Nicht das Gesicht verlieren – ein Kommentar zur Ampelkaolition

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Für die Grünen war die letzte Bundestagswahl ein Fluch und Segen zu gleich. Ein Segen, weil sie nun in einer (sehr wahrscheinlichen) Koalition an der Regierung beteiligt sein werden und sich somit erst einmal erproben können, bevor sie tatsächlich irgendwann eine*n Kanzler*in stellen. Ein Fluch, weil die einzige Möglichkeit, ebendiese Regierungsbeteiligung wahrzunehmen, ein Bündnis mit der FDP bedeutet. Verschiedener geht es kaum. Und doch müssen jetzt Kompromisse gefunden werden. Da stellt sich die Frage, was der Begriff „Kompromiss“ eigentlich genau bedeutet. Denn bisher sieht es so aus, als hole sich eher die FDP Zugeständnisse zu ihren eigenen Zielen ein, während die Grünen nach und nach ihre Vorhaben aufgeben. Mit Beschluss des Sondierungspapiers sind zahlreiche Projekte der Grünen schon gestorben: Ein Tempolimit von 130 km/h auf Autobahnen wird es nicht geben, genauso wenig wie Steuererhöhungen für Spitzenverdiener*innen oder die Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Auch andere Wahlversprechen wie das Ersetzen von Hartz IV durch ein sogenanntes „Bürgergeld“ oder die Mobilitätswende sind in dem Papier nur vage umrissen – etwas Konkreteres gibt es nicht.

Die Meinungen dazu sind gespalten. Während Christian Ströble, langjähriger Bundestagsabgeordneter der Grünen twitterte: „Lindners Porsche nicht zu bremsen“, zeigte Grünen-Chef Robert Habeck auf die Erfolge, die man habe verzeichnen können. Und in der Tat, ganz erfolglos ist die Partei nicht geblieben: ein Mindestlohn von 12€, eine moderne Einwanderungspolitik, Absenkung des Wahlrechts auf 16 und Erfolge beim Klimaschutz (Solarpflicht auf Neubauten, früherer Kohleausstieg und 2% der Landesflächen für erneuerbare Energien). Das mag allerdings auch daran liegen, dass Habeck – sollte es wirklich zu einer Ampelkoalition kommen – wohl der Vizekanzler werden soll. Da tut es vielleicht nicht ganz so sehr weh, wen man sich bei seinem Herzensthema, der Steuerpolitik, nicht durchsetzen konnte. (Eine genaue Auflistung, wer sich wo durchgesetzt hat, findet ihr hier)

Aber auch Christian Lindner zeigt sich wankelmütig. Noch im Wahlkampf erklärte er, dass ihm die Fantasie fehle, wie seine Partei mit den Grünen und der SPD zusammenfinden solle. Das scheint sich jetzt geändert zu haben. Oder wie Robert Habeck sagte: „Wenn man nachts stundenlang redet, dann lernt man sich ganz gut kennen.“ Das klingt zwar mehr nach einem Gespräch mit Fremden nachts auf der Club-Toilette, für die Regierungsbildung ist es allerdings auch nicht schlecht, wenn sich die Partner „ganz gut kennenlernen“. Christian Lindner kann sich jedenfalls kein zweites Debakel leisten. Nach seinem Abbruch der Koalitionsverhandlungen im Jahr 2017, in dem Lindner erklärte, man regiere lieber gar nicht als falsch, muss er dieses Mal am Ball bleiben. Ansonsten dürfte er das Vertrauen seiner Wähler*innen vollends verlieren.

Dann kommt noch dazu, dass es zum ersten Mal in der Geschichte ein Dreierbündnis auf Bundesebene geben soll. Innerhalb einer Dreierkonstellation Kompromisse zu finden, gestaltet sich nicht unbedingt einfach, diese Erfahrung kennt jede*r der*die einmal mit mehr als einer weiteren Person etwas unternehmen wollte. Auch gibt es keinen übermächtigen Partner – solange FDP und Grüne zusammenhalten, sind sie genauso stark wie die SPD. Doch gerade weil sich die Werte aller Parteien so unterscheiden, könnte es passieren, dass sich eine Partei dem Druck der anderen (oder der eigenen mächtigen Hintermänner und -frauen) beugen muss. Das kann man aktuell in Berlin beobachten, wo SPD Kandidatin Franziska Giffey mit dem Versprechen antrat, eine bürgerliche Regierung zu bilden (also mit CDU oder FDP) und jetzt auf Drängen der eigenen Partei doch ein Linksbündnis anstrebt. Gerade im Angesicht ihrer Verschiedenheit, scheint es sinnvoller, wenn sich die Koalition auf Schwerpunkte einigt, denn die Gefahr sich mit tausenden Unterpunkten, in denen es zu Konflikten kommt, zu überfordern, ist groß.

Für die Grünen ist es jetzt wichtig, ihr Gesicht nicht zu verlieren. Habeck hat recht, wenn er sagt, dass die Zusage zu den Verhandlungen die Möglichkeit für die Grünen ist, zu zeigen, dass man eine „reife Partei“ sei. Dennoch muss ein Kompromiss ein Kompromiss bleiben und einen Vorteil für alle Beteiligten beinhalten. Alle seine Ideale zu verraten, nur um an der Regierungsbildung beteiligt zu sein, würde den Grünen vermutlich mehr Schaden als Nutzen bringen. Das Sondierungspapier bietet Hoffnung und es zeigt, der Wille ist da. Und wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.

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