Die Macht des Wortes

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Politische Kommunikation ist so alt wie die Politik selbst. Vom Stammesfürstentum der frühen Zivilisation bis zum modernen Nationalstaat des 21. Jahrhunderts war es ein weiter Weg, doch ein Prinzip hat sich in der Geschichte der Menschheit nicht verändert: Macht braucht Legitimation. Im Laufe der Jahrtausende hat die Begründung des Machtanspruches unterschiedlichste Formen angenommen. Ob ein gewonnener Krieg, die Gnade eines oder mehrerer Götter, die eigene Göttlichkeit oder die meisten Stimmen in einer demokratischen Wahl – Legitimation muss kommuniziert werden, um ihre Macht zu entfalten. Die Kommunikation wandelt sich dabei mit der Geschichte – von Schriftzeichen in Stein bis zu Twittereskapaden eines US-Präsidenten. Ist das schon Propaganda?

Xerxes I. war vielleicht der mächtigste Mann seiner Zeit. Von 486 bis 465 v. Chr. regierte er als Großkönig das Achämenidische Reich, welches sich vom Gebiet des heutigen Afghanistans bis nach Ägypten, vom Irak bis in die Türkei erstreckte. Wenige Jahrzehnte vor Xerxes Machtantritt konnte Kyros II. sogar weite Teile des heutigen Griechenlandes, Pakistans und Zentralasiens für das Großreich einnehmen. Xerxes regierte somit nicht nur über ein Reich von enormer Fläche, er herrschte auch über eine Vielzahl unterschiedlicher Kulturen. Nachdem er in Ägypten Aufstände bereits militärisch niederschlagen musste, ein enormes Unterfangen, bedenkt man beispielsweise die vieltägigen Botenstrecken zwischen Ägypten und Xerxes Palast in Persepolis im heutigen Iran, erkannte er, dass es wesentlich effizienter sei, innenpolitische Stabilität aus Überzeugung der Untertanen zu erzeugen, als ständig Aufstände gewaltsam zu beenden.

So ließ Xerxes in den entlegendsten Teilen seiner Reiches riesige Keilschrifttexte in Berge und Felsen meißeln. Der bekannteste von ihnen wurde in Van im Osten der heutigen Türkei in den Fels gehauen. In 27 meterlangen Zeilen, die bis heute nahezu perfekt erhalten sind, berichtet der Text von Ahuramazda, dem Gott, der den Himmel, das Land und die Menschen erschaffen, und Xerxes als König der Könige auserkohren habe, der als einziger Herrscher über alles Land walten solle. Ein Gottesgnadentum. Später kommt der König in direkter Rede sogar selbst zu Wort: Er stellt sich vor, wiederholt seinen allumfassenden Machtanspruch und bittet um die weitere Gunst der Götter.

Xerxes legitimiert seinen Machtanspruch in einer monumentalen Innenschrift im Fels. | Credit: http://bjornfree.com/galleries.html | CC BY-SA 3.0

Einige Zeit später erwuchs aus einem kleinen Stadtstaat am westlichen Ufer der italienischen Halbinsel das größte Reich, das Europa je gesehen hatte. Die römischen Legionen waren so erfolgreich darin, neue Gebiete im Mittelmeerraum und darüber hinaus zu erobern, dass der Senat in Rom vor dasselbe Problem gestellt wurde, wie einst Xerxes. Um eine enorm große Bevölkerung in einem enorm großen Reich beherrschen zu können, musste auch in diesem Fall der politische Machtanspruch deutlich an die unterschiedlichsten Völker formuliert und begründet werden. Auch die Römer begannen, große Gebäude mit Innenschriften auszustatten, die über gewonnene Kriege, großzügige Senatoren und später Kaiser oder über verdiente Bürger berichteten. Mehrere Hunderttausend dieser Innenschriften sind uns heute bekannt. Da der Großteil der provinz-römischen Bevölkerung jedoch aus Analphabeten bestand, dürfte ein anderer Faktor mächtiger gewesen sein, als die Inhalte der Innenschriften: Die eroberten Stämme, die zuvor meist in kleinen Bauernsiedlungen ohne nennenswerte Bauwerke wohnten, dürften von der römischen Architektur mit seinen Schriftverziehrungen so überwältigt gewesen sein, dass die Überlegenheit der römischen Zivilisation für sie außer Frage stand.

Bald erkannten die Römer ein weiteres Mittel, um politische Botschaften in der Bevölkerung zu verbreiten. Es war das erste Massenmedium der Welt: die Münze. Die Einführung einer einheitlichen Währung führte dazu, dass jeder Einwohner des Römischen Reiches Münzen besaß, zumindest jeder, der Besitz hatte und somit politisch relevant war. Zudem entwickelten sich Münzen zum alltäglichen Gegenstand, wer sie besaß hatte sie täglich in der Hand und wer sie erhielt begutachtete sie, um ihren Wert festzustellen. Da Münzen ausschließlich von der römischen Verwaltung geprägt, gegossen und ausgegeben wurden, konnten die römischen Herrscher genau entscheiden, welche Motive auf ihr dargestellt werden.

