Vom Sockel gehauen

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Bildquelle: Dirtsc | (CC BY-SA 4.0)

Wie eingefrorene Denkmallandschaften Dekolonisierung hindern

Kommentar

Kritik an deutscher Erinnerungskultur wird im Tonfall zunehmend schärfer. Vandalismus gegenüber Gedenkstätten sorgt nicht selten für Schlagzeilen und entfachte bereits die ein oder andere Denkmalsturzdebatte. Es wird deutlich: Denkmäler polarisieren. Auf Orte des Andenkens reagiert jeder auf eine individuelle Art sensibel und viele Plätze des Gedenkens bilden ein zweischneidiges Schwert. Spätestens seit Anhänger*innen der in den USA entstandenen Black-Lives-Matter-Bewegung Denkmäler fragwürdiger historischer Persönlichkeiten diskreditierten und beschädigten wird Erinnerungskultur auch in Deutschland stärker thematisiert.

Ein Beispiel für Ausläufer jenes Diskurses findet sich auch in Deutschland, unter anderem in den Auseinandersetzungen über die Hamburger Bismarck Statue. Die Meinungen verschiedener Parteien zum Denkmal im Alten Elbpark klaffen stark auseinander und deutsche Kolonialgeschichte bildet den Kern der Debatte. Die einen halten Otto von Bismarck bis heute als Begründer des modernen Sozialstaats in Ehren, die anderen verachten ihn für seine Kolonialpolitik. Obwohl sich der erste deutsche Reichskanzler lange als Gegner kolonialer Aneignung zeigte, entschied er 1884 den Besitz des Handelsmanns Adolf Lüderitz in Südwestafrika unter deutschen Schutz zu stellen. Er ebnete so den Weg für imperialistische Folgefeldzüge und baute die Hegemonialstellung der Deutschen aus. (Mehr zu Bismarcks Kurswechsel und den Anfängen deutscher Kolonialpolitik unter Kolonialismus: Jenseits von Europa | ZEIT ONLINE).

Daher äußern viele Hamburger Kritik an der 34 Meter hohen Statue des ehemaligen Staatsmannes. Einige plädieren für eine zeitgemäße Neukontextualisierung, beispielsweise durch ergänzende Informationstafeln am Sockel, anderen geht dies nicht weit genug und sie fordern den Abriss. Die Stadt Hamburg scheint auf die Diskussion zu reagieren. 2014 entschieden sich Senat und Bürgerschaft Hamburgs Kolonialgeschichte aufzuarbeiten, damals als erste deutsche Stadt. Museen und Gedenkstätten sollen saniert und „würdige Formen […] des dekolonisierenden Erinnerns“ geschaffen werden, so der Beirat zur Dekolonisierung Hamburgs. Letzterer legte vor Kurzem ein Eckpunktepapier vor, welches die Grundlagen für neue Erinnerungskonzepte illustriert. Damit kommt die Metropole nach Jahrzehnten mangelnden Aufarbeitungswillens ihrer aufgeschobenen Pflicht nach, die Grundlagen für eine zeitgemäße Gedenkkultur zu schaffen.

Doch nicht nur in Hamburg und an anderen deutschen Plätzen sorgen Gedenkstätten für hitzige Diskussionen und gespaltene Gemüter. Swakopmund, Namibia: „Zur Erhaltung der Kolonie gegen die aufständischen Hereros, mit Gott für Kaiser und Reich Ehre sei bis in den Tod getreuen“, so die Inschrift eines Denkmals an der Promenade der Hafenstadt. Es soll bis heute in Namibia gefallene deutsche Soldaten ehren. Schatten der 30-jährigen Fremdherrschaft Deutschlands über Namibia zeigen sich immer noch deutlich. Die Gedenkstätte wird von vielen Herero und Nama als Schande empfunden, deren von deutschen „Schutztruppen“ getötete Vorfahren keine Erwähnung auf der Gedenktafel finden. Das Denkmal wird in regelmäßigen Abständen beschmiert und ist Ausgangspunkt für Proteste.

