Kommentar
Am 5. Oktober diesen Jahres veröffentlichte die MaLisa Stiftung erstmals in Berlin eine neue Studie zum Thema Repräsentation von marginalisierten Gruppen im deutschen Fernsehen. Untersucht wurden zum Beispiel Anzahl von Frauen im Vergleich zu Männern in verschiedensten audiovisuellen Formaten – ob Dokumentation, Spielfilm, Show oder Kinderserie. Ebenfalls untersuchte die Studie die Repräsentation von nicht-heterosexuellen Orientierungen, POC, wie auch von Menschen mit Migrationshintergrund oder schweren Behinderungen. Zuletzt veröffentlichte die Universität Rostock 2017, gefördert von der MaLisa Stiftung als auch von öffentlich-rechtlichen und privaten Sendern die Vorgänger-Studie. Deren Ergebnisse waren schockierend und Sender teilten daraufhin mit, an ihrer Diversität arbeiten zu wollen. Jetzt ist die neue Studie draußen, die nicht Inhalte von 2016, sondern von 2020 analysierte. Wie sehen die Ergebnisse 4 Jahre später aus?
Frauen im Fernsehen
Es gibt immer noch doppelt so viele Männer in deutschen Fernsehsendungen wie Frauen. Das Alter der Frau spielt dabei eine erschreckende Rolle. Die Studie 2017 ergab, dass ab Mitte 30 bis 50 eine zweifache Anzahl von Männern auf die der Frauen kommt. Bis zum Alter 30 sei die Anzahl noch gleich, schreibt MaLisa zur Studie „Audiovisuelle Diversität“ 2017. Bei Über-50-Jährigen gibt es dann schon die dreifache Anzahl an Männern. Die neue Studie soll eine kleine Verbesserung des Frauenanteils in dieser Altersgruppe verzeichnet haben. Die Universität Rostock zeigte 2017, dass der größte Unterschied jedoch im nicht-fiktionalen Fernsehen lag. Dort gab es 80 mal mehr Männer als Frauen. Auch diese Nummer soll sich laut neuer Studie der MaLisa Stiftung, die sich mit den Zahlen von 2020 befasste, etwas verbessert haben. Für Erklärstimmen liegt der Anteil der Männer aktuell jedoch immer noch bei über 70 Prozent. Ebenfalls hoch liegt der Anteil der männlichen Expert:inn:en, die im Fernsehen gezeigt werden. Quizshows werden fast zu 90 Prozent von Männern moderiert. Die großen Unterschiede beziehen sich dabei natürlich nicht nur auf Programm für Erwachsene sondern auch auf Programm für Kinder. (Fiktionale) pflanzliche Figuren und Objekte sind beispielsweise nahezu alle männlich. Tierfiguren werden zu über 80 Prozent als männlich dargestellt.
Bereits die großen Unterschiede bei den älteren Schauspieler:innen weisen darauf hin, dass egal wie hoch die Anzahl der Frauen im Fernsehen insgesamt sein mag, sie nicht gleich Repräsentation bedeutet. Die meisten Frauen im Fernsehen entsprechen patriachalen Schönheitsidealen. Weibliche Charaktere unterliegen meistens irgendeiner Form der Objektifizierung und somit Entmenschlichung. Wie oft kommt es im wahren Leben vor, dass eine Frau mit perfektem, unscheinbaren Make-Up aufwacht und dabei noch gestylte Haaren hat? Wie oft wird Körperbehaarung bei Frauen gezeigt? Dass Frauen selbst nach einer Zombieapokalypse noch perfekt rasierte Beine haben ist doch schlicht unmöglich. Oder wenn sie als Actionfigur, die ständig am Kämpfen und kurz vorm Sterben ist, eher Minikleid als Hose trägt und immer als erstes zerissene Kleidung hat. In diesen Fällen müssen wir eindeutig von einer Objektifizierung sprechen. Auch Körper und Gesicht müssen in den meisten Fällen, ob in fiktiven oder informativen Sendungen, möglichst dünn und möglichst weiß aussehen. Wer mehr zur Frau im Film erfahren will, der sollte unbedingt Franzis Artikel „Die Frau im Film – vom Male Gaze, Bechdel-Test und sexy Stehlampen“ lesen.
