Esther Bejarano – Ein Nachruf auf die Grand-Dame des Antifaschismus

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Bildquelle: Jwh | (CC BY-SA 3.0 LU)

Sie überlebte den Holocaust, bekämpfte Diskriminierung gegen einzelne Volksgruppen und sang gegen den Faschismus – weltweit gilt sie als Ikone der antifaschistischen Bewegung. Esther Bejarano verstarb am 10. Juli 2021 im Alter von 96 Jahren in Hamburg. Ein Nachruf.

1924 wird Esther Loewy als Kind jüdischer Lehrer im Saarland geboren. Mit ihren drei Geschwistern erlebt sie eine unbeschwerte Kindheit. Früh erkennen ihre Eltern ihr musikalisches Talent und fördern sie durch Klavierunterricht. Die ersten Erinnerungen an antisemitische Vorfälle Loewys reichen bis in ihr zehntes Lebensjahr zurück, so durfte beispielweise das nicht-jüdische Kindermädchen der Familie nicht weiter für diese tätig sein. Nach Hitlers Machtübernahme 1933 wurde der gesellschaftliche Antisemitismus immer deutlicher, viele deutsche Juden flohen ins Ausland. Esthers Vater Rudolf Loewy hingegen entschied sich gegen die Auswanderung. Er hatte im Ersten Weltkrieg selbst für das Deutsche Reich gekämpft, war bekennender Patriot und hielt die Macht der Nationalsozialisten für eine vorrübergehende Phase.

Erst als Rudolf Loewy nach der Reichsprogromnacht am 9. November 1938 kurzzeitig verhaftet worden war, erkannte er das Ausmaß der faschistischen Bedrohung. Er bereitete die Ausreise der Familie vor, welche allerdings aufgrund fehlender finanzieller Mittel hohen bürokratischen Hürden in der Schweiz und dem Beginn des Zweiten Weltkriegs nicht umgesetzt werden konnte. Kurze Zeit später wurde die Familie getrennt und an unterschiedlichen Orten zur Arbeit gezwungen. 1941 werden ihre Eltern in Litauen von den Nationalsozialisten ermordet, ein Jahr später stirbt eine ihrer Schwestern im Konzentrationslager in Auschwitz. Bejarano erfährt von diesen Taten erst nach dem Krieg, indem sie die Namen ihrer Angehörigen in Aufzeichnungen der Nazis fand.

1943 wird Esther selbst ins KZ Auschwitz deportiert. Angekommen wird sie als Akkordeonspielerin dem Mädchenorchester zugeteilt. Das Orchester spielte regelmäßig Märsche zur effizienteren Arbeit der Zwangsarbeiter:innen, unterhielt aber auch die Führung des Konzentrationslagers. Körperliche Zwangsarbeit musste sie deshalb nicht leisten, sie erhielt zudem einen besseren Zugang zu Lebensmitteln. Aufgrund der Lebensbedingungen in Auschwitz erkrankte sie jedoch mehrfach, die für KZ-Insassen äußerst unübliche Behandlung auf der christlichen Krankenstation sicherten ihr aber das Überleben.

Nachdem allierte Truppen immer weiter nach Deutschland vorrückten, wurde Esther Loewy in das KZ Ravensbrück verlegt, wo sie auf einem der KZ-Todesmärsche entkommen konnte. Kurze Zeit später befreiten US-amerikanische Soldaten die Region. Nach den erlebten Gräueltaten in ihrem Heimatland, entschloss sich Esther Loewy zur Ausreise nach Israel. In Israel arbeite sie zunächst in einer Zigarrettenfabrik, studierte in Tel Aviv Gesang und wurde zum Militärdienst verpflichtet, welchen sie als Teil des Militärorchesters absolvierte. Kurz darauf lernte Esther Loewy bei einem Auftritt ihres Arbeiterchors ihren zukünftigen Ehemann Nissim Bejarano kennen. Nachdem Nissim aufgrund seiner sozialistischen Gesinnung seine Anstellung als LKW-Fahrer verlor und zum Militärdienst eingezogen werden sollte, wanderte die Familie nach Deutschland aus. Nissim und Esther Bejarano wollten an keinem Krieg mehr beteiligt sein, zudem kritisierten sie die palästinenserfeindliche Politik der israelischen Regierung.

1960 ließ sich die Familie mit mittlerweile vierköpfige Familie in Hamburg nieder und engagierte sich weiter gegen faschistische Bestrebungen, insbesondere in der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antfaschistinnen und Antifaschisten (BdA). Gemeinsam mit anderen Holocaustüberlebenden organisierte sie zudem Bildungsreisen in Konzentrationslager und antifaschistische Konzerte. 1999 verstarb Esthers Mann Nissim an Parkinson. Dennoch nahm Esther Bejarano weiter an Konzerten und Gegendemonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche teil und engagierte sich für die Rechte von Geflüchteten und Verfolgten.

Esther Bejarano war eine der letzten wenigen Holocaustüberlebenden. Ihr unermüdlicher Einsatz gegen den Faschismus ist nicht nur mutig und bewundernswert – er ist wichtig. Gerade in Deutschland halten viele Menschen eine Wiederholung der nationalsozialistischen Zeit für unmöglich, aber der Aufstieg rechter Parteien und Strukturen bis hinein in politische Ämter und staatliche Institutionen beweisen uns das Gegenteil. Wir dürfen nie aufhören, gegen den Faschismus zu kämpfen!

„Ihr habt keine Schuld an dieser Zeit. Aber ihr macht euch schuldig, wenn ihr nichts über diese Zeit wissen wollt. Ihr müsst alles wissen, was damals geschah. Und warum es geschah.“

Esther Bejarano

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