Der Klimawandel gilt als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit und seine Folgen machen sich in vielen Teilen der Welt bereits deutlich bemerkbar. Die Weltbank prognostiziert 140 Millionen Klimaflüchtlinge bis zum Jahr 2050 und schon heute sind etwa 20 Millionen Menschen auf der Flucht vor den Auswirkungen des menschengemachten Klimawandels. Diese äußern sich besonders stark in Regionen des südlichen Asiens, der Sahel Zone in Afrika sowie im Südpazifik und lassen dort ganze Landstriche unbewohnbar werden, unter anderem als Folge des steigenden Meeresspiegels, der Versalzung von Grundwasserreserven oder durch Wetterextreme. Während vermehrt Länder des globalen Südens von den Folgen der Erderwärmung heimgesucht werden, wird die Situation zusätzlich dadurch verschärft, dass ärmere Länder meist über eine schlechtere Anpassungsfähigkeit und Mechanismen der Schadensregulation verfügen. Durch die Untersuchung der Verletzlichkeit bestimmter Regionen könne allerdings auch frühzeitig interveniert werden. Künstliche Intelligenz wird bereits heute zur Katastrophenfrühwarnung genutzt und im Bereich der Gentechnik wird beispielsweise mit der Zucht dürreresistenter und salztoleranter Pflanzen experimentiert.
In den Ausmaßen des Klimawandels offenbart sich neben den dramatischen Folgen für unsere Ökosysteme zusätzlich eine herbe Ungerechtigkeit. Andree Böhling ist ein für Greenpeace tätiger Klimaexperte und beschreibt dieses globale Gefälle wie folgt: „Das Thema Klimaflüchtlinge weist in unerträglicher Form auf eine doppelte Ungerechtigkeit hin. Während die Ärmsten dieser Welt, die an der Klimaveränderung unschuldig sind, als Erste heftig durch die Erwärmung getroffen werden, verleugnen die Industriestaaten als Hauptverursacher bisher die Existenz der Klimaflüchtlinge und schotten sich mit geltendem Flüchtlingsrecht dagegen ab. Klima- oder Umweltflüchtlinge finden bisher im deutschen, europäischen und internationalen Flüchtlingsrecht keine Anerkennung.“ Während Menschen in industrialisierten Staaten, mit ihrem immensen Verbrauch an fossilen Energieträgern sowie ressourcenkonsumierenden Lebensstil für einen Großteil der Emissionen von klimaschädlichen Gasen verantwortlich sind, treffen die Auswirkungen vor allem die Menschen in den weniger industriell entwickelten Ländern des Globalen Südens.
Allerdings beklagen einige Wissenschaftler*innen wie beispielsweise Rüdiger Glaser von der Universität Freiburg vorschnelle Prognosen. Der Klimawandel verstärke in der Tat Armutsstrukturen in Regionen, die von den Folgen besonders betroffen sind oder betroffen sein werden, es existiere jedoch keine monokausale Kette zwischen Klimawandel und Migration. Letztere wird in den meisten Fällen von vielzähligen Faktoren bedingt. Die weit verbreitete Annahme eines Automatismus zwischen Klimaerwärmung und Migration – getreu der Vorstellung „weniger Regen führt zu Dürre, führt zu Migration“ scheint äußerst zweifelhaft. Angesichts dessen ist ein solch genereller Umweltdeterminismus wissenschaftlich kaum haltbar. So könnten die Folgen des anthropogenen Klimawandels mancherorts beispielsweise zu fataler Immobilität und nicht etwa zu mehr Migration führen, wenn Menschen die Ressourcen für eine Umsiedlung fehlen. Es bedarf daher umfassender Erforschung laufender sowie zukünftig denkbarer Migrationsdynamiken. So ergab eine Studie zu den Entwicklungen in Vietnam beispielsweise, dass graduelle Veränderungen wie der steigende Meeresspiegel oder wärmere Temperaturen weniger stark als vermutet zur Abwanderung bewegen als Extremwetterereignisse, solange sich an erstere angepasst werden kann.
