Eurozentrimus. Was genau ist das?
Generell könnte man von einem Maßstab sprechen, bei dem Europa sich als gesellschaftlichen und politischen Entwicklungshöhepunkt ansieht. Auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung wird Eurozentrismus auch als europäischer Ethnozentrismus beschrieben. Andere Länder und Kulturen werden dadurch immer nach den europäischen Werten und Normen beurteilt. Europa nimmt eine vermeintliche Vorbildsfunktion ein. Eurozentrismus ist tief in unserer Geschichte verankert. In einem anderen Beitrag der Bundeszentrale für politische Bildung beschreibt Historiker Robert Marks das dadurch herrschende Bild Europas in der Geschichte als „Triebkraft der Moderne“ und „einzig aktiven Gestalter der Weltgeschichte“. Noch bis heute besteht die Annahme, dass Europa als „entwickelt“ und der globale Süden als „weniger entwickelt“ gilt. Auf dieser Annahme basiert auch sogenannte Entwicklungsarbeit und ebnet damit dem Neo-Kolonialismus und – Imperialismus den Weg.
Europa auf der Weltkarte
Geographisch gesehen macht Europa nur einen Kleinstteil der gesamten Erde aus. Jedoch scheint das kleine Europa in den in unseren Schulen – und zuhause – hängenden Weltkarten größer, als es eigentlich ist. Die Mercator-Weltkarte ist zwar winkeltreu und somit zur Navigation auf dem Meer geeignet, verzerrt dadruch jedoch die Kontinentgrößen erheblich. Obwohl Afrika mehr als 1/5 der Landfläche der Erde ausmacht, wird der Kontinet so viel kleiner dargestellt. Mehr dazu könnt ihr in diesem Artikel des studentischen Campusmagazins Furios der FU Berlin lesen. Der Kontinent Afrika ist beispielsweise größer als China, Indien, Japan, Europa und die USA zusammen. Oder – wie n-tv in einem Beitrag schreibt – fast so groß wie der Mond. Ein möglicher Kontrast zu von unserer Kindheit erlernten Größenvorstellungen über die Kontinente der Erde. Die Mercator-Weltkarte mit Europa in ihrer senkrechten Mitte ist die weltweit meist verbreitete Karte.
Es sind jedoch nicht nur unsere Weltkarten, die Europa in den Mittelpunkt rücken oder es größer erscheinen lassen als es ist. In den Nachrichten unseres öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird bis heute das Bild eines „wenig entwickelten“ globalen Südens vermittelt. Und das eines „entwickelten“ Europas – beziehungsweise globalen Nordens.
Die Würde jedes Menschens ist (nicht) unantastbar
Wer in Deutschland Schwerverletze oder Unfalltote fotografiert kann mit einer Freiheitsstrafe von bis zu 2 Jahren rechnen. Genaueres dazu auf der Seite des Magazins Medical Tribune. Fallen tut die Straftat unter §201a des StGBs und zählt als Verletzung der Persönlichkeitsrechte durch Bildaufnahmen. Kein Wunder also, dass in unseren Nachrichten keine Bilder von Leichen oder Schwerverletzen gezeigt werden. Aber halt. Wer in Deutschland lebt, hat mit hoher Wahrscheinlichkeit schonmal Nachrichten und Dokumentations-Formate der öffentlich-rechtlichen Sender gesehen und wird dem wahrscheinlich widersprechen. Es ist zwar richtig, dass keine Schwerverletzten oder Leichen in Deutschland gezeigt werden. Ganz anders sehen aber die Berichte der selben Nachrichtenformate über auswärtige Geschehnisse aus. In Berichten und Dokumentationen über die Bürgerkriege in Irak, Syrien oder Libyen beispielsweise werden teilweise hemmungslos Schwerverletzte oder gar Tote gezeigt. Und das ganz ohne Vorwarnung. Menschen, die nach Deutschland geflohen sind, können so beispielsweise mit schweren Traumata konfrontiert und getriggert werden. Außerdem findet eine Entmenschlichung statt. Während sich das oben genannte (post-mortale) Persönlichkeitsrecht auf die Unverletzlichkeit der Menschenwürde beruft, soll es gleichzeitig Menschen geben, die weniger Würde besitzen? Oder gar weniger Mensch sind? Sollte nicht jedes Individuum vom Strafgesetz als gleich angesehen werden? Uns wird uns das Bild eines „weniger entwickelten“ Südens vermittelt. Nicht-europäische Menschenleben werden zu Objekten des Sensationsjournalismus und zu Zahlen.
Rassistische Dokumentationen und Menschenzoos
Auch Dokumentationen über Ethnien, die fernab von jeglicher Zivilisation leben, sind kein seltenes Bild, das uns von Afrika vermittelt wird. Wenn man weiter in unserer Zeit zurück geht und Berichte von Zeitschriften wie der National Geographic anschaut, wird einem erschreckenderweise auffallen, dass über Nicht-Europäer:innen wie über Tiere berichtet wurde. Mit einigen ihrer Aussagen setzte sich das Magazin in einem Artikel auseinander. Hier schreibt die National Geographic über sich selber, dass sie zum Höhepunkt des Kolonialismus entstanden sei. Außerdem heißt es in dem Artikel, dass zu der Zeit die Annahme bestanden habe, Menschen könne man in „Rassen“ aufteilen. Sowie, dass es eine höhergeordnete weiße „Rasse“ gäbe, der alle anderen untergeordnet seien. Auch „Rassenlehre“ genannt. Die National Geographic ist dabei natürlich keine Ausnahme, sondern der Regelfall. Wer in Hamburg wohnt weiß vielleicht, dass Hagenbecks Tierpark mal ein Menschenzoo war. Nicht-europäische Menschen wurden wie Tiere einsperrt und zur Schau gestellt. Laut PETA begann die „Blütezeit“ der sogenannten Völkerschauen mit Hagenbeck 1874. Auch auf dem Münchner Oktoberfest gab es zum Beispiel 1931 eine Ausstellung von Menschen, die „Kanaken der Südsee“ hieß. 1958 gab es in Brüssel die letzte Ausstellung von Menschen weltweit. Mehr zu Menschenzoos in einem Artikel des Forschung und Wissen Magazins.
