Kommentar
Der rechtsextremistische Anschlag im hessischen Hanau am 19. Februar 2020 liegt nun fast 1,5 Jahre zurück. Tobias R. erschoss innerhalb von 12 Minuten gezielt 9 Menschen mit Migrationshintergrund. Tatort waren eine Shisha-Bar, ein Kiosk und eine weitere Bar. Zahlreiche Zeug:inn:en sowie ein späteres Todesopfer probierten in der Tatnacht 110 anzurufen. Vergeblich. Es gab bei der Polizei nur zwei Telefone, an denen Notrufe entgegen genommen wurden, doch noch nicht mal eins davon war durchgängig besetzt. Eine Weiterleitung für 110 war, das zeigen Recherchen des ARD, des HR und des Spiegels, ebenfalls nicht eingerichtet. Aber nicht nur das. Auch hatte die Polizei zuvor die Notausgangstür der Shisha-Bar blockiert, berichteten Stammgäste, laut Migazin und rief nicht sofort auf Wunsch eines im Hals getroffenen Opfers den Krankenwagen, sondern fragte es vorher nach seinen Personalien. Schnell war klar, die Polizei hätte Menschenleben retten können, versagte aber und war mitschuldig an den Opfern von Hanau. In welchem Ausmaß jedoch, wurde erst vergangenen Monat bekannt, als das hessische SEK Frankfurt aufgrund von Rechtextremismusenthüllungen aufgelöst wurde. 13 der 19 (Ex-) SEK Beamt:inn:en, die sich rechtsextrem in Chats geäußert hatten, waren in der Tatnacht von Hanau im Einsatz, berichtet die FAZ. Mehr dazu gibt es auch auf der Internetseite der Initiative 19. Februar Hanau.
SEK
Am 10. Juni vergangenen Monats teilte das hessische Ministerium des Inneren und Sport in einer Pressemitteilung mit, dass das SEK Frankfurt aufgelöst werden solle. Auf Grund von rechtsextremen Chatverläufen liefen Ermittlungen gegen 18 aktuelle und eine:n ehemalige:n Beamt:i:e:n des SEKs. Eine:r der Beamt:inn:en sei sofort suspendiert worden. Aber was genau ist überhaupt das SEK und wann ist es im Einsatz? Jede Polizei jedes Bundeslandes hat mindestens ein Spezialeinsatzkommando. Der Bund auch. Zum Einsatz komme es bei Terroranschlägen, Amokläufen, Razzien, Entführungen oder beispielsweise Geiselnahmen. Auch arbeite das SEK präventiv wie zum Beispiel bei der Observation von Verdächtigen oder bei der Begleitung von Gefangenentransporten. So steht es auf der Internetseite der Gewerkschaft der Polizei ( GdP). Auch werde das SEK bei gewaltätigen Demonstrationen eingesetzt.
Dazu ein kurzer Exkurs: Mittlerweile ist viele Jahre bekannt, dass die Polizei Agent Provocateurs und verdeckt agierende Beamt:inn:en einsetzt um auf „linken“ Demos Gewalt gegen eigene Polizeikolleg:inn:en auszuüben, auf die dann Einkesselung, Polizeigewalt, Auflösung von Demonstrationen und negative Presse folgt. Unter Anderem kann dadurch fälschlicherweise die Hufeisentheorie unterstützt und begründet werden, die besonders in unserer heutigen Gesellschaft eine gefährliche These ist. Schon 2010 zu Zeiten von Stuttgart 21 berichteten Polizist:inn:en, die geheim bleiben wollen, von den gewaltvollen und verdeckten Vorgehen der Polizei bei Demonstrationen.
Ein Beamter des SEKs, der wegen rechtsextremer Nachrichten vor dem Amtsgericht Alsfeld stand, wurde mitterweile der Anklage wegen Volksverhetzung frei gesprochen. Verurteilt wurde er wegen dem illegalen Besitz von Waffen und Munition. Obwohl auf Marcel G.s Waffenschrank ein neonationalsozialistischer Aufkleber klebte und er ein Tattoo hat, das in der Neonazi-Szene als Ersatz für das Hakenkreuz genutzt wird. Außerdem sammelt er, laut Internetseite des BNRs, Objekte aus der NS-Zeit. Die Nachrichten und Posts, die er in die Chatgruppen geschickt hatte, waren zutiefst rassistisch. Unter den Teilnehmer:inne:n dieser rassistischen Chatgruppen waren nicht nur Beamt:inn:en des SEKs sondern auch des LKAs Hessen, schreibt die FAZ.
