Politik in Rekordzeit: Unsere letzte Hoffnung?

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2040: Wie zu erwarten hat die Menschheit ihr selbstgestecktes Ziel von einer Erderwärmung von weniger als 1,5 Grad Celsius gegenüber der vorindustriellen Zeit verpasst. Mittlerweile sind die Konsequenzen des Klimawandels global zu spüren: Ganze Landstriche sind nach Naturkatastrophen unbewohnbar, insbesondere aus Südost-Asien und Afrika fliehen Millionen von Menschen, lange Dürreperioden belasten vor allem den australischen und den afrikanischen Kontinent, Dutzende pazifische Inseln sind im Meer versunken, Nahrung ist selbst in westlichen Industrienationen zu einem knappen Gut geworden und ein globaler Kampf um die letzten strategischen Ressourcen ist ausgebrochen.

Dieses Horrorszenario klingt wie die Grundlage einer neuen Netflixserie, doch laut Klimaforschern könnten die Auswirkungen des Klimawandels deutlich früher und deutlich drastischer auftreten, als bisher geglaubt. Längst geht es nicht mehr nur um einen traurigen Eisbären, der alleine auf einer langsam schmelzenden Scholle durch die Überreste der Arktis treibt. Der Klimawandel, da sind sich nahezu alle Forscher einig, ist die größte Gefahr für die Menschheit in ihrer gesamten Geschichte.

Vielen Menschen ist das bewusst, handeln tun sie dennoch nicht. Die meisten Maßnahmen, die nach Außen Umweltbewusstsein symbolisieren sollen, symbolisieren eben nur. Wie schön, dass McDonalds nun Papp- statt Plastikstrohhalme anbietet, die dadurch ausgelöste Verbesserung der Klimabilanz des Fast-Food Giganten dürfte dabei mikroskopisch klein ausfallen. Ein erster Schritt in Richtung einer echten Bekämpfung des Klimawandels, könnte deshalb eine Umstrukturierung des Framings sein, in dem der Klimawandel diskutiert wird. Statt verhältnismäßig umweltfreundliche Produkte mit Utopiedarstellungen von blühenden Wiesen und klaren Bächen zu bewerben, verdeutlichen dystopische Abschreckbilder viel besser, in welcher Situation wir uns befinden. Es geht eben nicht darum, morgen für eine bessere Welt zu sorgen, sondern darum, dass unsere Welt morgen nicht stirbt.

Versicherheitlichung (engl.: Securitization) wird ein politikwissenschaftliches Konzept genannt, welches erstmals 1998 von Anhängern der Kopenhagener Schule, eine Gruppe von sprach- und politikwissenschaftlichen Theoretikern, beschrieben wurde. Sie beobachteten, dass vor allem die Themen öffentlich diskutiert und von der Politik bearbeitet werden, die die Sicherheit von Menschen beeinflussen oder die in einem Rahmen behandelt werden, als würden sie es das tun. Nicht nur rücken diese Angelegenheiten so in den Fokus der Gesellschaft, die Bevölkerung ist auch überdurchschnittlich bereit, persönliche Einschränkungen hinzunehmen, um diese Probleme vermeintlich zu lösen. Der Mensch ist schließlich ein egoistisches Herdentier, viele grundsätzliche Probleme interessieren ihn nicht, bis sie zu einer persönlichen Bedrohung werden. Das Phänomen der Versicherheitlichung wird von der Kopenhagener Schule nicht bewertet, sondern nur aufgezeigt. Versicherheitlichung kann dazu führen, dass tatsächliche Probleme schnell gelöst werden, sie kann aber auch missbraucht werden. Beispiele dafür gibt es zahlreich in der Geschichte, nicht selten basieren die jeweiligen Argumente dazu auf gefährlichen Lügen. Rückblickend fußt beispielsweise der Antisemitismus der NS-Ideologie auf Versicherheitlichung. Hitler und seine Komplizen schafften es durch gezielte Lügen, Pseudowissenschaften und dreisten Behauptungen ein Bild von Juden als Bedrohung für die Sicherheit des „Deutschen Volkes“ zu erzeugen. Die Folge war die industrielle Ermordung von mindestens sechs Milionen Juden und damit das vermutlich größte Verbrechen der Geschichte.

