Ist die Fridays for Future – Bewegung zu privilegiert?

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Die Kälte kroch mir langsam in die Knochen als ich am 15. Januar mit der Fridays for Future-Bewegung in Münster auf der Straße stand. Von wegen Klimaerwärmung!
Zu Beginn des Feierabend-Verkehrs  standen wir ganz corona-konform entlang einer langen Fahrradstraße mit Masken und Sicherheitsabstand und hielten unsere selbstgebastelten Schilder für eine Mahnwache hoch. Viele vorbeifahrende Fahrradfahrer waren überrascht und freuten sich, dass trotz der „aktuellen Situation“ Präsenz gezeigt wurde.

Allerdings ernteten meine Mitstreiter:innen und ich auch den ein oder anderen kritischen Blick. Immer wieder bekamen wir gehässige Kommentare wie „Ihr müsst nicht mehr protestieren, der Lockdown rettet unser Klima.“ oder „Geht lieber für mehr Wohnraum auf die Straße, das ist ein echtes Problem!“ zu hören.
Das wir nicht in einer heilen Welt leben, in der immer alle der gleichen Meinung sind, war mir klar, sonst müsste ich ja nicht auf die Straße gehen. Trotzdem frage ich mich immer wieder, wieso Bemühungen für den Klimaschutz von einigen Mitbürger:innen so stark kritisiert werden.

Als ich ein paar Tage später in meinem Auto nach Hause fuhr, hörte ich im Radio einen Beitrag, der mir diese Thematik nochmal näher bringen sollte. In dieser WDR5 Reportage kam ein „Fridays for Future“-Aussteiger zu Wort. Clemens Traub, ein 23-jähriger Nachwuchs-Autor, erzählte darin von seinen Erfahrungen bei der FfF Bewegung und bewarb sein Buch „Future for Fridays?“.
Wie ich kommt auch Clemens Traub aus „der Provinz“.

Durch die kritischen Reaktionen seiner „Provinz“-Bekannten auf die Bewegung fing er selbst an, diese zu hinterfragen. Die Bewegung konnte seine Bekannten nicht abholen und letztendlich konnte sich auch Clemens Traub nicht mehr damit identifizieren und stieg aus. In seinem Buch bezieht sich Traub besonders auf eine Studie der Heinrich Böll Stiftung. Hier wurden am 15. März 2019 die sozio-demografischen Daten einiger Fridays for Future-Anhänger erhoben. Da diese Studie mittlerweile fast 2 Jahre alt ist, hat sie keinen Anspruch darauf, die aktuellen Zahlen widerzugeben. Trotzdem zeigte sich, dass die Mehrheit der Aktivist:innen unter 25 Jahre alt ist. 87,2% der Befragten gaben an, entweder die Fachhochschulreife oder ein Hochschulstudium abgeschlossen zu haben. Als die Befragten sich selbst zu einer sozialen Schicht zuordnen sollten, gaben 63,3% der Schüler:innen und 53,6% der Erwachsenen an, zur oberen Mittelschicht zugehörig zu sein.

Diese Zahlen erzeugen ein sehr homogenes Bild der Aktivist:innen. Sie sind jung, gebildet, privilegiert und wohnen urban. Die Frage nach dem Klimaaktivismus ist also eine Frage der sozialen Schicht, des Alters, des Wohnorts und des Bildungsgrades. Die Auswirkungen des Klimawandels betreffen aber nicht nur junge, gebildete und privilegierte Menschen, die in Großstädten wohnen. Die Auswirkungen betreffen uns alle.

So schreibt Prof. Dr. med. Faust in „der Klimawandel und seine psychosozialen Folgen“:

“ Zu den potentiellen psychosozialen Auswirkungen gehören vor allem steigende Temperaturen, erzwungener Ortswechsel und weitere Beeinträchtigungen, die insbesondere auf der seelischen Ebene belasten. […] Und hier vor allem mit dem Schwerpunkt auf Kinder, Frauen und besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen“.

Wenn doch besonders benachteiligte Bevölkerungsgruppen von den negativen Folgen des Klimawandels betroffen sind, wieso findet man diese nicht in den ersten Reihen der Fridays for Future-Bewegung?

Auf diese Frage gibt es viele Antworten. Traub begründet dies unter anderem damit, dass es in ländlichen Gegenden kaum Möglichkeiten für einen umweltbewussten Lebensstil gibt. Außerdem führt er an, dass es andere Probleme gibt, die zuerst gelöst werden müssen. (Siehe den Kommentar: „Geht lieber für Wohnraum auf die Straße.“ )  Da sind hypothetische Szenarien über eine Zukunft, die 2°C wärmer ist, nicht so wichtig.

