Verkehrswende auf dem Land – geht das überhaupt?

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von Josephine – sie studierte Zahnmedizin in Hannover und ist selbst in einer ländlichen Region in Niedersachsen aufgewachsen

Die Verkehrswende ist in Deutschland in vollen Gange. In Hannover wurde bereits 2017 Ridepooling eingeführt, Berlin bemüht sich die Corona Pop-up Radwege dauerhaft zu befestigen und experimentiert mit temporären Spielstraßen und in München sollen sich ab 2022 die ersten autonomen Taxis unter den Stadtverkehr mischen. Und während die Metropolen eifrig am Rückbau ihrer „autogerechten Städte“ arbeiten und sich auf ein effizientes ÖPNV-System stützen können, bleibt die Frage, wie es denn nun um die Verkehrswende in Deutschlands ländlichen Gebieten steht.  Immerhin leben 57,2% unserer Bevölkerung in sehr ländlichen oder eher ländlichen Gebieten auf über 90% von Deutschlands Fläche. Diese größeren Entfernungen gepaart mit einer geringeren Versorgungsinfrastruktur und einem unregelmäßigen und schlecht ausgebauten öffentlichen Nahverkehr begünstigen zusammen mit politischen Subventionen wie der Pendlerpauschale eine regelrechte Abhängigkeit vom PKW.

Dann lasst es uns doch einfach elektrifizieren

Vor diesem Hintergrund ist eine Fokussierung auf die Energiewende, das bedeutet ein Austausch fossiler Energieträger und Kernenergie zu erneuerbaren Energien, bei der Verkehrswende im ländlichen Raum verführerisch. Auf dem Land kann doch jede*r in seiner Garage am Einfamilienhaus sein/ihr Elektroauto bequem mit selbst erzeugten Strom der Solaranlage auf dem Dach laden, der Ausbau einer komplexen Ladeinfrastruktur ist nicht notwendig. Selbst elektrische Kleinwagen bieten mittlerweile ausreichend Reichweite, um die alltäglichen Wege ohne tägliches Nachladen bewältigen zu können. Und aktuell sieht es gut aus, seit 2020 konnte ein regelrechter Boom bei den Neuzulassungen von Elektroautos verzeichnet werden. Die Hälfte aller Elektroautos sind dank ausgebauter Fördermaßnahmen Firmenwagen, ansonsten dienen die reinen Stromer häufig als Zweitwagen, während in Haushalten mit einem Fahrzeug eher auf ein Hybrid gesetzt wird.

Trotz der aussichtsreichen Entwicklung kann die Vision als einfache Lösung des Mobilitätsproblems auf dem Land den Realitätscheck nicht bestehen. Zum einen kollidieren die hohen Anschaffungskosten der Elektroautos trotz staatlicher Subventionen mit der Lebensrealität vieler Menschen: 155 der 267 ländlichen Kreisregionen haben eine „weniger gute sozioökonomische Lage“5, sie machen knapp 60% des Flächen- und 30% des Bevölkerungsanteils aus5. Und selbst wenn sich jede*r das Elektroauto leisten könnte, kann der technische Fortschritt mit Umstellung der Antriebsart keine ausreichende CO2-Minderung erreichen. Verschärft wird diese Tatsache durch die immer größer werdenden Autos, der SUV-Boom macht auch vor Elektroautos keinen Halt und der enorme Strombedarf kann derzeit nicht annähernd durch erneuerbare Energien gedeckelt werden.

Freiheit auf vielen Rädern?

