Sie gehören zu den bekanntesten Helden von Millionen von Kindern. Benjamin Blümchen und Bibi Blocksberg – ein sprechender Elefant und eine Hexe aus der fiktiven Stadt Neustadt. Bis heute gibt es über 145 Folgen von Benjamin Blümchen (Erste Folge 1977) und über 134 Folgen von Bibi Blocksberg (Erste Folge 1980). Beide entstammen aus der Feder von Elfie Donnelly, die einige Jahre mit Peter Lustig, dem Autor der ZDF-Kinderserie Löwenzahn, verheiratet war. Ein Erfolgsrezept, das sich auch heute noch großer Beliebtheit erfreut. Auf Spotify hat Benjamin Blümchen über 170.000 monatliche Hörer.
Die Handlungen zentrieren sich um den antropomorphen Elefanten Benjamin, der gemeinsam mit seinem zehnjährigen menschlichen Freund Otto zahlreiche Abenteuer erlebt. Sprachbarrieren kennt Benjamin nicht. Neben der deutschen Sprache scheint er auch diverse Fremd- und Tiersprachen zu beherrschen. Benjamin lebt in einem Zoo, der vom Zoodirektor und guten Freund Theodor Tierlieb geführt wird. Dieser Zoo hat jedoch beinahe immer zu wenig Geld und Benjamin wird nicht selten eingespannt, dieses Problem zu lösen. Dann gibt es noch Karl, den Tierpfleger, über den man wenig weiß, außer dass er (so vermuten zahlreiche Fantheorien) eine Affäre mit Karla Kolumna, der rasenden Reporterin der Neustädter Zeitung hat. Erzählt wird aus der Sicht von Erwin Erzähler, der in einigen Folgen aber die sogenannte „vierte Wand“ durchbricht und direkt mit den Figuren redet, was aus Sicht eines Erwachsenen, der normale Erzählstrukturen gewöhnt ist, etwas befremdlich wirkt.
Mit dem Erfolg der Hörspiele kam im Laufe der Jahre die Frage auf, welchen Einfluss die Inhalte der Geschichten auf ihre jungen Hörer haben. Der Politologe Dr. Gerd Andreas Strohmeier von der Universität Passau schrieb darüber eine ganze Abhandlung. Und die ist wirklich spannend, denn tatsächlich gibt es in den Hörspielen zahlreiche politische Botschaften. Mal latent, mal ganz offensichtlich.
Der Prozess der Sozialisation
Zuerst müssen wir jedoch klären, warum Kindergeschichten überhaupt einen Einfluss auf die Entwicklung der Kinder nehmen können. Der Prozess, der hier zugrunde liegt, heißt Sozialisation und bedeutete so viel wie „der Prozess der Entstehung und Entwicklung der Persönlichkeit in wechselseitiger Abhängigkeit von der gesellschaftlich vermittelten sozialen und materiellen Umwelt“ (Dieter Geulen/Klaus Hurrelmann, In: Handbuch der Sozialisationsforschung). In anderen Worten: Kinder setzen sich mit ihrer Umwelt auseinander und bilden daraufhin ihre eigene Meinung. Die politische Sozialisation ist eine Teildimension und führt dazu, dass Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene politische Orientierungen und Normen erwerben. Akteure, die diese Prozesse vorantreiben, nennt man Sozialisationsinstanzen. Das können zum Beispiel die Eltern oder Lehrer sein, aber auch Literatur und eben Kinderhörspiele, denn auch hier werden gesellschaftliche Normen, Werte und Verhaltensweisen vermittelt. Vor allem Kinderhörspiele haben aus verschiedenen Gründen ein besonders großes Sozialisationspotenzial. Zum einen werden Problematiken überwiegend Schwarz-Weiß dargestellt und unterstützen damit Pauschalisierungen, zum anderen dienen Hörspielhelden der Identifikation und werden liebend gern von Kindern imitiert. Außerdem wurde bewiesen, dass vor allem auditive Medien aus entwicklungspsychologischen Gründen einen großen Einfluss auf die Bildung von Kindern haben.
Was hat das jetzt alles mit unseren Kindheitshelden zu tun?
In den Geschichten von Benjamin und Bibi wird sehr oft ein politischer Bezug hergestellt. Bestimmte politische Inhalten werden immer wieder thematisiert und von Benjamin, Bibi und ihren Freunden vertreten. Dabei sind die politischen Positionen ziemlich eindeutig einem politischen Spektrum zuzuordnen. Doch beginnen wir von vorne. Vor allem fallen zwei Dinge auf. Benjamin und Bibi stehen immer auf der Seite der Gerechtigkeit und vertreten das „Gemeinwohl“, während andere Institutionen, wie Staat und Wirtschaft als inkompetent und korrput dargestellt werden.
Die Politik, bzw. der Staat wird durch den Bürgermeister repärsentiert, der in den meisten Folgen nicht einmal einen Namen hat. Er ist nicht besonders hilfsbereit und daher bei den Neustädtern auch nicht wirklich beliebt. Besonders der arme Zoo kommt bei ihm nicht gut weg. Lieber plant er unnötige und vor allem kostspielige Dinge, von denen eher die profitgierige Wirtschaft einen Vorteil hat – oder er selbst. So möchte er beispielsweise durch den Neustädter Wald eine Verbindungsstraße bauen, damit er seine Tante schneller erreichen kann, Bäume fällen, um eine vierspurige Schnellstraße zu errichten und Eisenbahnstrecken stilllegen. Auch für seine privaten Vergnügen schöpft er nicht selten aus der Staatskasse. Seine Mitarbeiter behandelt er grundsätzlich unfreundlich und unmenschlich. Seinem Sekretär verbietet er nicht selten mit den Worten: „Schweigen Sie, Pichler“ den Mund. Er ist selbst im Vergleich zu Kindern ungebildet, unfähig, und ungeschickt. Alles in allem ist er ein korruptes Arschloch.
