Ehrenlos

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Bildrechte: Olaf Kosinsky, Tobias Koch, Jenny Paul | (CC BY-SA 3.0 DE)

Kommentar

Der Zeitpunkt kommt für die CDU denkbar schlecht. Noch zum Zeitpunkt dieser Recherche finden gleich zwei entscheidende Landtagswahlen statt: In Baden-Württemberg würde sie gerne ihre Position in der Grün-Schwarzen Koalition stärken, in Rheinland-Pfalz die SPD als stärkste Kraft ablösen, auch wenn die Chancen auf eine Regierungszeit als Ministerpräsident für CDU-Spitzenkandidat Christian Baldauf gering sind. Der von den Medien euphemistisch als „Maskenaffäre“ betitelte Korruptionsskandal um die Unionsmitglieder Nikolas Löbel und Georg Nüßlein widerspricht dem in der Coronapandemie von CDU und CSU propagierten Bild der konservativen Krisenbewältiger. Irgendwie gelang es den beiden Parteien durch die gesamte Pandemie hindurch, stets ihre Führungskräfte in den Mittelpunkt der Entscheidungsfindungen zu stellen. Die neu gegründete Corona-Taskforce besteht etwa aus Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU). Sozialminister Hubertus Heil oder Familien- und Seniorenministerin Franziska Giffey von den Sozialdemokraten fanden hingegen keinen Platz am Tisch. Auch SPD-Gesundheitsexperte und Professor für Epidemologie Karl Lauterbach aggierte in unzähligen Talkshows der letzten Wochen und Monate als scheinbarer Oppositionspolitiker.

Nun bestimmen zwei Unionsabgeordnete den öffentlichen Diskurs, die sich auch noch mit Hilfe der Coronakrise selbst bereichert haben sollen. Hinzu kommt, dass dies nicht die ersten Fälle von Korruptionsvorwürfen gegen Unionsabgeordnete in der laufenden Legislaturperiode sind. Das öffentliche Misstrauen gegen die gesamte CDU/CSU-Fraktion scheint mittlerweile so groß, dass sich Fraktionführer Brinkhaus und der Parlamentarische Geschäftsführer der CSU Grosse-Brömer dazu gezwungen sahen, öffentlichkeitswirksam eine sogenannte Ehrenerklärung von ihren Abgeordneten einzufordern. Sind die derzeit erhobenen Vorwürfe wirklich nur Einzelfälle oder begünstigt das System der Unionsparteien Korruptionsmotive?

„Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages […] sind Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen.“

Grundgesetz, Art. 38, Abs. 1

Zu seinen besten Zeiten wurde Philipp Amthor als neuer Shootingstar der CDU gehandelt. Der junge und noch jünger aussehende Politiker aus einer Kleinstadt in Mecklenburg-Vorpommern war spätestens nach seinem Einzug in den Bundestag 2017 bundesweit bekannt, damals war er 25. In der Folgezeit entstanden zahlreiche Interviews mit Amthor, Spiegel TV begleitete ihn durch seinen Alltag als Bundestagsabgeordneter. Amthors biederes Auftreten, seine Art im Wahlkampf am liebsten mit älteren Landbewohnern am Wurststand zu stehen und gezwungen jung wirkenden Onlineauftritte ließen ihn im Internet schnell zum Meme werden.

Die belächelnde Aufmerksamkeit der Onlinecommunity wurde durch die CDU-Spitze jedoch wohl missverstanden und als ernsthaftes Interesse an der Person Amthor interpretiert, weshalb dem Jungpolitiker immer weitere Aufgaben in der Kommunikation mit jungen Wählern zugeteilt wurden. Als der YouTuber Rezo 2019 ein aufsehenerregendes Video mit dem Titel „Die Zerstörung der CDU“ veröffentlichte, in dem er die Partei insbesondere aufgrund ihres mangelnden Engagements in der Klimakrise und ihrer Position zu Digitalisierung und Urheberrecht kritisierte, wurde Amthor beauftragt, ein Antwortvideo zu produzieren. Im letzten Moment wurde dessen Upload allerdings gestoppt, es war wohl selbst der CDU zu peinlich. Dennoch galt Philipp Amthor CDU intern noch lange als der Kevin Kühnert der CDU. Kühnert ist etwas sozialistischer als die durchschnittliche SPD, Amthor etwas konservativer als die durchschnittliche CDU. Beide suchen gerne mal die Kamera und, noch wichtiger, die Kamera sucht sie.

Im Juni 2020 kam es dann aber zum Eklat. Der Spiegel veröffentlichte Recherchen, nach denen Amthor für ein dubioses Unternehmen lobbyierte und dabei auch seine Position als Bundestagsabgeordneter missbrauchte. Die betroffene Firma, Augustus Intelligence, entwickelt nach eigenen Angaben eine künstliche Intelligenz, kann jedoch weder Kunden, noch Produkte, noch Umsätze vorweisen. Amthor warb in einem Brief an Wirtschaftsminister Altmeier für das Unternehmen, im Gegenzug erhielt er Aktienoptionen. Trotz des Skandals konnte Philipp Amthor sein Bundestagsmandat behalten, lediglich seine öffentliche Inszenierung nahm etwas ab. Die CDU Mecklenburg-Vorpommern stellt Amthor auf Listenplatz 1 für die kommende Bundestagswahl auf.

