Freunden anfordern solle. Rassismus von Seiten der Polizei schadet neben seinen direkten Opfern und der Bevölkerung also auch der Polizei selbst.

Eine ernste und transparente Auseinandersetzung mit dem Thema Rassismus wäre für die Polizei der sinnvollste Weg zum Wiederaufbau verloren gegangenen Vertrauens. Statt sich jedoch intensiv mit der Problematik zu befassen, setzen viele Polizeibehörden vor allem auf Gegenwehr. In zahlreichen Beiträgen in Sozialen Medien betonen Polizeidienststellen unterschiedlichster Städte immer wieder, Rassismus und racial profiling, also das Herauspicken von zu Kontrollierenden nach äußerlichen, ethnischen Merkmalen, fände nicht statt. Das stimmt nicht. Und Einsicht ist der erste Schritt zur Besserung.

Wozu das Ausblenden von rassistischer Polizeigewalt führen kann, verdeutlicht die Polizeiinspektion Weimar. Über Jahre belästigten mehrere Beamte eine Familie, durchsuchten grundlos ihre Wohnung, missbrauchten weibliche Familienmitglieder in ihrer eigenen Wohnung. Der immer wieder zuständige Einsatzleiter, welcher in seiner Freizeit Videos mit Titeln wie „DEUTSCHE WACHT AUF! WIR LEBEN BEREITS JETZT IN EINER DIKTATUR!“ teilt, verschickt unterdessen Fotos seiner Geschlechtsteile an Mitglieder der Familie. In einem anderen Fall nehmen Beamte der Inspektion vier junge Menschen mit Migrationshintergrund ohne Angabe von Gründen in Gewahrsam. Laut der Anwältin eines der weiblichen Opfer, werden die Eingesperrten sexuell missbraucht, sie müssen sich bis auf die Unterwäsche ausziehen, während Polizisten Onanie-Bewegungen nachäffen würden, zudem seien sie in der Zelle mit Handschellen gefesselt und anschließend getreten worden. Erst am nächsten Tag wird ihnen der Grund für die Ingewahrsamnahme offenbart: Ein angeblicher, gefährlicher Eingriff in den Straßenverkehr, sowie Sachbeschädigung. Beide Taten lagen zu diesem Zeitpunkt bereits über zwei Monate zurück und haben aller Wahrscheinlichkeit nach nichts mit den Opfern der Polizisten zu tun. Vor Gericht mussten sich die Beamten nie verantworten, eine Anklage wurde nach kurzen internen Ermittlungen nicht erstattet, obwohl offensichtliche Unstimmigkeiten in Aussagen und Protokollen der Polizisten festzustellen sind. Zudem stellten Ärtze Verletzungen bei den Opfern fest, die mit ihren Anschuldigungen übereinstimmen. Über die Vorkomnisse an der Polizeiinspektion Weimar, berichtete die taz ausführlich.

Dass die Polizei bei mögliche Taten aus den eigenen Reihen selber ermittelt, führt dazu, dass nahezu keine Anzeige in einem Gerichtsverfahren mündet. Von etwa 1.600 bis 2.000 Anzeigen gegen Polizisten (Daten werden nicht offiziell erhoben), müssen sich nur etwa zwei Prozent der Beschuldigten vor Gericht verantworten. 30 Prozent der Strafverfahren insgesamt werden Mangels Tatverdachts eingestellt, bei Polizisten beträgt diese Quote fast 90 Prozent. Bei einer (zugegeben etwas älteren) Befragung von Amnesty International aus dem Jahre 2011, gaben 60 Prozent der deutschen Polizisten an, selbst gravierende Gewaltausbrüche von Kollegen würden gar nicht erst gemeldet werden. Und selbst wenn eindeutige Fälle vor Gericht landen, sagen viele Polizisten zu Gunsten des angeklagten Beamten aus. Da das Justizsystem die Aussage von Polizisten als besonders glaubwürdig einschätzt, werden Verfahren anschließend meist eingestellt.

Um zukünftige Ermittlungen gegen Polizisten unparteiisch durchführen zu können, muss verhindert werden, dass Beamte gegen ihre direkten Kollegen arbeiten. Dazu braucht es eine unabhängige Behörde mit ähnlichen Kompetenzen und Befugnissen, wie die Polizei selber, aber räumlich, personell und rechtlich deutlich von ihr getrennt. Juristisch wäre eine solche Behörde kein Problem, doch der Widerstand von Seiten der Innenminister und Polizeigewerkschaften ist groß. Sie wollen vermutlich verhindern, dass mehr Verfahren gegen Polizisten zu einem schlechteren Image der Polizei führen. Sie tun dies zu Gunsten der Täter und auf dem Rücken der Opfer, sowie der großen Mehrheit der sauber arbeitenden Polizeibeamten.

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