Auch die Polizei hat ein tendienziell negatives Image. Die Polizisten sind in den Geschichten schwer von Begriff und treten wie Soldaten auf, die blind Befehlen folgen. Sie sind leicht für dumm zu verkaufen und werden ebenso lächerlich dargestellt, wie der Bürgermeister, zum Beispiel, wenn der Polizeipräsident ans Telefon geht: „“Hier das Polizidium, äh äh äh äh, Präsidalpolizium, na egal, hier spricht der Polizeipolizent persönlich, na ich bin’s.“
Die Medien werden durch die rasende Reporterin Karla Kolumna dargestellt, die grundsätzlich auf der Seite von Benjamin und Bibi steht, allerdings ein offensichtliches Problem mit Sensationsgier hat. So geht es ihr fast immer nur darum, eine große Schlagzeile für die nächste Ausgabe der Zeitung zu finden und schreckt dabei auch nicht davor zurück, maßlos zu übertreiben oder sich über drohende Katastrophen zu freuen. Letztendlich gehört Karla Kolumna jedoch zu den „Guten“. Sie gibt der Presse ein starkes Gesicht und setzt sich ebenso wie Benjamin und Bibi für das „Gemeinwohl“ ein.
Die Wirtschaft wird zwar verhältnismäßig selten thematisiert, hat jedoch eines der besten Zitate aller Geschichten überhaupt: „Ein Sparbuch zu haben, ist der erste Schritt zur Menschwerdung.“ (Folge 40) Diesen tollen Satz sagt Herr Schmeichler, dessen Name genauso wie der von Ulrich Umsatz, Programm ist. Herr Schmeichler ist ständig dabei Benjamin irgendwelche Produkte zu verkaufen (z.B. in Folge 40 Badeseife, Frotté-Handtücher und ein Deodorant). Er schreckt nicht davor zurückt zu betrügen und andere Auszunutzen, jeder Weg, an sehr viel Geld zu kommen, ist ihm Recht.
Die verschiedenen Einstellungen der Protagonisten führt natürlich zu Spannungen in der Geschichte, die fast alle auf dem gleichen Weg gelöst werden. Benjamin und Bibi verbünden sich mit Karla Kolumna, die dann gemeinsam die Bürgerinnen und Bürger gegen den Bürgermeister und die instrumentalisierte Polizei aufrütteln. Dadurch zwingen sie die Entscheidungsträger zum Handeln. Nicht selten wird dabei aufgrund des großen Drucks auf langwierige demokratische Entscheidungen geschissen. Vor allem die Umweltpolitik hat einen großen Stellenwert, was spätestens in der Folge deutlich wird, in der Benjamin das Amt des Bürgermeisters übernimmt und in wenigen Tagen beinahe ausschließlich mit ökologischen Maßnahmen radikale Veränderungen herbeiführt. Zum Beispiel verhängt er ein generelles Tempolimit von 30 km/h und ersetzt den Dienstwagen des Bürgermeisters durch ein Dienstfahrrad.
Neben der Umweltpolitik geht es auch um Pazifismus zum Beispiel mit Benjamins Aussage: „Wenn alle nein zum Krieg sagen würden, dann gäb’s keine Kriege“. Ein geerbtes Schloss stellt Benjaming Arbeitslosen kostenlos zur Verfügung. Als Bibi für einen anderen Mitschüler Geld sammeln will, damit der sich die Klassenfahrt leisten kann, sagt der Bürgermeister nur, dass „sich nicht jeder alles leisten [kann]“ und er in diesem Jahr auch „nur“ viermal in die Karibik fliegen konnte.
Kurzum es gibt eine sehr klare Aufteilung zwischen den „guten“ und den „schlechten“ Entscheidungen, wobei die „Guten“ mehr als deutlich dem linken Spektrum zugeordnet werden. Benjamin und Bibi vertreten Werte, die vor allem postmaterialistisch, pazifistisch, antikapitalistisch, antiautoritär und tendenziell anarchisch sind.
Nun kann man sich fragen, warum Problematiken und Lösungsstrategien, die wir als Kinder als selbstverständlich „gut“ erachtet haben, heute so selten Teil von wirklichen politischen Entscheidungen sind. Besonders der Umweltschutz und die Unterstützung sozial benachteiligter Schichten sind große Diskussionsthemen. Kinder sehen es als selbstverständlich an, dass den Schwächeren geholfen wird, dass man keine Bäume abholzt, um Schnellstraßen zu bauen, die niemand braucht und dass man besser in Spielplätze investieren sollte. Manche sagen, die Gesellschaftbilder bei Benjamin und Bibi sind nicht per se „links“ sondern vielmehr einfach humanistisch. Vielleicht ist die Antwort darauf, dass wir leider nicht in einem Hörspiel leben, in dem es sprechende Elefanten und kleine Hexen gibt. Unsere Welt ist vielschichtiger, komplexer und komplizierter. In unserer Welt gibt es nicht nur Schwarz und Weiß. Trotzdem hilft es jedem von uns, ab und zu einmal einen Schritt zurückzumachen und sich daran zurück zu erinnern, wie es war, ein Kind zu sein und welche Träume wir für unsere Welt einmal hatten.