„Verhandlung ist Männersache“ – Warum Frauen in Gehaltsverhandlungen (unverschuldet) schlechtere Ergebnisse erzielen

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Und was wir dagegen tun können

Disclaimer: Das bestehende Narrativ in der Verhandlungsforschung ist leider zu große Teilen immer noch eine binäre Geschlechterteilung in männlich und weiblich. In diesem Artikel beziehe ich mich auf das soziale Geschlecht. Soweit es möglich ist, werde ich auf die Bezeichnung Männer und Frauen verzichten und stattdessen das allumfassende Wort Gender verwenden. Wo dies nicht möglich ist, werde ich die binären Bezeichnungen mangels Alternative beibehalten, meine dabei aber immer auch männlich und weiblich präsentierende Personen, sowie fluide Genderidentitäten.

In Zeiten von Gender Pay Gap und struktureller Benachteiligung von Frauen und weiblich präsentierenden Personen sind Verhandlungsfähigkeiten am Arbeitsplatz wichtig wie nie. Es wurden bereits zahlreiche Modelle aufgestellt, wie Verhandelnde das bestmögliche Ergebnis erreichen könnnen. Doch selbst, wenn sich alle Parteien an die Vorschläge dieser Modelle halten, erzielen Männer und männlich präsentierende Personen dennoch im Schnitt ökonomisch und sozial bessere Verhandlungsergebnisse. Diese Genderunterschiede gehören zu den dauerhaftesten Problemen in der Verhandlungsforschung. Bereits geringe Unterschiede sind relevant, was sich auch in der immer noch nicht geschlossene Gender Pay Gap zeigt, bei der Gehälter von Männern bei gleicher Qualifikation über denen von Frauen liegen. Woran liegt es also, dass eine Eigenschaft wie das soziale Geschlecht einen Einfluss auf Verhandlungsergebnisse hat? Dafür gibt es zwei verschiedene Erklärungsansätze.

Nach der Role Congruity Theory werden zielführende Verhaltensweisen in Verhandlungen wie forderndes und selbstbewusstes Auftreten eher als kongruent mit der männlichen Genderrolle wahrgenommen, wodurch Männer im Schnitt bessere Verhandlungsergebnisse erzielen. Dahingegen führt die Inkongruenz mit der weiblichen Rolle bei Frauen dazu, dass sie weniger ergebnismaximierende Verhaltensweisen zeigen und falls sie es doch tun, diese als weniger angemessen bewertet werden. Der weiblichen Rolle werden überwiegend gesellige Charakteristika wie Fürsorge und Beziehungsorientierung zugeschrieben, wohingegen mit der männlichen Rolle fordernde Charakteristika wie kompetitives Verhalten und Profitorientierung verbunden werden. Da Genderrollen sowohl deskriptiv als auch injunktiv sind, beinhalten sie auch Erwartungen daran, wie die Gender sich zu verhalten haben. Weicht eine Frau von ihrer weiblichen Rolle ab, indem sie beispielsweise ein aggressives Erstangebot macht, riskiert sie den sogenannten social backlash, was nichts anderes bedeutet, als dass Gender nonkonforme Verhaltensweisen negativ bewertet werden. In diesem Fall könnte sie für die Gegenpartei unsympathisch und eingebildet rüberkommen, was so weit gehen kann, dass die Verhandlung sogar vorzeitig abgebrochen wird. Aus Angst vor social backlash könnten sich Frauen eher dazu gedrängt fühlen, rollenkonforme Verhaltensweisen an den Tag zu legen, auch wenn sie dadurch schlechtere Verhandlungsergebnisse erzielen.

