„Equal Justice under Law“ – die Worte über dem Eingang zum Sitz des Supreme Court in Washington DC wirken im vom Trump regierten Amerika wie ein Versprechen aus vergangenen Zeiten, nicht wie der Anspruch, den der vermeintliche Demkratievorreiter an sich selbst stellt. Rassistische Polizisten, die straffrei morden, bewaffnete Bürgerwehren, die Minderheiten einschüchtern oder ein Präsident, der sein Land Stück für Stück in eine auf ihn zugeschnittene Diktatur umbaut – die Meldungen, die seit Monaten aus den USA kommen sind so düster wie unüberraschend. Nun hat sich Ruth Bader Ginsburg, Richterin am Supreme Court, aus dem Leben verabschiedet. Mit ihr könnte die Demokratie ihres Landes sterben.
Der Supreme Court ist die oberste Instanz im Rechtssystem der Vereinigten Staaten von Amerika. Ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht in Deutschland kann der Supreme Court Gesetze außer Kraft setzen, wenn sie gegen die Verfassung verstoßen und bearbeitet Berufungsverfahren, die zuvor in einem niedrigeren Gericht behandelt wurden. Während Verfassungsrichter in Deutschland aber ein äußerst geringer Interpretationsspielraum gelassen wird, wenn sie Gesetze mit dem Grundgesetz abgleichen, spielen persönliche Meinungen und Ansichten im Supreme Court eine wesentlich größere Rolle. Es ist also wesentlich, wer die neun Sitze des Supreme Court besetzt. Zusätzlich entscheidet das Gericht über das weitere Verfahren, wenn wichtige Wahlen, unter anderem auch die zum Präsidenten, unter dem Vorwurf stehen, manipuliert worden zu sein.
Ernannt werden die Mitglieder des Obersten Gerichtshofs durch den Präsidenten mit Absegnung des Senats. Die Verfassung der Vereinigten Staaten sieht vor, dass die Richter so lange im Amt bleiben, wie sie „good behavior“, also gutes Verhalten, zeigen. Wie genau „gutes Verhalten“ aussieht, wird von der Verfassung nicht weiter definiert und so werden Richter des Supreme Court faktisch auf Lebenszeit ernannt. Nur vereinzelt ziehen sich Mitglieder freiwillig aufgrund von gesundheitlichen Problemen zurück. In aller Regel werden Richterstühle also erst dann neu besetzt, wenn einer der Richter verstirbt. Damit der Supreme Court möglichst neutral bleibt, gelten für die Besetzung neuer Richter zwei informelle Regeln: Der oder die Nominierte sollte nicht eindeutig einer Partei zuzuordnen sein und sollte ein Richter kurz vor der Wahl des Präsidenten versterben, soll der Posten erst im darauffolgenden Jahr von dem neugewählten Präsidenten vergeben werden. Als der Supreme Court Richter Antonin Scalia im Februar 2016 starb, stellte der damalige Präsident Barack Obama zwar einen Kandidaten auf, zog die Kandidatur aber kurz darauf nach Kritik republikanischer Politiker um den Senator Mitch McConnell wieder zurück. Ein Jahr später nominierte Präsident Donald Trump dann Neil Gorsuch für den Supreme Court, der Senat bestätigte dies. 2018 verkündete Richter Anthony Kennedy seinen gesundheitsbedingten Rücktritt vom Obersten Gerichtshof. Erneut konnte Trump einen Kandidaten nominieren und entschied sich für den äußerst umstrittenen Brett Kavanaugh. Kavanaugh wird unter anderem vorgeworfen, in seiner Studienzeit mehrere Vergewaltigungen begangen zu haben, außerdem soll er ein problematisches Verhältnis zu Alkohol haben und zeigte sich während einer Anhörung außerordentlich emotional, beispielsweise, als er minutenlang in Tränen ausbrach, während er von Weihnachtsfeiern mit seinem Vater erzählte, dieser aber bei der Anhörung nur wenige Meter von ihm lebendig auf einer Bank saß. Dennoch wurde auch Kavanaugh vom Senat als Richter bestätigt.
