Etwa einen Monat lang haben SPD, Grüne und FDP miteinander verhandelt, nun wird es konkret: Am Mittwoch Nachmittag (24.11.2021) haben die sogenannten Ampel-Parteien ihren Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen“ in einer gemeinsamen Pressekonferenz vorgestellt. Die Liste der im Vorfeld gestreuten Gerüchte und Vermutungen war lang – und das, obwohl die Verhandler:innen selbst eine hohe Disziplin in der Einhatung der selbstauferlegten Geheimhaltung zeigten. Eines schien jedoch früh als sicher: Es wird schneller gehen mit der Regierungsbildung als vor vier Jahren. Damals brauchten Union und SPD 171 Tage bis zur Regierungsbildung. Kann die Zeitplanung der Ampel eingehalten werden, danach sieht derzeit alles aus, wären sie schon am 8. Dezember, also 70 Tage nach der Bundestagswahl, regierungsfähig.
Spotlight hat für Euch die Pressekonferenz verfolgt und den Koalitionsvertrag in einer schnellen Sichtung analysiert.
Mit 12 Minuten Verspätung eröffnet der zukünftige Bundeskanzler Olaf Scholz die Pressekonfernz der Ampel mit einem ungewöhnlichen, aber erwartbaren Appell: Statt die gute Zusammenarbeit der Parteien zu loben oder einen ersten Leitsatz für die kommenden vier Jahre zu formulieren, wendet sich Scholz in staatsmännischer Manier an die Bevölkerung und sondiert die aktuelle Corona-Lage. Sein Fazit: Gesellschaftlicher Zusammenhalt und Impfen sind die Wege aus der Pandemie. Das ist erstmals nichts neues, harte Impfgegner werden sich davon auch nicht überzeugen lassen, aber Olaf Scholz möchte bereits jetzt die Rolle ausführen, die er in wenigen Wochen auch offiziell innehat.
Dann bedankt sich Scholz aber doch bei den Parteispitzen der Ampel für die Zusammenarbeit der letzten zwei Monate, spricht von dem gemeinsamen „Fortschrittsinteresse“, welches die Parteien eine. Am Ende von Scholz‘ Einleitung herrscht für ein paar Sekunden Stille im Raum, so unspektakulär wirkte sie gegenüber der erwartungsvollen Spannung. Erst als Robert Habeck mit einer unauffälligen Geste um Applaus bittet, schlagen die Anwesenden für kurze Zeit ihre Hände zusammen.
Im Anschluss rechtfertigen die jeweiligen Parteiführungen den Vertrag vor ihren Wählern und der Parteibasis. Habeck und Baerbock sprechen von Klimaneutralität und ökologischer Landwirtschaft, Lindner lobt das Potential der privaten Initiative und Walter-Borjans und Esken schwärmen von gesellschaftlicher und europäischer Solidarität. Auffällig ist aber, dass (bis auf Scholz‘ Position als Kanzler) keine Ausführungen über Personalien gemacht werden. Medien veröffentlichten aber bereits am Vormittag eine übereinstimmende Liste mit der Aufteilung der Ressorts, welche allerdings von keiner offiziellen Seite bisher bestätigt wurde:
- Bundeskanzler: Olaf Scholz (SPD)
- Kanzleramtschef: Wolfgang Schmidt (SPD)
- Finanzminister: Christian Lindner (FDP)
- Wirtschafts- und Klimaminister: Robert Habeck (Grüne)
- Außenministerin: Annalena Baerbock (Grüne)
- Arbeitsminister: Hubertus Heil (SPD)
- Innenminister:in: ? (SPD)
- Bauministerin: Svenja Schulze (SPD)
- Verteidigungsminister:in: ? (SPD)
- Gesundheitsminister:in: ? (SPD)
- Entwicklungsminister:in: ? (SPD)
- Landwirtschaftsminister: Anton Hofreiter (Grüne)
- Familienminister:in: ? (Grüne)
- Verkehrsminister:in: ? (FDP)
- Bildungsministerin: Bettina Stark-Watzinger (FDP)
- Justizminister:in: ? (FDP)
Demnach konnte die FDP eine ihrer Kernforderungen durchsetzen und ihren Parteichef Christian Lindner im Finanzministerium installieren. Ein gemeinsames Wirtschafts- und Klimaministerium ist in dieser Form in Deutschland neu, es ist davon auszugehen, dass es mit deutlich umfangreicheren Mitteln gestützt sein wird, als die Wirtschafts- und Umweltministerien bisher. Auch ein Bauministerium gab es bisher nicht. Die Ampelparteien reagieren damit auf die, insbesondere in den Städten, zunehmende Wohnungsproblematik. Insgesamt versicherte Scholz, sein Kabinett zur Hälfte mit Frauen besetzen zu wollen.
Aber was genau steht im Koalitionsvertrag?
Der Koalitionsvertrag zwischen SPD, Grünen und FDP ist 178 Seiten lang und legt Grundsätze der Zusammenarbeit und eine politische Leitlinie fest. Zukünftig wird jedes Gesetzesvorhaben auf seine Klimaverträglichkeit geprüft werden müssen. Unklar bleibt jedoch, wie dies genau stattfinden soll. Schließlich müssen Rahmen gesteckt werden, in welchem Gesetze als klimaverträglich gelten und unter welchen Umständen sie trotz Unverträglichkeit durchgesetzt werden können. Der Koalitionsvertrag spricht von einer „sozial-ökologischen Marktwirtschaft“, die Wirtschaft wird sich zumindest formal also auch nach den Gesichtspunkten der Umwelt orientieren müssen. Konkrete Details müssen dazu aber noch folgen.
Der CO² Preis wird zukünftig nicht mehr unter 60 Euro die Tonnen fallen dürfen. Damit wird die Produktion von Kohlestrom langfristig unwirtschaftlich. Bis 2030 soll die Kohleverstromung gänzlich abgeschafft werden (acht Jahre, bevor die aktuelle Regierung den Ausstieg geplant hatte), die Ampel scheint zu hoffen, dass ein hoher CO²-Preis aber schon früher zu einem Kohle-Stopp führen wird.
Fest steht, dass die Ampel-Parteien in ihrer Regierungszeit einen Mindestlohn von 12 Euro festsetzen wollen. Dies war zentrale Forderung von SPD und Grünen im Wahlkampf. Zudem soll auch das Wahlalter für den deutschen Bundestag auf 16 Jahre gesetzt werden. Hierzu wäre jedoch eine Änderung des Grundgesetzes nötig, welche eine Zweidrittel-Mehrheit des Bundestages erfordert. Selbst mit den Stimmen der Linken wäre das nicht möglich. Ohne die Union (oder rein theoretisch die AfD) wäre dies also nicht umsetzbar.
Außerdem legten sich die zukünftige Regierung auf eine kontrollierte Abgabe von Cannabis in lizensierten Fachgeschäften und eine Förderung der Pflege in Deutschland mit einer Milliarde Euro fest.
Dass die Regierung Scholz Anfang Dezember ihr Amt antreten wird, gilt mit der Vorstellung des erfolgreich verhandelten Koalitionsvertrags als sicher. Politisch bindend ist das Papier aber nicht. Ob in den nächsten vier Jahren wirklich mehr Fortschritt gewagt wird, wie der Vertrag verspricht, bleibt abzuwarten. Ein deutliches Zeichen setzt er aber schon jetzt: Ein Weiter-So soll es nicht geben.
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