Dass internationale Migration unter dem Einfluss verstärkter Klimaveränderungen deutlich zunehmen wird, bezweifelt allerdings kaum noch jemand. Dennoch taucht bisher in wenigen gesetzlichen Regelungen der Begriff „Klimaflüchtling“ auf und es gibt aktuell keine völkerrechtlich verankerten Schutzmechanismen.
Disclaimer: Der mangels Alternative von mir verwendete Begriff ist nicht wirklich akkurat, da er suggeriert, dass klimatische Faktoren den einzigen Migrationsgrund darstellen, während es in der Mehrheit der Fälle zu einer Verkettung von Faktoren kommt. Außerdem lässt sich über das verharmlosende Diminutiv „Flüchtling“ streiten, im Vergleich zum Begriff „Geflüchtete/r“ transportiert er allerdings eine historische und rechtliche Bedeutung. Mehr dazu gibt es unter anderem von PRO ASYL.
Die Genfer Flüchtlingskonvention verabschiedet 1951 das „Abkommen über die Rechtsstellung der Flüchtlinge“ als erste international gültige Rechtsgrundlage. Sie zielte darauf ab, hauptsächlich europäische Geflüchtete direkt nach dem Zweiten Weltkrieg zu schützen, wurde aber 1967 sowohl zeitlich als auch geografisch erweitert, sodass insgesamt 149 Staaten mittlerweile beigetreten sind. Sie sichert Menschen, die „Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung“ erleiden ein Recht auf Schutz zu. Klimatischinduzierte Migration scheint auf die Konvention nicht anwendbar. Zwar stellte der UN-Menschenrechtsausschuss im vergangenen Jahr erstmalig fest, dass Klimaflüchtlingen das Recht auf Asyl nicht verweigert werden dürfe, jedoch bleibt die Gesetzeslage bis heute uneindeutig. Der Beschluss der Vereinten Nationen vom Januar 2020 sendet ein wichtiges politisches Signal und tritt hoffentlich weiteren Dialog über die rechtliche Verankerung von Migration aus Umweltgründen los.
Neben Gesetzesfragen wirft die Migrationsdebatte unweigerlich auch Fragen des gesellschaftlichen Umgangs mit Asylsuchenden auf, deren Dimensionen sich bereits seit der Europäischen „Flüchtlingskrise“ ab 2015 offenbaren. Der starke Anstieg an Asylbewerber*innen und anhaltender Migrationsdruck auf Deutschland sowie viele andere europäische Staaten ruft unterschiedlichste Reaktionen hervor. Während die AfD „[…] in einem klimabegründeten Asylanspruch die Einladung zur Migration [sieht] und […] die EU auf[fordert], einen sicheren Grenzschutz aufzubauen“ , protestieren im September nach einem Großbrand im überfüllten Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos viele Menschen deutschlandweit für Europäische Hilfen und bekunden ihre Solidarität. Die Migrationsthematik erscheint einerseits wie zusätzlicher Wind in den Segeln aufsteigender rechtspopulistischer Kräfte und lässt andererseits unzählige engagierte Bürgerinitiativen entstehen. Sie ist in das Zentrum politischer Diskussionen auf europäischer Ebene gerückt und entzweit die Mitgliedsstaaten nicht selten. Dass es dringend multilaterale Strategien braucht um dem Zwei-Grad-Ziel wieder näher zu kommen und so humanitäre Katastrophen abzuwenden, das ist den meisten bewusst. Wie genau diese aussehen könnten? Das wird sich noch zeigen, aber dass der Vorschlag „absoluter Grenzsicherung“ de facto nur zum Kopfschütteln veranlasst muss wohl nicht erwähnt werden. Während rassistische Stimmungsmache am Fundament unser demokratischen Werte rüttelt, brauchen wir eine Besinnung zu Vernunft und Menschlichkeit vielleicht mehr denn je.
