Die vergessene Generation

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Ignoriert und vergessen – Kinder und Jugendliche sind Verlierer der Corona-Pandemie. Das Einbauen von Luftfiltern in Schulen sei zu teuer, einen Ausgleich für die ersatzlos ausgefallene Freizeitgestaltung gibt es nicht, ebenso wenig wie einen Impfstoff für Kinder. Jetzt soll gelockert werden, aber nur für diejenigen, die als vollständig Geimpft und Genesen gelten. Für die meisten Jugendlichen, die nicht gerade an einer Vorerkrankung leiden, liegt dieser Zeitpunkt noch in weiter Ferne, stehen sie doch auf der Impfprioritätenliste ganz hinten. Und das war auch in Ordnung, schließlich verstand jeder, dass es galt, die ältesten und schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft zuerst zu schützen. Die Jugend trug die Wartezeit solidarisch mit, genau wie sie ein Jahr lang ihr komplettes Leben pausierten, vorrangig um ältere Menschen zu schützen. Dabei durften sie sich zusätzlich noch hasserfüllte Reden auf Facebook anhören, dem Boomer-Netzwerk, das zuletzt durch seine auffällig potente Verbreitung von Querdenken Fake News glänzte, wie schlimm die jungen Leute mit ihren „Corona-Partys“ seien – verfasst von denjenigen, die am nächsten Tag im Großraumbüro Exceltabellen formatierten. Ohne Maske, weil „darunter bekommt man ja keine Luft“.

Journalist:innen sprechen vom „Impfneid“ – ein Wort, das gute Chancen auf die Auszeichnung als Unwort des Jahres 2021 hat – und sprechen damit ein Gefühl an, das eigentlich einen anderen Namen trägt: Ohnmacht und Wut sind wahrscheinlich die dominierenden Emotionen, wenn die Jugend auf aktuelle politische Entscheidungen schaut. Jede:r freut sich für alle, die geimpft sind, denn jede:r Geimpfte bedeutet, dass wir einen Schritt näher am normalen Leben sind. Die meisten finden es wahrscheinlich nicht mal verwerflich, wenn andere sich kleiner Tricksereien bedienen, um schneller dranzukommen, zum Beispiel, indem sie sich als Wahlhelfer melden. Doch wer dem Staat vertraut, dass er oder sie schon dran komme, wenn es sinnvoll sei, und jetzt mit anhören muss, wie von links und rechts nach Lockerungen geschrien wird, der bekommt langsam das Gefühl, es wäre eine dumme und naive Einstellung gewesen.

Es hieß einmal, Erleichterungen für Geimpfte würden erst einsetzen, wenn allen Menschen ein Impfangebot gemacht werden konnte. Mal davon abgesehen, dass mit „alle Menschen“, nur Menschen ab 16 (und im Fall vom BioNTech vielleicht bald ab 12) gemeint sind – also alle Wahlberechtigten, wenn man genau hinschaut – sollen genau diese Erleichterungen ab Montag in Kraft treten. Ganz verwundert schaut man auf die Zahlen, hat man sein Impfangebot etwa verpasst? Nein, im Gegenteil, in Deutschland sind aktuell (Stand 08.05.21) etwa 32% zum ersten Mal geimpft. Das sind nicht alle.

Was zeigt uns das Impfdesaster, anders als die Tatsache, wie leicht unser Regierungsapparat von Krisensituationen gelähmt ist? Politik wird von alten Menschen für alte Menschen gemacht – genauer gesagt von Boomern für Boomer und die junge Generation ist dabei vollkommen egal. Mit einer unverschämten Arroganz ignoriert die Regierung die Bedürfnisse und Probleme einer ganzen Generation. Und das schon seit einer langen Zeit. Die Corona Pandemie wirkt lediglich wie ein Brennglas auf die Ingoranz, die innerhalb des Bundestags für junge Anliegen herrscht.

Keine Luftfilter, wachsende Bildungsungerechtigkeit und keine Therapieplätze

Werfen wir einmal einen Blick auf Gesetze und Rettungspakete, die von der Bundesregierung verabschiedet wurden und welche nicht. Nach über einem Jahr Pandemie gibt es keine Coronastrategie für Schulen. Manch einer mag jetzt auf den Föderalsimus und die Zuständigkeit der Länder für die Bildungspolitik verweisen, doch man kann nicht alle Schuld einfach so abschieben. Es gibt Dinge, die eine Regierung durchaus hätte tun können, zum Beispiel die Installation von Luftfilteranlagen in Schulen, wie sie in alle öffentlichen Räumen wie Gerichten und Parlamenten schon lange Standard sind. „Zu teuer“, hieß es aus Berlin, dabei hätte die Ausstattung aller Klassenräume in Deutschland nur ein Sechstel des ersten Hilfspaket für die Lufthansa gekostet. Damals hat in der Regierung niemand gesagt, das Hilfspaket wäre zu teuer. Der Flugverkehr scheint also schützenswert zu sein – Kinder nicht so.