Eine andere Erklärung bietet die Status Characteristics Theorie. Diese besagt, dass aufgrund von sogenannten diffusen Status Charakteristika (z.B. Gender, Bildung, Beruf und psychische Attraktivität) Männern ein höherer Status zugeschrieben wird. Dieser höhere Status führt dazu, dass sie automatisch als kompetenter wahrgenommen werden und legitimiert Handlungen, die diesen Status festigen (z.B. aggressive Erstangebote). Damit diese Charakteristika ihre Wirkung entfalten, müssen sie zunächst aktiviert werden, was entweder durch die Zusammensetzung einer Dyade, die sich hinsichtlich der Charakteristika unterscheidet (z.B. männlich-weibliche Verhandlungsdyade) geschieht oder dadurch, dass das Charakteristikum als aufgabenrelevant definiert wird. Da Verhandlungen oft als ein „männliches Feld“ und Männer häufiger als erfolgreiche Verhandler wahrgenommen werden, wird Gender – fälschlicherweise – als relevant für die Aufgabe eingeschätzt. Zusätzlich besagt das Burden Of Proof Principle, dass, unabhängig vom Verhandlungskontext, Männer als kompetenter eingestuft werden, außer der spezielle Kontext weist explizit darauf hin, dass Frauen ebenso effiziente Verhandlungen führen können.

Eine weitere Erklärung für das Entstehen von Genderunterschieden erklärt die Status Characteristics Theory damit, dass der Einfluss von höherem Status auf bessere Verhandlungsergebnisse durch die Fähigkeit moderiert wird, kompetitives und kooperatives Verhalten zu balancieren. Dies liegt jedoch nicht daran, dass Frauen per se dazu weniger gut in der Lage wären, sondern dass Männern aufgrund ihres höheren Status mehr Handlungsfreiraum erlaubt wird. Nach der Status Consistency Theory ist es für Individuen mit hohem Status legitim, mit ihren Handlungen ihren Status innerhalb der Gruppe zu festigen und zu verbessern, wohingegen dieselben Handlungen von Individuen mit geringem Status als unangemessen angesehen werden. Demnach ist es für Männer akzeptabel Angebote zu machen, die gleichermaßen kompetitiv (eigener Vorteil) und kooperativ (Vorteil für den Gegenpart) sind. Das gleiche Angebot von einer Frau ist weniger akzeptabel, da ihr geringerer Status kompetitives Verhalten (erhöhen des eigenen Status) nicht legitimiert. Aufgrund dessen können Frauen nicht dasselbe Ausmaß an Einfluss erreichen wie Individuen mit höherem Status und somit nicht über forderndes, selbstbewusstes Verhalten gute Verhandlungsergebnisse erzielen.

Was kann ich tun, um Genderunterschiede zu reduzieren?

Für viele Frauen (und auch Männer) mag sich das ganze Thema nach einer aussichtlosen Situation anhören. Doch die Genderunterschiede sind alles andere als endgültig.

Ein Faktor, der einen Einfluss auf die Unterschiede in Verhandlungsergebnissen hat ist advocacy (dt. Anwaltschaft) und bezieht sich darauf, ob der*die Verhandlungsteilnehmer*in für sich selbst oder für andere verhandelt. Im Alltag verhandeln die meisten Menschen für sich selbst, beispielsweise bei Gehaltsverhandlungen. Wenn Frauen selbstbewusst für sich selbst verhandeln, riskieren sie nach der Role Congruity Theory negative Bewertung durch ihre*n Verhandlungspartner*in. Verhandeln sie jedoch für andere, erfahren sie seltener social backlash und können dementsprechend durch zielführende Verhaltensweisen bessere Verhandlungsergebnisse erreichen. Erklärt werden diese Befunde damit, dass die ausgehandelten Gewinne für eine andere, meist nahestehende Person erzielt werden, was einem fürsorglichen Verhalten entspricht und damit wieder als kongruent mit der weiblichen Rolle wahrgenommen wird. Dementsprechend könnten Frauen von stellvertretenden Verhandlungen profitieren.