Die deutsche Polizeigewerkschaft
Oder auch DPolG ist nach der GdP die zweitgrößte Gewerkschaft für Polizist:inn:en. Auf ihrer Internetseite schreibt sie, dass sie die „beruflichen, sozialen, wirtschaftlichen und finanziellen Interessen der Polizeibeschäftigten in Deutschland“ vertritt. 100.000 der 320.000 Polizist:inn:en in Deutschland sind Mitglieder der deutschen Polizeigewerkschaft.
Die DPolG lässt sich mit Rassismus und Rechtsextremismus in Verbindung setzen. Da wäre unter anderem ihr eigener Kalender, für den sie rassistische Karrikaturen erstellte. Nach dem an-die-Öffentlichkeit-treten der rassistischen Kalendermotive 2012, führte Vice ein Interview mit dem noch heutigen Vorstand, Rainer Wendt. Auch zeigt Vice in dementsprechendem Artikel mehrere der rassistischen Karrikaturen. Was Rainer Wendt zu dem Kalender zu sagen hatte, war: „Rassistisch schätzen das nur Leute ein, die auf der Suche nach Rassismus sind.“ Und: „Ja … die Motive sind für viele Kollegen und Kolleginnen unterhaltsam und da wird auch immer wieder herzhaft drüber gelacht.“ Gleichzeitig verneint er, dass die Polizei ein Rassismusproblem hat. Auch gab Wendt ein Interview im rechtsextremen Magazin „Compact„. In diesem Interview sagte er, dass Sexismus „fast zu den Grundbausteinen“ der „Machokultur junger Muslime“ gehöre. Das berichtet Focus in ihrem Artikel, in dem Wendt ebenfalls interviewt wird und das Rassismusproblem in der Polizei leugnet.
Damit ist jedoch nocht nicht genug. Der aktuelle Landeshauptvorstand der DPolG Berlin Bodo Pfalzgraf war Mitbegründer des Vereins „Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerk“. Eine Tarnorganisation für Rechtsextremist:inn:en und Neonationalsozialist:inn:en, schreibt die TAZ. Sie steht unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Auch berichtet die TAZ von Verbindungen der DPolG Berlin zur AfD.
Der Verfassungsschutz und die Verfassung
Ähnlich wie beim SEK gibt es in jedem Bundesland einen Verfassungsschutz, sowie ein Bundesamt für Verfassungsschutz. Das besitzt jedoch kein Weisungsrecht gegenüber dem Verfassungsschutz der einzelnen Bundesländer. Auf der Internetseite des Bundesamts für Verfassungsschutz steht, der Verfassungsschutz sorge für die „Sicherung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung“. Zu unserer Grundordnung und Verfassung gehören ohne Frage die Menschenrechte, die Teil unseres Grundgesetzes sind.
Paragraph 3 Artikel 3 besagt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.“ Hier fallen gleich mehrere Dinge negativ auf, auch wenn die Hauptaussage natürlich grundlegend ist.
Es gab bereits einen Diskkurs über die Verwendung des Wortes Rasse. Man könnte meinen, das Grundgesetz basiere auf der Idee, dass es verschiedene Rassen gäbe. Rasse ist jedoch nur ein soziales Konstrukt und besteht nicht in der Natur des Menschen. (Da aber eben diese Annahme in unserer Gesellschaft herrscht, gibt es natürlich Rassismus und rassistische Diskriminierung als Produkt dessen. )
Außerdem ist längst klar, dass selbst in unseren judikativen Einrichtungen oder auf unseren Arbeitsplätzen generell Islamophobie herrscht. Während christliche Kreuze in Gerichtssälen hängen, dürfen Richter:innen keine Kopftücher mehr tragen und Arbeitnehmer:innen wegen dem Tragen von Kopftüchern gefeuert werden. Wie sollen sich Menschen integrieren, die auf Grund ihres Glaubens Diskriminierung und Ausschluss erleben?