Auch heute lässt sich der Missbrauch von Versicherheitlichung ständig beobachten. Als Ende 2019 die ersten Berichte eines neuen, möglicherweise extrem bedrohlichen Virus in der chinesischen Provinz Wuhan öffentlich wurden, waren die Reaktionen der Regierung in Peking zunächst vor allem beschwichtigend. Die Fallzahlen seien sehr gering, insgesamt sei die Bedrohung durch den neuen Coronavirus überschaubar. Als dann jedoch deutlich wurde, dass dieses Virus infektiöser und tödlicher ist, als bisher vermutet, erkannte die Führung der sogenannten Kommunistischen Partei offensichtlich das Potential dieser Pandemie. Schlagartig änderte sich der Tonfall. Xi Jinping, der Staatschef Chinas, erklärte Corona nun offiziell den Krieg. Ärzte und Pfleger wurden in der nationalen Propaganda ähnlich dargestellt, wie zuvor die Soldaten der sogenannten Volksbefreiungsarmee, die die Macht der Partei nach dem chinesischen Bürgerkrieg bis 1949 etablierten. Mit dem Framing eines Krieges wurde der Kampf gegen Corona so von einer Gesundheitskrise zu einer Krise der inneren Sicherheit. Dies erlaubte der Staatsführung den Einsatz von weitaus drastischeren Mitteln und die Erprobung von moderner Überwachungstechnologie. Heute patroullieren Drohnen in den Straßen Chinas, fortschrittliche Gesichtserkennung erlaubt die Identifizierung von Bürgern, die sich während der Ausgangssperren im Freien aufhalten. In besonders vom Virus betroffenen Regionen, überwachen zwangsinstallierte Apps jede Bewegung, aller Wahrscheinlichkeit nach ein Pilotprojekt, dass die massenhafte Kontrolle der Bevölkerung austesten soll. Beobachter gehen davon aus, dass diese Überwachungsprojekte mit einem Ende der Pandemie nicht eingestellt werden.

Versicherheitlichung kann also missbraucht werden, um Ziele abseits des eigentlich versicherheitlichten Themas umzusetzen. Das bedeutet aber eben nicht, dass das Konzept grundsätzlich schlecht ist. Auch in Deutschland fand eine Versicherheitlichung des Coronavirus statt. Informationskampangen der Bundesregierung wiesen darauf hin, dass eine flächendeckende Ausbreitung des Virus durchaus zu einer Gefahr für die nationale Sicherheit werden kann. Gibt es zu viele Infizierte, wird das Gesundheitssystem überfordert, die Wirtschaft bricht zusammen, Lieferketten werden unterbrochen, die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Produkten wäre gefährdet. In diesem Fall hat Versicherheitlichung dafür gesorgt, dass Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus von einem absoluten Großteil der Bevölkerung annerkannt und umgesetzt werden. Dazu gehören Kontaktbeschränkungen oder die Corona-Warn App, die aufgrund ihres Aufbaus nicht für eine Überwachung der Bürger geeignet ist.

Auch im Kontext des Umweltschutzes konnte Versicherheitlichung für einige große Erfolge sorgen. Nachdem durch die Fukushimakrise deutlich wurde, welche Gefahr Atomkraftwerke darstellen, beschloss die deutsche Bundesregierung die Energiewende und damit den Ausstieg aus der Atomkraft bis 2022. Auch die Anhänger der globalen Fridays for Future Bewegung haben erkannt, dass Versicherheitlichung der effizienteste Weg ist, um Umweltinteressen einer größeren Öffentlichkeit zuzuführen und so schneller handeln zu können. Letztendlich bedeutet Versicherheitlichung Politik in Rekordzeit, positiv wie negativ. Sie könnte unsere letzte Chance sein, um endlich wirkungsvolle Maßnahmen im Kampf gegen uns selbst durchzusetzen. Dabei sollten wir nicht aus den Augen verlieren, zu welchen Zwecken Versicherheitlichung missbraucht werden kann.

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