Am 05. Oktober 2020 veröffentlichte DEEZEL das Musikvideo zu seiner Single „Der König der Schweine“. In seinem satirischen „Disstrack“ gegen Clemens Tönnies kritisiert er sowohl die mangelnde Verantwortung die Tönnies für sein Handeln übernimmt, als auch die scheinheilige Reaktion der Öffentlichkeit. Diese Kritik verpackt er ironisch, in dem er sich in die Haut des Fleischbarons wirft. Was bewegte DEEZEL dazu gegen Clemens Tönnies anzurappen? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, traf ich mich vor einigen Wochen mit dem Künstler selbst.
DEEZEL kommt aus Rheda-Wiedenbrück. Diese ostwestfälische Kleinstadt ist Hauptsitz des größten deutschen Schlachtunternehmens, der Tönnies Holding. Hier werden täglich bis zu 30.000 Schweine geschlachtet. Damit produziert Tönnies fast 30% des in Deutschland gegessenen Schweinefleisches.
Sein Stück entstand als Reaktion auf den großen Coronavirus-Ausbruch der Region Ende Juni 2020 (Mehr dazu findet ihr im Kommentar). Für diesen Ausbruch trug das Schlachtunternehmen Tönnies Holding und damit sein Vorstand, Clemens Tönnies, besondere Verantwortung. Aufgrund massiver Hygieneverstöße konnte sich das Virus zwischen Mitarbeitenden der Schlachtung und Zerlegung rasant ausbreiten. Dieser Skandal erregte sogar weltweites Interesse. So berichteten auch amerikanische Medien wie die New York Times, sowie die Seattle Times davon.

DEEZEL, der neben seinen „leicht psychedelisch anmutenden Solo Projekten“ ebenfalls Teil der Crossover Band GREYVITY ist, steht eigentlich eher für einen „melancholisch-düsteren Sound“. Obwohl sein Tönnies-Track nicht so richtig in den eigentlichen Stil des Rappers passt, entschied er sich trotzdem dafür, einen Song zu diesem sonst musikalisch unangetastetem Thema zu veröffentlichen. Dabei war ihm besonders wichtig, dass er konstruktiv etwas zur Debatte beitragen konnte. Seinen persönlichen Bezug zieht er aus seiner Arbeit in einer Tankstelle. Dort hat er regelmäßig Kontakt mit Mitarbeitenden des Werkes und bekommt so Leidensgeschichten und Insider-Informationen aus erster Hand.
Nach dem Corona-Skandal waren die Arbeits- und Wohnbedingungen der Mitarbeitenden in den Fokus der Öffentlichkeit gerückt und stark kritisiert worden. So auch in DEEZELs Song:
„Nonstop versorgen aus den Hinterhöfen Vermittlerfirmen mich mit Werksarbeitern. Die Opfer schieben 10 Stunden Schichten zu ihr’n Billiglöhnen und ich werde reicher.“ „Nein, die haben keinen Platz in der Unterkunft. Dennoch schuften die im Takt in dem Todestrakt.“
Um den Ausbruch unter Kontrolle zu bekommen, riegelten die Behörden die Massenunterkünfte von Werksangehörigen und ihren Familien mit Stahlzäunen ab. DEEZEL sah in diesen Absperrungen die Versinnbildlichung der Parallelgesellschaft innerhalb der Stadt. „Die Umstände [der Mitarbeitenden] finden im Leben der Ureinwohner Rheda-Wiedenbrücks nicht statt.„
In seinem Song kritisiert er die Heuchelei der Einwohner. „Ihr habt die Sau im Schrank und auf den Lintler Wiesen liegt Gülle. Ihr lebt im Auenland, sagt wer finanziert die Idylle? Hier und da mal’n Skatepark und keinen interessiert’s wen ich kille. Auch mit dem Lockdown bleib ich unantastbar, weil es nach na kurzen Krise wieder still ist. Ich bin es so satt, das Idiotenpack.“ Im Gespräch erklärt DEEZEL dazu, dass in seiner Wahrnehmung das Thema Tönnies als Small Talk genutzt wird. „Es ist schön, wenn man etwas hat, worüber man sich aufregen kann. Man weiß, alle stimmen überein, aber die Wenigsten haben das Bedürfnis ihr Leben umzustellen.“
So sensibel für die Lebensumstände der Mitarbeitenden, sowie für das Thema Fleischkonsum war er nicht sein Leben lang. „Das ist so wie mit allen Sachen, mit denen man aufwächst und die von Anfang an da sind – man hinterfragt das gar nicht.“ Neben der Normalität des Werkes und der mangelnden Sichtbarkeit, war Tönnies auch lange positiv konnotiert, da er als Geldgeber der Stadt für viele positive Entwicklungen stand. („Hier und da mal’n Skatepark.“)
Erst im Abitur-Alter begann DEEZEL sich intensiver mit den Themen Fleischkonsum und Massentierhaltung zu beschäftigen. Obwohl es für ihn noch nicht den Punkt gab, endgültig mit dem Konsum von Fleisch aufzuhören, entwickelte er ein Bewusstsein dafür und reduzierte seinen Konsum stark. Für ihn gab es immer weniger Gründe Fleisch zu essen und immer mehr Gründe es nicht zu tun. Dabei spielten die umweltschädliche Massentierhaltung, sowie gesundheitliche Risiken eine große Rolle.
Einen weiteren Grund für die fehlende Sensibilisierung vor dem Abitur, sieht DEEZEL in der mangelnden Sichtbarkeit sowohl von den Umständen im Tönnies-Werk, sowie von Schlachtprozessen allgemein. In seinen Augen sei das Tönnies-Werk „ein geschlossenes System, in dem es schwer ist, Eindrücke zu bekommen“. Parallel dazu, ist auch die Schlachtung und Fleischverarbeitung generell aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwunden. DEEZEL fasst dies zusammen: „Wir leben als Scheinvegetarier.“ Konfrontationen mit Bildern aus Schlachtungen würden mittlerweile als traumatisch erlebt werden. In den Köpfen der Menschen gebe es einen Konflikt zwischen Fleischkonsum und Tierwohl. Um diesen Konflikt zu lösen, würden Konsumenten häufig die Herkunft des Fleisches verdrängen. Dabei sollte ein Umdenken passieren. DEEZEL sieht einen Weg aus Systemen wie „Tönnies“ oder der Massentierhaltung in einem Umstieg auf künstliche Fleisch-Alternativen.
Dies thematisiert er auch im Song: „Gebt ihn’n Tiergedärme, denn die Bürger wollen keine Zellbuletten aus der Petrischale.“
Mit Zellbuletten aus der Petrischale meint DEEZEL In-Vitro Fleisch. Dieses besteht, wie herkömmliches Fleisch, aus Muskel- und Fettzellen der entsprechenden Tierart. Allerdings mussten die Tiere nicht geschlachtet werden, um In- Vitro Fleisch zu produzieren. Den lebenden Tieren werden aus ihrem Blut Stammzellen entnommen. Aus diesen Zellen können im Labor sowohl Muskel- wie auch Fettzellen entstehen. In Nährlösungen werden diese Zellen dann vermehrt.
2013 wurde mit Hilfe dieses Verfahrens der erste „Laborburger“ vorgestellt, seine Produktionskosten beliefen sich damals noch auf 330.000 US-Dollar. Mittlerweile arbeiten niederländische und US-amerikanische Forschungsteams daran, die Herstellung zu vereinfachen und so günstiger zu machen. Ein solcher In-Vitro Burger könnte in ein paar Jahren nur noch 10 bis 12 US-Dollar kosten.