Das ist aber natürlich mal wieder nicht alles. Schüler:innen wie auch Wohnungs– und Jobsuchende haben auf Grund eines „nicht-deutsch-klingenden“ Nachnamens garnicht erst die selben Chancen wie Menschen mit „deutsch-klingendem“ Nachnamen. Das haben mehrere Studien gezeigt.
Was also in der Theorie grundlegender Teil unserer Verfassung ist, ist marginanisierten Gruppen garnicht erst gewährleistet. Zu den marginalisierten Gruppen gehören nicht nur Menschen, die einen anderen Glauben als den Chrsitlichen haben, Frauen, Menschen mit Behinderungen, Menschen mit Migrationshintergrund, (B)POCs sondern auch beispielsweise nicht-heterosexuelle Menschen. Von sexueller Orientierung wird nämlich überhauptnichts erwähnt im oben genannten Artikel 3. Sprich: Wer nicht Teil des Patriachats ist, also ein weißer (nicht-linker) cis-hetero Mann, der wird durch unsere Verfassung oder genauer gesagt unseren Verfassungsschutz garnicht wirklich in allen seinen Rechten geschützt.
Spätestens seit der Sperrung der NSU Akten für 120 Jahre durch den Verfassungsschutz Hessen ist außerdem klar, dass der Verfassungsschutz viel weniger unsere Verfassung oder uns Bürger:innen als viel eher das herrschende Patriachat schützt. Aber natürlich gibt es diese Probleme nicht nur in Hessen. Auch beim nordrhein-westfälischen Verfassungsschutz beispielsweise sind Mitarbeiter:innen auf Grund von rechtsextremer Hetze in Chats bekannt geworden, die selber für die Beobachtung Rechtsextremer zuständig waren.
Keine Einzelfälle
Nicht nur der Verfassungsschutz, die deutsche Polizeigewerkschaft oder das SEK haben Verbindungen zu Rechtsextremismus und Rassismus. Auch beim Kommando Spezialkräfte der Bundeswehr, dem KSK, gab und gibt es immer wieder Soldat:innen mit rechtsextremen Ansichten. All diese Institutuionen sind Teil der Exekutive und sollten uns und unsere Menschenrechte eigentlich schützen.
Unsere Demokratie basiert auf drei Grundbausteinen. Der Judikative, der Exekutive und der Legislative. Die Judiktive ist die gerichtliche, rechtgebende Gewalt. Die Exektuive ist die ausführende Gewalt. Also: Politiker:innen, Polizist:innen und zum Teil Soldat:innen. Zur Legislative gehören die Einrichtungen, die Gesetze machen können. Das wären der Bundestag, der Bundesrat und die Landtage zum Beispiel. Wenn sich durch all diese drei Grundbausteine Rassismus und Rechtsextremismus ziehen – Also durch den Teil, der Gesetze verabschiedet, den Teil, der über die Rechtskräftigkeit dieser Gesetze entscheidet und den Teil, der die Gesetze ausübt – Dann wird deutlich, dass Hanau jederzeit wieder passieren kann. Dass Halle jederzeit wieder passieren kann. Oder, dass ein Mord wie der an Walter Lübcke jederzeit wieder passieren kann. Die Geschehnisse sind bis heute unvorstellbar erschütternd und können jederzeit wieder und jede:r:m von uns passieren. Die marginalisierten Gruppen, die von eben diesem Rechtsextremismus und dieser Diskriminierung betroffen sind, sind nämlich keinesfalls Minderheiten, sondern sie machen den großen Teil unserer Gesellschaft aus. Nur wir alle zusammen können etwas an dieser Ungerechtigkeit, auf der unser politisches System aufbaut, verändern. Denn das jetzige System würde ich keinesfalls als demokratisch bezeichnen, solange nicht jede:r Einzelene von uns gleich vor unserem Gesetz steht und gleich durch unser Gesetz geschützt wird.