Eine Münze hat immer eine Vorder- und eine Rückseite. Auf der Vorderseite wurde in der Regel das Profil des aktuellen Herrschers gezeigt, eingerahmt mit seinem vollständigen Namen, der auch Informationen zu seinen Erfolgen beinhaltete. Die Rückseite zeigte hingegen meist ein politischen Motiv, etwa eine gewonnene Schlacht oder eine Abstrakte Darstellung eines Machtverhältnisses.

Römische Münze, etwa 103-111 n. Chr.; Die Vorderseite zeigt Kaiser Trajan mit Lobeerkranz als Insignium der Macht, die Rückseite zeigt einen knienden Mann vom Volk der Daker vor einer übergroßen Darstellung der römischen Stadtgöttin Roma, welche in der linken Hand einen Speer und ich der rechten Hand die Siegesgöttin Victoria hält.

Ist das schon Propaganda? Der Umgang mit dem Propagandabegriff stellt für Politik- aber auch Kommunikationswissenschaftler ein Problem dar. Seine Verwendung im politischen Kontext geht auf Papst Gregor XV. zurück, der ihn in einer gegenreformativen Schrift erstmals verwendete, allerdings im Sinne seiner ursprünglich lateinischen Bedeutung (propagare = lat. verbreiten, ausbreiten). Heutzutage wird der Propagandabegriff vor allem mit den politischen Kommunikationsinstrumenten der Ideologien des 20. Jahrhunderts in Verbindung gebracht. Nicht umsonst gab es im Dritten Reich ein explizietes Reichspropagandaministerium. Ist jede politische Botschaft automatisch auch Propaganda? Klar ist: Eine einheitliche Definition gibt es nicht. Über zwei essentielle Merkmale sind sich die meisten Wissenschaftler aber einig: Erstens stellt Propaganda die intendierte Wirkung einer Botschaft über die eigentliche Nachricht an sich. Wenn Hitlers Wochenschau über den Eroberung Paris durch die Wehrmacht „berichtet“, tut sie dies nicht in erster Linie wegen der Nachrichtenwerts, sondern vor allem wegen der Wahrnehmung, das Deutsche Reich sei anderen Staaten, und der Nationalsozialismus anderen Ideologien überlegen. Der Wahrheitsgehalt spielt in diesem Zusammenhang keine Rolle. Propaganda muss also nicht zwangsläufig eine Lüge sein, schließlich marschierten Hitlers Truppen am 16. Juni 1940 tatsächlich in Paris ein. Zweitens definiert sich Propaganda über die Verwendung von Massenmedien. Nur sie machen es möglich, dass die Botschaften an eine breite Zielgruppe weitergetragen werden können.

Die römischen Münzen können somit also als eines der ersten Propagandamittel der Weltgeschichte bezeichnet werden. Dennoch fällt der Umgang mit dem Propagandabegriff gerade in der digitalen und kommerziellen Welt des 21. Jahrhunderts schwer, gerade auch wegen seiner negativen Konotation. Sind Marketingbotschaften Propaganda? Ist Propaganda gerechtfertigt, wenn sie demokratische Zwecke erfüllt? Ist ein spontan abgesetzter Tweet des US-Präsidenten auch Propaganda?

Ist das Propaganda?

Nachdem am 6. Januar 2021 zum Teil bewaffnete Trump-Anhänger das Kapitol in Washington DC stürmten und Trump auf Twitter Botschaften verbreitete, die nach Ansicht vieler Experten nicht zu einer Deeskalation der Lage führten, löschte Twitter zunächst die entsprechenden Inhalte von Trumps Account, später den ganzen Account an sich. Diese Entscheidung dürfte historisch gewesen sein. Social-Media Plattformen, auf denen jeder Nutzer nahezu jeden Inhalt veröffentlichen kann, sind natürlich ein äußerst neues Phänomen. Die Etablierung der Sozialen Medien in Folge der Erfindung des Internets dürfte langfristig ähnlich bedeutend sein, wie die Etablierung von von Zeitungsverlagen in Folge der Erfindung des Buchdrucks. Zeitungen aber besitzen eine Redaktion, die Inhalte anfertigt, kontrolliert und abwägt. Soziale Netzwerke hingegen veröffentlichen nahezu ungefiltert jeden Gedanken, den ein Nutzer publizieren möchte. Nur, wenn eine klare Grenze des Sagbaren überschritten ist, behält sich die Plattform das Recht vor, diese Inhalte zu löschen.

Wo aber liegt diese Grenze? Ist es sinnvoll, die Regeln des Sagbaren einem privaten Unternehmen zu überlassen? Und rechtfertigt die Überschreitung einer solchen Grenze den Ausschluss eines US-Präsidenten von einer Plattform, die für den öffentlichen Diskurs in den letzten Jahren so grundlegend geworden ist? Sollten sich Personen mit einer so umfassenden Macht überhaupt der potentiellen Willkür eines Unternehmens aussetzen dürfen? Diese Fragen werden uns in den nächsten Jahren stark beschäftigen. Vielleicht bleibt alles so chaotisch, wie es ist. Vielleicht werden Communityrichtlinien von Social-Media Plattformen künftig durch das Parlament festgelegt. Vielleicht muss der nächste Präsident der Vereinigten Staaten seine Botschaften auch wieder in den Stein meißeln.

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