Hagenbeck war allerdings nicht der erste Mensch, der nicht-europäische Menschen ausstellte. Einige hundert Jahre vor ihm stellte schon Kolumbus Meschen auf spanischen Jahrmärkten aus. Im 15. Jahrhundert beginnt das durch Europa betitelte „Zeitalter der Entdeckungen“. Mit der vermeintlichen „Entdeckung Amerikas“ durch Kolumbus 1492 begann das Zeitalter des Kolonialismus. Europäische Großmächte hatten vor, den Rest der Welt „zu zivilisieren“ , ihren Glauben und ihre Werte zu verbreiten. Einen groben Überblick zum Zeitalter des Kolonialismus gibt die Seite des Bundestags hier, wie sie schreibt, in leichter Sprache.
Kolonialisierung, Sklaverei und Genozide
Besonders das 19. und 20. Jahrhundert gelten als Höhepunkt des Kolonialsmus. Im Zuge der Kolonialisierung wurden alle Menschen und Ethnien, deren Regionen durch Europäer ( – unsere Geschichte ist nicht nur euro- sondern auch androzentristisch – ) „entdeckt“ wurden, unterdrückt und versklavt. Deutschland übte den ersten Genozid des 20. Jahrhunderts aus. In der Zeit von 1904 bis 1908 wurde deutschen Truppen angeordnet alle Herero und Nama zu töten. Schon damals wurde die indigene Bevölkerung in deutsche Vernichtungslager gezwungen. Ein Teil wurde sogar bewusst in eine Wüste getrieben, damit die Menschen dort verdursteten. Mehr zu den Genoziden von Herero und Nama im damaligen Deutsch- Südwestafrika, dem heutigen Namibia, findet ihr hier.
Der Kolonialismus geht einher mit Genoziden, Sklaverei und dem Imperialismus. Eurozentrismus ist dabei seine Vorraussetzung. Ziel der imperialistischen, europäischen Großmächte war es, so viel an Land und Macht wie möglich zu gewinnen. Durch die europäischen Länder wurden wie mit einem Lineal Ländergrenzen eines ganz anderen Kontinents gezogen. Diese Ländergrenzen missachteten natürlich alle davon betroffenen Ethnien und Menschen. Bis heute gelten die Ländergrenzen noch für Afrika. Auch wenn das Zeitalter des Kolonialismus mittlerweile als vorbei gilt.
Aber ist es das wirklich? Ohne Frage ist die Kolonialisierung mit ein Grund dafür, wie unsere Welt heute aufgebaut ist. Sie ist außerdem Ursprung vieler heute herrschender Probleme, die besonders Menschen treffen, die in ehemals kolonialisierten Ländern leben. Bis heute hat Deutschland keine Reparationszahlungen an Namibia gezahlt. Bis heute weigert Deutschland sich von direkten Entschädigungen bei Verhandlungen mit Namibia zu sprechen. Weiteres dazu in einem Beitrag auf der Deutsche Welle Seite.
Kolonialismus und Imperialismus heute
Bis heute bezeichnet Europa andere Länder als „Entwicklungsländer“. Und bis heute interveniert die NATO und ihre Mitgliedsstaaten – Bündnis aus europäischen Ländern und USA – in die Politk, Wirtschaft und Gesellschaft anderer Länder. Aber nicht nur das. Im Namen des Humanismus sendet die NATO militärische Truppen in andere Länder. Das einst selbst ernannte Verteidungsbündnis hat imperialistische Formen angenommen, erklärt die Zeitung „der Freitag„. Solange unsere Gesellschaft und Politik aber weiterhin das eurozentristische Weltbild, der mehr und weniger „entwickelten“ Länder, auferhalten können, wird jede Intervention mit Humanismus und „Entwicklungspolitik“ gerechtfertigt werden können. Jede Intervention – selbst Wirtschaftssanktionen, die Menschen in Armut und Hungersnot treiben können – enden für viele tödlich.
Rassistische Stereotypen und rechter Terror
Eurozentrismus führt dazu, dass POCs diskriminiert werden. Geflüchtete, die womöglich genau wegen den Effekten des Kolonialismus fliehen mussten und Menschen mit Migrationshintergrund werden als kriminell, gewalttätig, oder gar weniger zivilisiert dargestellt. Ob in Werbespots von Parteien des Bundestags, Nachrichten, Dokumentationen oder Spielfilmen. Die sowieso schon herrschende eurozentristische Narrative wird dadurch nur weiter bestärkt. Mit ihr geht Rassismus einher. Und tötete seit 1990 mindestens 85 Menschen in Deutschland in Form von rechten Terroranschlägen.
In unserer heutigen Zeit sollte uns bewusst werden, dass keiner von uns frei von Rassismus ist. Unser Leben lang wurde und wird uns beigebracht eurozentristisch zu denken und zu handeln. Bei der Bekämpfung von Rassismus, Neo-Kolonialismus und -Imperialismus kann es uns helfen, die eurozentrische Brille, die uns von Kindheit an aufgesetzt wurde, einmal abzusetzen und die Welt mit neuen Augen zu betrachten.
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