2020 hat der Verkehrssektor 27,5% des deutschen Gesamtenergiebedarfs verbraucht. Um unsere Klimaschutzziele einzuhalten reicht es daher nicht, in dem Verkehrssegment ausschließlich die Energieform zu tauschen, wir müssen auch den Verbrauch reduzieren. Dabei darf die Mobilität aber nicht eingeschränkt werden, da sie ein entscheidender Faktor für soziale Teilhabe und gesellschaftliche und wirtschaftliche Stabilität ist. Möchten wir bei gleichbleibender Mobilität den Energiebedarf und die Umweltkosten senken, benötigen wir ein abwechslungsreiches Angebot für die Nutzer*innen, dass es einfach macht, auf das Auto zu verzichten und neben dem Individualverkehr verschiedenste, energieeffiziente Transportmittel zu nutzen. Aber welche Möglichkeiten haben wir dazu auf dem Land?

Betrachten wir zunächst den öffentlichen Nahverkehr. Dieser steht vor der Herausforderung viele dünn besiedelte Gebiete miteinander zu verbinden, in denen die meisten Einwohner*innen ohnehin PKWs besitzen und bevorzugt benutzen.  Daher ist der ÖPNV auf dem Land häufig auf den Schulbetrieb ausgerichtet ist, außerhalb dieser Stoßzeiten ist die Taktung gering und die Fahrtdauer lang. Viele Gemeinden haben Rufbusse eingeführt, die feste Haltestellen und Zeiten haben, bei denen man sich mindestens sechzig bis neunzig Minuten vorher per App oder Telefon anmeldet und zu denen dann je nach Bedarf größere, passend dimensionierte Busse erscheinen und Leerfahrten vermieden werden. Nachteile dieser Konzepte sind die häufig noch starren Streckenpläne und Bushaltestellen, sodass man gut vorausplanen muss, wann man einen Bus nehmen möchte und den zeitintensiven Umweg über teilweise diverse Dörfer in Kauf nehmen muss. Außerdem orientieren sich die Fahrzeiten immer noch am bereits vorhandenen Busverkehr, das bedeutet eine höhere Taktung an Wochentagen und tagsüber. Die Konsequenz: der zeitliche und planerische Aufwand bleibt im Vergleich zur „einfachen“ Autonutzung hoch.

Flexiblere Ansätze bieten diverse Sharing-Konzepte. Am weitesten verbreitet ist derzeit Carsharing, welches den ressourcenschonenden Ansatz verfolgt, dass bei geteilter Nutzung insgesamt weniger Fahrzeuge und weniger Parkplatze benötigt werden. Immerhin steht das deutsche Durchschnittsauto am Tag 23 Stunden, zusätzlich sind die meisten Car-Sharing Autos moderner und damit energieeffizienter. Was sich in Ballungszentren wachsender Beliebtheit erfreut, erweist sich auf dem Land wiederrum als schwer umsetzbar. Die Konzepte der großen Anbieter sind auf dem Land aufgrund der größeren Zersiedelung nicht wirtschaftlich und daher für jene auch nicht attraktiv. Dass hier Carsharing trotzdem funktionieren kann, beweisen diverse Projekte und Initiativen. Im brandburgischen Barnim hat das Kreiswerk ein Sharing-System etabliert, welches zwischen Hauptnutzern und Mitnutzer*innen differenziert. Hauptnutzer sind Unternehmen, die die Autos als Ersatz für ihre Dienstwagenflotte während ihrer Geschäftszeiten buchen.. Außerhalb dieser Geschäftszeiten können die Autos von allen registrierten (Mit-)Nutzer*innen genutzt werden, sodass eine hohe Auslastung gesichert ist