Situationen können sich auch dahingehend unterschieden, wie eindeutig sie bestimmte Verhaltensregeln vorgeheben, an die Verhandlungspartner:innen sich halten können (oder müssen). Je eindeutiger die Situation, desto mehr klare Verhaltensregeln liegen vor und desto weniger greifen Personen auf stereotype Annahmen und Verhaltensweisen zurück. Ein Faktor, der in Verhandlungssituationen zu Mehrdeutigkeit führen kann, ist der Verhandlungsspielraum. Werden jedoch allen Teilnehmer*innen zu Beginn Informationen über diesen Spielraum gegeben, beispielsweise über durchschnittliche Gehaltsober- und Untergrenzen bestimmter Berufe, wird die strukturelle Mehrdeutigkeit reduziert. Dementsprechend sollte das Darbieten von Informationen vor der eigentlichen Verhandlung genderspezifische Unterschiede zu reduzieren, da durch klare Verhaltensprotokolle weniger auf Basis von Stereotypen gehandelt werden muss.

Mehrdeutigkeit kann weiterhin durch Vorerfahrung der Verhandlungspartner:innen verringert werden, was einem personenbasierten Moderator entspricht. Bereits eine einzige Verhandlung als Erfahrungswert reicht aus, um die eigene Verhandlungsleistung zu erhöhen. Auch hier könnten Frauen verstärkt von Trainings profitieren.

Betrachtet man die Problematik aus Sicht der Status Characteristics Theorie finden sich ebenfalls drei Ansatzpunkte zur Reduktion von Genderunterschieden. Sorgt man dafür, dass das Charakteristikum Gender von den Verhandlungsparteien nicht mehr als aufgabenrelevant angesehen wird, verliert der Status seinen Einfluss auf die Wahrnehmung von Männern als kompetentere Verhandler. Zusätzlich können die Verhandlungschancen für Frauen verbessert werden, in dem nach dem Burden Of Proof Principle ein Kontext geschaffen wird, der Frauen als gleichermaßen effiziente Verhandlerinnen ausweist. Ihnen sollte die Möglichkeit gegeben werden durch kompetitives Verhalten ihren eigenen Status zu erhöhen und somit selbstbewusst in Verhandlungen auftreten zu können.

Die Verantwortung liegt also nicht allein bei den weiblichen Verhandlungspartner*innen. Auch der Gegenpart, unabhängig des Genders, kann aktiv zur Reduktion von Genderunterschieden beitragen. Da die Gründe dieser Unterschiede meist in stereotyper Wahrnehmung von Genderrollen liegen, müssen alle Verhandlungsteilnehmer*innen regelmäßig ihr eigenes Verhalten und Annahmen über ihr Gegenüber hinterfragen. Alle Verhandlungsparteien sollten die Möglichkeit erhalten, unabhängig von ihrem Status sowohl kompetitives als auch kooperatives Verhalten zeigen zu können.

Gendereffekte können sich sogar umkehren

Trotz der zahlreichen Möglichkeiten zur Reduktion der Ergebnisdifferenzen sollten mögliche Risiken der Implikationen bedacht werden. Auch gut vorbereitete Frauen, die ein Angebot innerhalb des Verhandlungsspielraums machen, riskieren durch nonkonformes Verhalten social backlash. Dieses fordernde Verhalten wird jedoch als weniger kongruent empfunden, wenn Frauen für andere verhandeln. Hier könnte eine Umstrukturierung zu Stellvertreterverhandlungen zur Reduktion der Ergebnisdifferenzen führen und außerdem erfahrene und/oder gut vorbereitete Frauen vom Risiko des social backlashs befreien.

Der Konformitätsdruck kann sogar so weit reduziert werden, dass Genderunterschiede sogar umgekehrt werden können. Daher bieten die oben genannten Praxistipps nicht nur eine wichtige Hilfestellung für Frauen, sondern können auch männliche Verhandlungsteilnehmer zur Erzielung besseren Ergebnissen befähigen. Wenn alle Verhandlungsparteien dazu beitragen, dass genderstereotype Verhaltensweisen nicht mehr vorausgesetzt werden, verschwinden benachteiligende Ergebnisdifferenzen und bieten gerechte Verhandlungssituationen für alle Gender.

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