Aufgebläht – Warum der nächste Bundestag größer wird und warum das ein Problem ist

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Die Bundestagswahl 2021 gilt schon jetzt als historisch. Nie waren gleich drei Kandidat:innen ernsthaft am Kanzleramt interessiert, nie schwankten die Umfragewerte der Parteien in den letzten Wochen vor der Wahl so erheblich und nie waren inhaltliche Schwerpunkte wie der Klimawandel und die soziale Ungleichheit in der Geschichte der Bundesrepublik so dringend wie in diesem Jahr. Doch wenn die von der Parlamentsverwaltung beauftragten Handwerker vor der ersten Sitzung der neuen Legislaturperiode den Bundestag umbauen werden, werden sie die blauen Stühle vom Typ „Figura“ nicht nur anhand des Wahlergebnisses neu ordnen, sondern wohl auch zahlreiche neue Stühle anschaffen müssen. Denn aller Wahrscheinlichkeit nach, ensteht dann der größte Bundestag aller Zeiten.

Die Gründe für den kommenden Mega-Bundestag liegen im deutschen Wahlsystem. Eigentlich liegt die Größe des Parlaments nach dem Bundeswahlgesetz bei 598 Abgeordneten. Diese Zahl ist über Überhang- und Überhangausgleichsmandate jedoch nach oben hin offen. Ein Überhangmandat entseht dann, wenn eine Partei mehr Abgeordnete über ihr Direktmandat, also eine erfogreiche Wahl über die Erststimme in einem Wahlkreis, in den Bundestag einziehen lässt, als es das über die Zweitstimmen bestimmte Parteienverhältnis zulässt. Über Überhangausgleichsmandate soll diese Verzerrung der Verhältnisse ausgegelichen werden.

Früher war die Anzahl dieser Mandate überschaubar. Der absolute Großteil der Erststimmen in den jeweiligen Wahlkreisen fiel entweder auf die Union oder die SPD, eine andere Partei hatte in aller Regel eh keine Chance auf das Direktmandat. Doch mit starken Grünen könnte dies kippen. Wenn sich die Wähler der linken Hälfte des politischen Spektrums mit ihrer Erststimme auf SPD und Grüne aufteilen, werden die Kandidaten der CDU deutlich mehr Wahlkreise für sich gewinnen können als bisher. In Kombination mit den schlechtesten Zweistimmen-Umfragewerten in der Geschichte der Union entstehen so zahlreiche Überhangmandate, die zu Gunsten der anderen Parteien ausgeglichen werden müssen. Der Bundestag bläht sich so immer weiter auf.

Derzeit sitzen statt 598 ganze 709 Mitglieder im deutschen Parlament. Experten und Analytiker sagen für die kommende Legislaturperiode eine Parlamentsstärke von 800-900 vorraus, einige wenige prophezeihen sogar, dass die Grenze von 1.000 Abgeordneten durchbrochen werden könnte.

Das ist gleich mehrfach problematisch. Bereits jetzt kostet der Bundestag den Steuerzahler rund eine Milliarde Euro jährlich, vor zehn Jahren waren es nur 667 Millionen Euro. Teuer sind insbesondere die Unterhaltskosten der Abgeordnetenbüros inklusive Mitarbeiter*innen und Arbeitsplätze, die Finanzierung der Fraktionen des Bundestags sowie die Gehälter der Abgeordneten selbst. Alle Kostenpunkte würden mit einem Anstieg der Zahl der Abgeordneten weiter in die Höhe schnellen. Außerdem müssen die jeweiligen Fraktionen ihre Redezeiten auf mehr Abgeordnete aufteilen als bislang, damit selbst Hinterbänkler*innen zumindest ab und zu eine Rede im Parlament halten könnne. Eine kürzere Redezeit bedeutet aber auch eine inhaltlich weniger tief gehende Debatte über Gesetzesvorhaben.

Dass dies passierren könnte wird im politischen Berlin schon länger diskutiert. Fast alle Fraktionen brachten Vorschläge vor, beispielweise die Idee, dass nur Direktkandidaten mit besonders deutlichem Vorsprung ein automatischen Mandat erhalten, die allerdings allesamt von der Union im Keim erstickt wurden. Dort fürchtete man um den Verlust von Sitzplätze für verdiente Parteimitglieder. Insbesondere die CSU, welche 2017 alle Direktmandate in Bayern gewann, wehrte sich heftig.

Je nach Wahlausgang und dem Abschluss von Koalitionsverhandlungen könnte sich dies innerhalb der nächsten Legislaturperiode ändern. Bis dahin wird die kommende Parlamentsgröße eine Belastung für den Steuerzahler, die Parlamentskultur und die umbauenden Handwerker.

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