Richterin Ruth Barder Ginsburg starb am 18. September 2020 im Alter von 87 Jahren an Krebs. Während ihrer 27-jährigen Amtszeit entwickelte sich die als besonders progressiv geltende Ginsburg zu einem wichtigen Symbol für Frauenrechte und die LGBTQI-Community. Sie trug unter anderem entscheident dazu bei, dass 2015 die gleichgeschlechtliche Ehe in den Vereinigten Staaten legalisiert wurde.
Der Tod Ginsburgs könnte nun fatal für die amerikanische Demokratie werden. Während Senator Mitch McConnell vor vier Jahren noch forderte, man müssen die Nominierung eines neuen Richters in einem Wahljahr verschieben, hat sich seine Meinung nun offensichtlich angesichts eines republikanischen Präsidenten im Weißen Haus geändert. Für ihn und die meisten anderen Anhänger der Partei kann die Neubesetzung nun nicht schnell genug gehen, für Donald Trump hätte der Zeitpunkt kaum besser sein können. Gelingt es ihm, einen konservativen Richter in den Supreme Court zu bringen, hätte er auch Dank seiner vorherigen Besetzungen den Obersten Gerichtshof entscheidend aus dem Gleichgewicht gebracht. Dann gälten sechs Richter als konservativ-rechts und nur drei als gemäßigt-links.
Dies wäre aus mehreren Gründen äußerst kritisch für die amerikanische Demokratie. Donald Trump hat bereits angekündigt, das Wahlergebnis der Präsidentschaftswahlen im November nicht anzuerkennen, sollte er verlieren. Dann würde der Supreme Court über das weitere Vorgehen entscheiden. Zudem setzt der Supreme Court Präsidialdekrete außer Kraft, wenn sie gegen die Verfassung oder Bundesgesetze verstoßen. Ein von Trumpanhängern kontrollierter Gerichtshof wäre ihm vermutlich wohlgesonnener und könnte ihn in einer potentiellen zweiten Amtszeit auch dann gewähren lassen, wenn er das Land weiter entdemokratisiert. So könnte ein Trumkandidat im Supreme Court zum Zünglein an der Waage der amerikanischen Judikative und damit der gesamten Gewaltenteilung werden.
Tatsächlich hat Donald Trump bereits eine Woche nach dem Tod Ginsburgs eine Kandidatin für den frei gewordenen Richterstuhl vorgschlagen. Amy Coney Barrett gilt als extrem konservativ und ist erst 48 Jahre alt, äußerst jung für eine Ernennung auf Lebenszeit. Sie fordert eine weitere Ausweitung des Waffenrechts, Abtreibungen bezeichnete sie als „immer unmoralisch“ (auch im Fall einer vorangegangenen Vergewaltigung) und auch beim Thema Migration nimmt sie eine protektionistische Haltung ein. Barrett gehört zudem der erz-konservativen religiösen Gemeinschaft „People of Praise“ an, eine mehrheitlich katholische Gruppe, die einen Gehorsamseid auf ihre Anführer ablegen und unter anderem den Mann als unmissverständliches Familienoberhaupt ansehen.
Donald Trump wird mit der Nominierung Barretts aller Wahrscheinlichkeit nach Erfolg haben. Der Senat, der der Ernennung zustimmen muss ist mehrheitlich republikanisch und prominente Republikaner haben Trump bereits ihre Unterstützung zugesagt. Ob ein konservativer Supreme Court jedoch Trump im Falle einer Wahlniederlage unterstützen wird, dürfte fraglich sein. Die meisten Richter des Gerichtshofes wurden schließlich vor Trumps Amtszeit ernannt und könnten dies als verfassungsfeindlich anerkennen. Sicher ist das jedoch nicht. Dennoch würde die Ernennung Barretts einen deutlichen Rechtsruck der US-amerikanischen Judikative kennzeichnen. Viele Errungenschaften von Ruth Barder Ginsburg wären damit vernichtet.
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