Psycholog:innen erklären dies oft mit dem Phänomen der psychologischen Distanz. Damit wird beschrieben, dass Ereignisse, Personen oder Objekte räumlich, zeitlich, sozial oder hypothetisch unterschiedlich weit von uns entfernt sein können. Wenn man also innerhalb seiner bisherigen Lebenszeit in seinem räumlichen Umfeld nicht von den Konsequenzen des Klimawandels betroffen war und dies auch im sozialen Kreis kein Thema ist, könnte die Bedrohung als nicht relevant wahrgenommen werden.
Diese Beurteilungsverzerrung führt dazu, dass wir eher auf Probleme in unserem direkten Umfeld reagieren. Da die Folgen des Klimawandels für uns oft nicht direkt sichtbar sind und unseren Alltag nicht erheblich einschränken, erscheint dieses Problem als nicht drängend.

Ein anderes Problem der mangelnden Identifikation mit der Fridays for Future-Bewegung sind Intergruppenkonflikte. Auch Clemens Traub beschreibt in seinem Buch solche Prozesse.

„In meinen Augen gab es auf einmal nur noch Klimahelden auf der einen Seite oder Klimasünder auf der anderen. Das total Gute oder das absolut Böse. Nichts dazwischen!“

„In den Augen meiner alten Freunde war die Bewegung eine „Ökosekte“, eben die Selbstinszenierung großstädtischer, linker Spinner.“

Um unsere (soziale) Umwelt besser zu verstehen, neigen wir dazu, in Gruppen zu denken. Dies ist auch für die Entwicklung unserer sozialen Identität wichtig. Doch der Forscher Henri Tajfel zeigte in einer Untersuchung in den 1970er Jahren, dass dieses Gruppendenken negative Effekte haben kann. Tajfel teilte in seinem Minimalgruppen-Paradigma die Stichprobe aufgrund ihrer Präferenz für die Künstler Kandinski oder Klee ein. Danach sollten beide Gruppen Aufgaben lösen. Um diese Aufgaben mit dem größten Erfolg für die eigene Gruppe zu lösen, musste man automatisch auch der anderen Gruppe helfen. Es konnte allerdings auch ein Lösungsweg genommen werden, bei dem die andere Gruppe nicht profitierte, allerdings erzielte damit die eigene Gruppe einen geringeren Erfolg. Trotz dieses geringeren Erfolgs, wurde diese Variante von den Proband:innen bevorzugt. Die Ergebnisse konnten seit den 1970er vielfach repliziert werden. Diese Studie zeigte, dass sobald ein Gruppendenken induziert wird, Menschen dazu neigen ihre eigene Gruppe auf und die andere Gruppe abzuwerten. Dies geschieht auch bei der Fridays for Future – Bewegung. Das Gruppendenken ist sowohl von Gegner:innen, als auch von Aktivist:innen gefährlich.

Muss es also alles noch viel schlimmer werden, damit es endlich alle interessiert?
Nein! (Beziehungsweise hoffentlich nicht!)

Die Auswirkungen des Klimawandels können am besten minimiert und ertragen werden, wenn wir uns Ihnen als Gesamtgesellschaft stellen. Die Probleme, die diesen Wandel verursachen, kann keine Gruppe innerhalb der Gesellschaft alleine lösen. Also sollte daran gearbeitet werden, dieses Gruppendenken aufzubrechen. Wir sollten uns der Tatsache stellen, dass es keinen „Klimaengel“ und auch keinen „Klimasünder“ gibt. Wir alle konsumieren Produkte, die der Umwelt mehr oder weniger schaden. Das Ideal eines klimaneutralen Lebens sollte nicht kategorial (entweder du lebst es oder du lebst es nicht) gedacht werden. Es ist wichtig, dass alle Bevölkerungsschichten ein Bewusstsein dafür entwickeln, welche Lebensweisen mehr oder weniger schädlich sind. Dann ist es die Aufgabe jedes Einzelnen diese Lebensweisen nach seinen eigenen Mitteln zu integrieren. Das kann bedeuten, dass sich besonders privilegierte, junge und gebildete Menschen auf der Straße für die Umwelt stark machen, während andere Bevölkerungsgruppen andere Wege dafür finden.

Ein Besuch in meiner „provinzialen“ Heimat zeigt, dass diese Entwicklungen bereits in vollem Gang sind. Hier in Ostwestfalen-Lippe gibt es immer mehr Möglichkeiten für einen klimabewussten Lebensstil. So kann auch eine Alleinerziehende Bekannte ihre Einkäufe im Unverpackt-Laden erledigen und die regionalen Bauern vertreiben ihre Produkte über Frische-Automaten.
Wir sind also auf einem guten Weg!

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