LGBTQIA+
Was Gender und Geschlecht oder sexuelle Orientierung angeht, untersuchte die MaLisa Stiftung nur die Repräsentation von homo- und bisexuellen Menschen und Charakteren. Diese machen natürlich nur einen kleinen Teil der gesamten LGBTQIA+ Community aus. Auch analysierte die Studie nicht die Zahlen von beispielsweise transsexuell – , non-binär – oder intersexuell dargestellten Personen.
Das Ergebnis der Studie zeigt, dass sich nur 2 Prozent der Personen und Charaktere im deutschen Fernsehen als homo- und bisexuell einordnen lassen. Eine weltweite Umfrage von Ipsos zum Pride 2021 zeigte aber, dass sich mittlerweile nur noch 68 Prozent der Kinder und Erwachsenen der Gen (-eration) Z (Menschen die ab 1997 und später geboren wurden) als heterosexuell identifizieren. Laut Umfrage bezeichnen sich dabei knapp 10 Prozent als bisexuell und 4 Prozent als lesbisch oder schwul. Weitere Statistiken wie anschaubare Grafiken dazu sind auf der Website von Ipsos zu finden. Die MaLisa Stifung spricht von einem Zehntel der Gesamtbevölkerung, der sich nicht als heterosexuell identifiziert. Aber egal welche Studie oder Umfrage miteinander verglichen wird: Was alle Studien zusammen zeigen ist, dass die Zahlen jährlich steigen. Ausführliche Ergebnisse findet ihr in diesem PDF nochmal.
Bereits 2012 führte die University of Rochester (Großbritannien) eine Studie durch, die US-amerikanische und deutsche Student*innen mit jeweils 4 verschieden Experimenten zum Thema Homophobie und Homosexualität untersuchte. Die Studie behandelte den Zusammenhang von homophoben Einstellungen und internalisierter Homophobie, schreibt Science Daily in einem Artikel auf ihrer Internetseite. Die Experimente ergaben, dass Menschen, die sich als heterosexuell identifizierten jedoch insgeheim homosexuelle Tendenzen aufweisen konnten, sich durch queere (nicht-heterosexuelle) Personen bedroht fühlen, weil diese sie an eigene homosexuelle Tendenzen erinnern könnten, schreibt Netta Weinstein, eine der Hauptautorinnen der Studie, die erstmals in dem Magazin Journal of Personality and Social Psychology erschien. Das heißt, egal was eine Studie basierend auf Antworten der Teilnehmenden zum Thema LGBTQIA+ Identifizierung ergibt. Die eigentliche Dunkelziffer ist mit hoher Wahrscheinlichkeit immer höher.
Dabei sollte natürlich betont werden, dass die herrschende Homophobie nicht an homosexuellen Menschen selber liegt, sondern an unserer Politik und Gesellschaft. Studien wie die der MaLisa Stiftung lassen vermuten, dass die Unter- oder schlechte Repräsentation von queeren Charakteren einen großen Einfluss auf die Gesellschaft nimmt. Je weiter mensch in der Filmgeschichte zurück gehen würde, destso mehr kommt zu der Unterrepräsentation queerer Charaktere und Personen eben noch eine Dämonisierung und Tabuisierung hinzu. Eine hohe Anzahl an queeren oder nicht cis-hetero-normativen Charakteren steht ebenfalls nicht gleich für eine gute Repräsentation.
Neben negativen bis zu feindlichen Stereotypen marginalisierter Gruppen, gibt es noch eine andere Seite: Pink-Washing. Pink-Washing beschreibt die Ausbeutung von der LGBTQIA+ Community zu Werbezwecken. Der ZDF benutzt dafür BMW als Beispiel für einen Artikel, in dem die aktuelle Lage für LGBTQIA+ in Deutschland aufgezeigt wird. Auch in Werbungen kann man immer häufiger gleichgeschlechtliche Paare oder nicht cis-hetero-normative Personen sehen. Auf der einen Seite ist das gut, denn je mehr positive Darstellung, destso mehr Toleranz. Auf der anderen Seite ist Pink-Washing ethisch sehr fraglich in Anbetracht darauf, dass viele Firmen sogar Politiker:innen und Parteien, die öffentlich gegen LGBTQIA+ vorgegangen sind, unterstützt haben, nun aber wie BMW möglichst viel Kapital und Gewinn an queeren Personen machen wollen.