Waterberg, Namibia. Auf dem heute privatisierten und somit für die Öffentlichkeit unzugänglichen Gelände auf dem 1904 von deutschen Truppen der Genozid an den Hereros verübt wurde, befindet sich ein kleiner Friedhof mit gepflegten Einzelgräbern gefallener deutscher Soldaten, die primär von Tourist*innen besucht werden. Lediglich eine kleine Bronzetafel gilt „dem Andenken der in der Schlacht am Waterberg gefallenen Hererokrieger“. Schätzungen zu folge verloren dort 1904 fast 100.000 Herero und Nama ihr Leben, etwa 40 deutsche Soldaten starben.

Solche Maßstäbe vermitteln ein maximal verzerrtes Bild historischer Tatsachen. Um in eine Ära postkolonialer Globalisierung übertreten zu können, muss rassistische und koloniale Vergangenheit realistisch abgebildet und erinnert werden. Der Hamburger Fall, sowie die Beispiele namibischer Gedenkstätten sind emblematisch für eine eingefrorene, rigide Kultur des Erinnerns und Gedenkens, insbesondere dunkler Kapitel unserer Vergangenheit. Beschmutzung von Denkmälern darf nicht blind als Vandalismus abgetan werden. Jene Handlungen sollten vielmehr als Symptom einer Unzufriedenheit mit dem Umgang historischen Erbes verstanden werden. Wer Kritik an Denkmälern als „Abrissmanie“ oder „Umtaufwahn“ abtut, scheint den Kern der Debatte nicht zu erfassen und verhindert dadurch den zur Abkehr von „rückwärtsgewandte[r] Identitätspolitik“ zwingend notwendigen Austausch. Wie wir mit unserer Vergangenheit konfrontiert werden und umgehen äußert sich deutlich in Straßennamen und Denkmälern. Gedenklandschaften bestimmen maßgeblich das kollektive Verständnis unserer Geschichte. Daher muss sich in regelmäßigen Abständen gefragt werde, inwiefern Darstellungsform, -verhalt und -ort noch zeitgemäß sind. Es reicht nicht, Kenntnisse, die zur kontextgerechten Einordnung befähigen vorauszusetzen. Kritische Stimmen müssen berücksichtigt werden.

Natürlich hört die Aufbereitung deutscher Kolonialvergangenheit nicht bei der Renovierung unserer Gedächtnislandschaft auf, aber letztere bildet einen unausweichlichen ersten Schritt. Festus Tjikuua, Sekretär des Ovaherero/Ovambanderu und Nama-Rates für Genozid Dialog, sagt 2019 in einem Interview mit mir in Okakarara: „Die Entscheidung Afrika zu kolonisieren hat den gesamten Kontinent in seiner Entwicklung beeinflusst und gehemmt.  Hier in Namibia wurden nicht nur Rohstoffe ausgebeutet, sondern auch große Teile der Bevölkerung bewusst eliminiert und das prägt unsere Gesellschaft bis heute.“ Die Schatten dieses dunklen Kapitels unserer Geschichte färben die namibische Identität bis heute und prägen deutsch-namibische Beziehungen. Wir müssen uns in der Verantwortung sehen, eine zeitgemäße und vor allem ganzheitliche Erinnerungskultur zu etablieren.

Hamburg unternimmt mit dem Eckpunktepapier für eine kritische Auseinandersetzung einen ersten wichtigen Schritt, schafft Raum für Dialog und lässt hoffentlich Taten folgen. Das grundlegende Problem der gesamten Debatte bleibt wohl trotzdem schwer zu lösen. Bismarck war eben nicht nur Sklaventreiber, sondern auch Gründer des einheitlichen deutschen Nationalstaats. Columbus, dessen Statue im Juni vergangenen Jahres in Virginia, USA von Black-Lives-Matter-Demonstrant*innen gestürzt wurde, war Kolonialherr und ist trotzdem aus der Menschheitsgeschichte nicht weg zu denken. Steht (wenn auch nicht mehr in Richmond) eine Statue, die ihn abbildet, nun für Völkermord oder Weltentdeckung? Wie können Kompromisse aussehen, damit Gedenklandschaften zukünftig dekolonisiert werden? Auch Generationen nach der Kolonialzeit müssen wir uns unserer Verantwortung stellen.

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