Stattdessen schickte man die Schüler:innen nach Hause, zum Leidwesen zahlreicher Eltern und dem Bildungsstand der Betroffenen. Dass viele Kinder kein eigenes Endgerät besitzen, um am digitalen Distanzunterricht teilzunehmen, mal davon abgesehen, dass ein Großteil der Lehrer überhaupt keinen Unterricht anbot (und teilweise noch nicht anbietet), weil sie gar nicht wussten, wie man Online Unterricht machen sollte und das ganze dann lieber den Eltern überließ, war den Gesetzgeber:innen entweder nicht bewusst oder es war ihnen egal. In beiden Fällen haben sie dafür gesorgt, dass die Bildungsungerechtigkeit noch stärker und die Belastung für Eltern noch größer wurde.

Auch abseits von Schule und Universität sind Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene die Verlierer. Fast ausnahmslos alle Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung fallen seit über einem Jahr ersatzlos aus. Das hat Folgen und zwar mehr als „dann hast du halt mal ein bisschen Langeweile“ oder „Dann kannst du halt ein Jahr mal nicht feiern gehen“. Jugendlichen fehlt es an Räumen zur Entfaltung, welcher ein notwendiger Teil des Erwachsenwerdens ist. Fehlen Möglichkeiten sich auszuprobieren, Grenzen zu übertreten und sich loszulösen, kann das zu ernstzunehmenden Entwicklungsstörungen führen. Es entstehen Blockaden, die später zu Misserfolgen beim Berufseinstieg und zu Jugendarbeitslosigkeit führen können.

Zusätzlich steigt die Zahl derjenigen, die sich psychologische Hilfe suchen sprunghaft an. Zu den prominentesten Anfragen bei psychotherapeutischen Praxen gehören aktuell Depressionen, Angsstörungen und Substanzmissbrauch – alles Erkrankungen, die sich fast ausnahmslos auf die dauerhaufte Isolation im Lockdown zurückführen lassen. Genügend Therapieplätze gibt es nicht. Bemühungen von der Regierung die Kassenzulassungen zu erhöhen auch nicht. Dabei könnten sie sogar Geld sparen, denn psychisch kranke Menschen kosten den Staat eine Menge, wenn sie das Gesundheitssystem in Anspruch nehmen und dabei dann auch noch nicht arbeiten.

Verantwortungsgrenzen für die „Seniorendemokratie“

Und dann ist da ja noch die Sache mit dem Klimaschutz. Jetzt hat Deutschlands höchstes Gericht den (überwiegend jungen) Umweltschützer:innen den Rücken gestärkt. Das von Bundestag und Bundesregierung beschlossene „Klimaschutzgesetz“ ist in Teilen verfassungswidrig, da die unzureichenden Regelungen ab 2031 zur Beschränkung der Freiheitsrechte der nachfolgenden Generationen führe. Damit hat Karlsruhe der „Seniorendemokratie“ klare Verantwortungsgrenzen gesetzt. Schade, dass es erst so weit kommen musste.

Es ist kein Wunder, dass politische Partien unter dem Ausbleiben von Jungmitgliedern leiden. Es ist kein Wunder, dass die Politik in jungen Augen als „graues Einerlei lebensfremder Phrasendrescher“ erscheint. Es ist auch kein Wunder, dass Jugendliche und junge Erwachsene sich von der aktuellen Regierung alleine gelassen fühlen und dass sie mit einem Kopfschütteln auf die kommente Bundestagswahl blicken. Ein Wahl, bei der laut aktuellen Umfragen die CDU/CSU immernoch zweitstärkste Kraft werden wird, eine Partei, in der es vor Korruptionsfällen nur so wimmelt (s) und deren einzigen Versuche, jüngere Wähler anzusprechen, ein Endzwanziger mit dem Geist eines Senioren und eine völlig deplazierte App, die Menschen dazu aufforderte während einer Pandemie an fremde Türen zu klopfen, waren. Gefolgt von der AfD, einer Partei, die sich ganz offen am rechtsmöglichsten Rand des Spektrums bewegt und vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

Natürlich sind nicht alle alten Menschen oder die gesamte Politik jungendfeindlich. Zum Glück gibt es in jeder Partei und in allen Altersstufen Menschen, die sich für die junge Genereation einsetzen. Aber sie müssen gegen eine Wand aus Ignoranz anreden. Sie werden einfach zu selten gehört. Wer kann den Jugendlichen und jungen Erwachsenen da noch vorwerfen, wütend zu sein? Wer dauerhaft das Gefühl vermittelt bekommt, seine Bedürfnisse seien weniger Wert als die anderer und seine Zukunft nicht schützenswert, dem bleibt am Ende nur ein Schrei zwischen Fassungslosigkeit und Verzweiflung.

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