Dennoch trifft DEEZEL die Einstellungen im deutschen Mainstream sehr gut. So konnten sich in einer Studie der Uni Gießen 2018 nur 2% der Befragten vorstellen, In-Vitro-Fleisch zu kaufen. 43% konnten sich dies überhaupt nicht vorstellen. Trotzdem sieht DEEZEL einen alternativer Fleischkonsum als optimale Lösung.
Somit verbiete man keinem Menschen Fleisch zu konsumieren, dennoch müsste kein Tier mehr leiden. Die Massentierhaltung würde das Klima und die Umwelt nicht mehr so stark belasten. Auch gesundheitliche Risiken, wie Krankheitserreger oder Medikamente wären nicht mehr im Fleisch enthalten.
Bis solche Zellbuletten aus der Petrischale gesamtgesellschaftlich akzeptiert und konsumiert werden, ist noch ein langer Weg zu gehen. Das sieht auch DEEZEL so. Durch die Veröffentlichung seines Songs wollte er ein Kunstwerk schaffen, womit Hörer für das große Thema Fleischkonsum sensibilisiert werden

Trotzdem hinterfragt er mittlerweile auch die Mühen, die er sich damit gemacht hat. „Das Projekt ist komplett ausgeartet. Von der Idee bis zum fertigen Video sind 3 Monate vergangen. Am Ende hat eher so ein bisschen der Gedanke mitgeschwebt: Ich habe jetzt so viel Zeit darein investiert eine Person zu diskreditieren.“ Er sieht Clemens Tönnies nicht als „das Böse“. Er sei lediglich ein Kapitalist, der jede noch so kleinste Lücke des Systems ausnütze. Negative Konsequenzen für Andere seien ihm gleichgültig, solange er davon noch profitiere.
Auch in diesem Artikel nutze ich Clemens Tönnies als ein Symbol für den kaputten Wirtschaftszweig der Fleischindustrie. Durch seine Kontakte zu Wladimir Putin und den verschiedenen Skandalen bezüglich Steuerhinterziehung, Preisabsprachen und rassistischen Äußerungen, ist es ein Leichtes ihn als Sündenbock zu wählen. Dennoch ist die Tönnies Holding und das System in dieser Firma kein Einzelfall. Selbst wenn diese Firma plötzlich Pleite gehen würde, wären Massentierhaltung, die Ausbeutung von osteuropäischen Arbeitnehmer:innen und der übermäßige Fleischkonsum in Industrieländern, Probleme die nicht aus der Welt geschaffen wurden.
Um solche Probleme zu bewältigen, muss sich in der gesamten Gesellschaft ein Wandel vollziehen und dieser Wandel ist in vollem Gang. Der Ernährungsreport 2020 zeigt, dass der generelle Fleischkonsum zurück geht. Außerdem sei die Nachfrage nach regionalen Fleischprodukten gestiegen.
Die ersten Schritte in die richtige Richtung werden also gerade gegangen. Grund dafür ist nicht zuletzt der offene und kreative Umgang mit dem Themen.
Sensibilisiert euch also weiter dafür und hört euch DEEZELs Song an!