Menschen mit Migrationshintergrund und (B)POC
Genauso wenig wie die Zahlen der Anteile von Frauen oder nicht-cis-heterosexuellen Personen wirklich repräsentativ sind, sieht es natürlich auch bei POC (people of color) aus. Dass eine Person mit Migrationshintergrund vorkommt, heißt lange noch nicht, dass dies als Repräsentation zählen sollte. Wer kennt sie nicht? Die „bösen Russen“, die meistens Hacker sind. Islamistische Terroristen, die mal wieder den Untergang der Welt planen. BPOC ( black people of color), die in Dokumentationen trommeln und um Feuer springen. Eben solche Bilder sind jedoch extrem problematisch, da sie rassistisch sind. Wie könnten Feindbilder sowie negative Stereotypen auch nur ansatzweise repräsentativ sein? Die (Schein-)Represäntation erfüllt viel eher Propagandazwecke als aktiv eine marginalisierte Gruppe zu repräsentieren. Und unser wirkliches Terrorproblem, das des Rechtsextremismus, wird dadurch nur verschärft und zugespitzt. All das leuchtete die Stiftung nicht aus.
Trotzdessen ergaben die Studien eine starke Unterrepräsentation. MaLisa schreibt auf deren Internetseite, dass die Anzahl der Menschen mit Migrationshintergrund in Deutschland bei knapp 30 Prozent liege. Weitere Recherchen ergaben ähnliche Zahlen. Von Charakteren und Menschen im Fernsehen haben jedoch nur etwa 10 Prozent Migrationshintergrund. POC sowie BPOC sind sogar nur zu 5 Prozent vertreten.
Menschen mit schweren Behinderungen
Die MaLisa Stiftung bezog sich bei der Analyse auf Menschen mit schweren, sichtbaren Behinderungen. Die laut ihr einen etwa sechsprozentigen Anteil der deutschen Bevölkerung ausmachen. Als Hauptcharaktere waren diese jedoch nur zu 0,4 Prozent vertreten. Dass unsere Gesellschaft sich unbedingt mit Ableistmus, also der Disrkiminierung von Menschen mit Behinderungen auseinandersetzen sollte, wird durch die Ergebnisse der Studie weiter unterstrichen. Menschen mit besonderen Bedürfnissen erleben selten eine Inklusion in unsere Gesellschaft, was an vielen verschiedenen Faktoren liegt. „Behindert“, genauso wie „schwul“, ist noch immer eine negativ-konnutierte Beleidigung, die noch von einem Großteil an Kindern und Erwachsenen genutzt wird. Sprache kann nicht von Inhalten abgegrenzt werden, da sie ein Medium ist und somit jedem Wort einen Wert, einen Tonklang, eine Verbindung und Bedeutung gibt.
Deutsches Fernsehen: made by white men for white men
Allein zahlentechnisch herrscht in jedem audiovisuellen Bereich des deutschen Fernsehs eine oft extrem strake Unterrepräsentation von marginalisierten Gruppen. Auch noch 4 Jahre nach der ersten Studie, die die Universität Rostock durchführte. Sie sollte als Warnzeichen und Aufruf gesehen werden, die Repräsentation von marginalisierten Gruppen zu erhöhen und die bereits Vorhandene kritisch zu hinterfragen und zu verbessern. Die Studie selbst hat sich zunächst nur mit wenigen, oberflächlichen Zahlen und Bereichen befasst. Wer Repräsentation von marginalisierten Gruppen wirklich verstehen und erforschen will, muss sich unbedingt mit der Intersektionaliät dieser Gruppen wie auch mit Rassismus, Homo- und Transphobie, Sexismus und Ableismus befassen.