Philipp Amthor ist der Prototyp der jungen Konservativen in der CDU. Neben ihrer Treue zu traditionellen Werten und Anzügen zeichnen sich die meist männlichen Jungpolitiker vor allem durch ihr Karrierestreben aus. Der feste Glaube an die kapitalistische Marktwirtschaft, in der vermeintlich jeder Alles bekommen kann, solange er nur hart genug dafür arbeitet, treibt wirtschaftsinteressierte Konservative in die Arme der Partei. In einer durchschnittlichen Gruppe junger Menschen würden sie vielleicht als Außenseiter gelten, unter Unionanhängern dürfen sie sich bestätigt und gerade im Vergleich zu Gleichaltrigen vermeintlich vernünftig oder sogar elitär fühlen. Zudem haben sie Parteien in Deutschland innerhalb der letzten Jahrzehnte in ihrer Struktur immer weiter wirtschaftlichen Unternehmen genähert. Die Zeit der Stammtischpartei ist vorbei, heute arbeiten in den Parteizentralen PR-Spezialist:innen, Marktforscheri:innen und Analyst:innen, die das Produkt ‚Politik‘ mit gleichen Mitteln vermarkten, wie große Unternehmen. Auf einen jungen und konservativen Politikinteressierten mag eine Karriere in einer Partei ähnlich anprechend wirken, wie die in einem Konzern.

Gehaltstechnisch ändert sich mit Sprüngen auf der Karriereleiter jedoch wenig. Zwar verdienen Bundestagsabgeordnete mit rund 10.000 Euro monatlich deutlich über dem Bundesdurchschnitt, wagt man jedoch den etwas wackeligen Vergleich mit Positionen von ähnlicher Verantwortung in der freien Wirtschaft, müssen Abgeordnete verhältnismäßig bescheiden leben. Das Prinzip zieht sich bis in die obersten Ebenen der Regierung. Der Vergleich ist zugegebenermaßen etwas plakativ: Als Bundeskanzlerin verdient Angela Merkel rund 473.000 Euro im Jahr, Volkswagen Vorstandschef Herbert Diess erhielt 2019 fast 10 Millionen Euro Gehalt.

Diese Kombination aus jungen, konservativen, karrierefokussierten und wirtschaftsaffinen Menschen und begrenzten Karriereoptionen in starren Parteistrukturen mit festgelegtem moderatem Gehalt öffnet Korruption die Türen. Viele der neuen Jungen in der CDU dürften aber in den fragwürdigen Geschäften keine Probleme sehen. Sie arbeiten für das Geld, was sie bekommen. Dass sie eigentlich Vertreter des Volkes sind, und in dessen Interesse, nicht im eigenen, agieren sollen, vergessen sie. Sie sehen sich eher als Geschäftsleute mit Profitinteresse. Politik als Branche.

Auch Nikolas Löbel war einer dieser konservativen Jungpolitiker. Der 34-Jährige Fan von Sebastian Kurz und Friedrich Merz fiel schon häufiger damit auf, politische Ämter mit persönlichen Vorteilen zu verbinden. Im letzten Sommer wurde bekannt, dass Löbel seine ehemalige Position im Aufsichtsrat der Mannheimer Wohungsbaugesellschaft nutzte, um Mieter eines Hauses vorrübergehend unterzubringen, welches er zuvor gekauft hatte und nun renovieren wollte. Anschließend erhöhte er die Mietpreise von vier auf 14 Euro pro Quadratmeter. Zuvor erntete Löbel bereits Kritik, weil er die Räumlichkeiten der CDU in seinem Wahlkreis auch für seine Privatfirmen nutzte.

Jetzt sieht sich Nikolas Löbel mit den größten Vorwürfen in seiner bisherigen Karriere konfrontiert. Während der Coronapandemie soll Löbel 250.000 Euro dafür kassiert haben, dass er mit seiner privaten Firma, allerdings unter Nutzung seiner Bundestags-Mailadresse, Verkäufe von medizinischen Schutzmasken arrangierte. In einer Krisensituation stellte er sein eigenes Profitbedürfnis über das Wohl des Volkes, welches ihn gewählt hat und welches er vertreten sollte.

Die Spitze der Union dürfte sich bewusst sein, dass die Legende der Einzelfälle faktisch nicht richtig ist und dass die Entwicklung der Parteien zu den aktuellen Fällen zumindest beigetragen hat. Entsprechend vorsichtig sind die Worte in der sogenannten Ehrenerklärung auch gewählt. Alle Abgeordneten von CDU und CSU im Bundestag mussten unterschreiben, dass sie keine finanziellen Vorteile „aus dem Kauf oder Verkauf von Medizinprodukten wie etwa Schutzausstattung, Test- und Impfbedarf, aus dem Vermitteln von Kontakten, aus der Weiterleitung von Angeboten oder Anfragen oder aus der Unterstützung oder Beratung Dritter bei solchen Tätigkeiten“ gezogen haben. Auch Mark Hauptmann unterzeichnete die Erklärung. Dabei hatte sein Kreisverband eine Spende von 7000 Euro eines Unternehmens erhalten, für das Hauptmann ebenfalls Schutzmasken vermittelte. Da die Spende aber an die Partei und nicht an ihn persönlich ging, hat er die inhalte der „Ehrenerklärung“ so formal erfüllt.

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