Polittourismus in Krisengebieten

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Benötigter Beistand oder schamlose Selbstinsezierung?

Kommentar

Seit letzter Woche wird das Leben vieler Menschen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz nie mehr so sein, wie es einmal war. Vieles von dem was ihnen wichtig war und was sie sich in Jahren oder Jahrzehnten aufgebaut hatten, wurde weggespült. Seit letzter Woche leben viele von ihnen in einem dauernden Zustand des Schocks. Sie dürfen nicht mehr in ihren Häusern leben. Sie erkennen ihre eigene Straße nicht mehr wieder.

In dieser Zeit, in der die Normalität für diese Menschen so weit weg erscheint, fragt sich die gesamte Republik, wie diesen Menschen geholfen werden kann. Es wird digital Anteilnahme gezeigt, Spendenkonten werden eröffnet oder LKW-Ladungen mit Sachspenden in die betroffenen Gebiete entsannt. Was davon tatsächlich bei den Überlebenden ankommt und ihnen hilft, bleibt zur Zeit noch fraglich.

Die deutsche Spitzenpolitik hat einen ganz eignen Weg gefunden, mit dieser Krise umzugehen. Nach und nach trudeln Sie, einer nach der anderen, in die Gebiete ein, begehen die zerstörten Innenstädte, reden mit Überlebenden und Helfer:Innen. Mittlerweile bekommt die Republik nicht mehr nur das Ausmaß der Katastrophe, sondern das Ausmaß des Krisentourismus hochrangiger Regierungsmitglieder in den Nachrichten gezeigt. Was bringt es, den Betroffenen nicht nur von der Kanzlerin, sondern gleich von beiden Ministerpräsidenten, dem Innenminister, dem stellvertretenden Bundeskanzler, dem Bundespräsident und vielen weiteren Politiker:innen nacheinander ein und dieselbe Nachricht zu erhalten?

Natürlich ist es für die Betroffenen wichtig zu wissen, dass sie nicht alleine dar stehen. Es ist wichtig, dass sie von der Politik gesehen werden und dass sie unterstützt werden – mit Worten und mit Taten.

Die akute Traumatisierung, die diese Menschen zur Zeit erleben, kann durch die unterstützenden Worte von Menschen in Machtpositionen zwar nicht aufgehoben werden, allerdings kann die anschließende Verarbeitung dieses Traumas damit zumindest ein wenig erleichtert werden. Diese Verarbeitung setzt erst nach dem beschriebenen Schockzustand ein. Währenddessen werden die alten Überzeugungen, die diese Menschen über ihr eigenes Leben und die Welt, in der dieses stattfindet, hinterfragt und das Trauma in diese Überzeugungen eingebunden. Bei besonderes schweren und wiederholten Traumata kann es dazu kommen, dass die neuen Informationen bezüglich des Traumas nicht mit den vorherigen Überzeugungen über eine sichere Welt in Einklang gebracht werden können. Dieser Bruch mit den alten Überzeugungen kann schwere psychische Erkrankungen wie die posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen oder Suchterkrankungen zur Folge haben.

Wenn Politiker:Innen also ihre Anteilnahme bekunden, ihre Unterstützung anbieten und diese Hilfen tatsächlich auch umsetzen, können Überlebende materialistisch und auch psychologisch gesehen besser aus der Krise hervor gehen. Vorausgesetzt die Anteilnahme geschieht authentisch und mit der nötigen Ernsthaftigkeit.

Allerdings kann diese Zusicherung auch von einer dieser Personen bereits ausreichen. Es müssen nicht alle, die einen Regierungsposten inne haben, in die Krisengebiete fahren und sich dort wiederholen. Dann hat es nämlich den Anschein, dass es den Politiker:Innen überhaupt nicht um die Menschen vor Ort, sondern um ihren Platz in der Öffentlichkeit geht. Und das ist im Superwahljahr 2021 nur natürlich. Neben dem Überlebenskampf in den Flutgebieten, geht der Wahlkampf weiter. Und dieser Wahlkampf wird kaum noch mit Inhalten geführt. Ganz nach dem amerikanischen Vorbild werden einzelne Kandidat:Innen deskreditiert und Wahlprogramme auf mehreren hundert Seiten unverständlich für die Allgemeinheit gemacht.

„Bei Wahlen wählt man nicht Programme, sondern Parteien und Personen, und das heißt natürlich, dass es relevant ist, wie einzelne Politiker*innen sich in Notlagen verhalten. Ob sie bei ihrer bisherigen Klimapolitik bleiben wollen, ob sie Ursachen leugnen oder nicht – oder eben, ob sie angesichts von Tod und Elend im Hintergrund immer noch lachen können wie Armin Laschet.“

Margarete Stockowski

Auch wenn ein inhaltlich geführter Wahlkampf die deutsche Gesellschaft bestimmt weiter bringen würde, als einer der auf dem Charisma und dem perfekten Hintergrund einzelner Kandidat:Innen beruht, hat sich die Politik dagegen entschieden. Dieser Wahlkampf sollte allerdings nicht auf dem Rücken Überlebender geführt werden. Politiker:Innen sollten sich darauf berufen, was ihre Aufgabe ist. Sie sollten ihre Wähler:Innen repräsentieren und Verantwortung übernehmen. Das kann nur erfüllt werden, wenn sie bei Besuchen von Krisengebieten die nötige Ernsthaftigkeit an den Tag legen oder direkt dort bleiben wo sie am besten arbeiten können. Denn besonders vom eigenen Büro aus können sie Entscheidungen treffen, denen den Menschen helfen die Krise zu überstehen und risikieren dabei nicht die Aufräumarbeiten mit überflüssigen Besuchen lahm zu legen.

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