Ein weiteres Konzept ist das Teilen identischer Fahrten zur höheren Auslastung der Fahrzeuge in verschiedenen Ausprägungsformen. Beim klassischen Ridesharing nehmen Privatpersonen in ihrem PKW auf Wegen, die sie sowieso fahren, andere Personen mit. Die Absprachen können privat getroffen werden oder online über Mitfahrzentralen diverser Anbieter vermittelt werden. Im Gegensatz dazu werden beim Ridehailing diese Fahrten durch ein Privatunternehmen kommerzialisiert. In Deutschland ist diese profitorientierte Vermittlung zwischen Privatpersonen verboten, da nur von lizensierten Berufskraftfahrer*innen solche Fahrten durchgeführt werden dürfen. Die letzte Form, das Ridepooling, ist ein Mix aus Taxi und öffentlichen Nahverkehr, was sich durch seine hohe Digitalisierung auszeichnet. Per App kann man seinen Start- und Endpunkt eingeben und ein Algorithmus plant die Route und verbindet sie mit den Routen anderer Nutzer*innen. Ein kleiner Bus holt die Nutzer*innen dann unweit ihrer Positionen ab und bringt sie nahe ans Ziel. Während der Fahrt können noch andere Gäste mit eingesammelt und abgesetzt werden, sodass teilweise kleine Umwege in Kauf genommen werden. Enormes Potential entwickelt dieses Konzept in Verbindung mit autonom fahrenden Wagen. Untersuchungen konnten zeigen, dass bei konsequent gemeinschaftlicher Nutzung nur noch 10-30% des Fahrzeugbestandes notwendig wären, um unsere Mobilität abzudecken. Gleichzeitig könnte sich prognostisch das Verkehrsaufkommen aber auch erhöhen, da längere Pendelzeiten akzeptiert werden würden, die als Arbeitszeit genutzt werden und Privatbesitzer von autonomen Fahrzeugen zur Vermeidung von Parkgebühren ihre Fahrzeuge leer zirkulieren lassen.

Ein letzter Joker bleibt noch im Rennen um den emissionsreduzierten Verkehr: der Rad- und Fußverkehr. Entstehende Umweltkosten sind bei diesen Verkehrsmitteln lediglich die Bereitstellung der Infrastruktur, die Produktion und ggf. der elektrische Antrieb und damit ungleich geringer im Vergleich zum Auto oder Bus. Das Verlagerungspotential allein im Hinblick auf den Pendlerverkehr ist enorm. 48,3 % der Erwerbstätigen haben Pendelstrecken von unter zehn Kilometern und im Hinblick auf unseren täglichen Verkehrsinfarkt kann es sogar schneller sein, mit dem Rad oder Pedelec zu pendeln. In dörflichen Regionen gibt es schon jetzt dreimal so viele Pedelecs im Vergleich zur Stadt. Zwingende Voraussetzung dafür sind aber sichere, befestigte, beleuchtete Radwege, die breit genug sind, dass Pedelec Fahrer bequem Radfahrer*innen überholen können. Auf dem Land sind Straßen mit geteilter Nutzung für Radfahrer aufgrund der höheren Geschwindigkeiten deutlich gefährlicher, sodass letztlich auch hier über eine Neuverteilung der Flächen im Bereich der Infrastruktur nachgedacht werden muss.

Ohne Investitionen keine Verkehrswende

Im Moment beginnt die Verkehrswende in der Stadt, dabei wäre es ökologisch sinnvoller zuerst auf dem Land zu investieren. In diesen Regionen legen die Nutzer*innen am Tag 12 Kilometer mehr als der Stadtbewohner*innen mit dem PKW zurück und ein Großteil der Bewohner*innen sind hier ausschließliche Autofahrer*innen[18]. Politisch ist es hier wenig sinnvoll, primär das Autofahren durch CO2-Preise oder höhere Steuern zu verteuern, da dies nur überdurchschnittlich Geringverdiener*innen belastet, die auf dem Land zwischen Autofahren oder zeitlich aufwendigen Busfahrten entscheiden müssen. Die politischen Weichen, die vorher gestellt werden müssen, sind funktionierende Angebote des öffentlichen Nahverkehrs und gut ausgebaute Radwege. Außerdem sollte sich die Förderung von Dienstwagen mehr an ökologischen Standards orientieren, Anreize für die Anschaffung von Pedelecs geschaffen werden, Tempolimits eingeführt werden und die Autobauer*innen zu effizienteren und leichteren Fahrzeugflotten motiviert werden. Anschließend kann der Individualverkehr auf einer sozialverträglichen Basis angegangen werden.

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