Wenn Mark Zuckerberg eine Rede hält oder eine Präsentation mit sich veröffentlichen lässt, explodiert das Internet geradezu vor neuen Memes. Sein Gesicht wirkt so roboterhaft, seine Worte so einstudiert, seine Gesten so gekünzelt, man könnte glauben, Zuckerberg wäre ein Produkt seines eigenen Konzerns. Auf Reddit und Co wird schon lange gewitzelt, der Facebookgründer sei in Wahrheit ein außerirdischer Echsenmensch.
Am 28. Oktober diesen Jahres startete mit der Connect 2021 Facebooks diesjähriges Publicity-Event. Auf solchen Events präsentieren Tech-Konzerne ihre Produkte und Visionen. Apple hat die WWDC, Google die I/O und Facebook eben die Connect. Es geht um Aufmerksamkeit und vor allem um viel Geld. Während dieser meist mehrtägigen (derzeit Online-) Veranstaltungen entscheidet sich in der Regel die Richtung des Aktienkurses, bis die gesteckten Ziele überprüft werden können. Die Connect 2021 beginnt direkt mit einer Keynote von CEO Zuckerberg. Er sitzt auf der Kante eines grauen Sessels in einem zu authentischen Wohnzimmer und grinst nach einem scheinbar sinnlosen Kameraschwenk über die Kaminlandschaft plötzlich so verzerrt in die Kamera, als hätte ihm jemand im letzten Moment ein Zeichen gegeben: „Hey, and welcome to Connect!“
Zuckerberg verkündet, der Facebook-Mutterkonzern werde sich mit sofortiger Wirkung in Meta Platforms umbennen. Dieser Schritt kommt zwar überraschend, ist in einer Branche, in der mächtig gewordene Internetdienste regelmäßig kleinere Start-Ups und Konkurrenzprodukte aufkaufen aber nicht ungewöhnlich. So soll die Vielfalt der zusammengesammelten und entwickelten Unternehmen besser repräsentiert werden. 2015 benannte sich der Google-Mutterkonzern in Alphabet Inc. um.
Doch schnell wird klar, dass es dem Chef des Social-Media Giganten nicht darum geht, Facebook, Instagram und WhatsApp künftig unter einem neutralen Namen verwalten zu können. Stattdessen greift Zuckerberg zu den Sternen: Er möchte das Internet revolutionieren. Nochmal. Sein Hoffnungsträger: Das Metaverse.
Die Idee einer zweiten, virtuellen Realität ist nicht neu. Sie ist vielmehr Grundlage zahlreicher Science-Fiction Erzählungen wie Spielbergs Ready Player One und zählt neben fliegenden Autos zu den Objektifizierungen eines futuristischen Narrativs.
Doch ähnlich wie fliegende Autos oder auch 3D-Fernseher scheint die Technologie für direkt erlebbare virtuelle Realitäten immer wieder kurz vor dem Durchbruch zu stehen – um am Ende aber doch nicht auf dem Massenmarkt gefragt zu sein, wie der Spiegel treffend analysierte. Dies liegt einerseits an den hohen Preisen, die bei Markteinführungen solcher Technik in der Regel verlangt werden, andererseits am Mangel von Einsatzmöglichkeiten und Inhalten. Durch die geringe Verbreitung von 3D-Fernsehern lohnt es sich für Filmstudios schlicht nicht, ihre Werke für diese Geräte zu produzieren. Und so lohnt es sich auch für den Kunden nicht, in ein solchen Fernseher zu investieren.
Erfolgreiche Projekte rund um virtuelle Realitäten vertrauten deshalb in der Vergangenheit auf konventionelle Computertechnik. Im Anfang der 2000er Jahre beliebten Computerspiel Second Life gingen Nutzer:innen einem geregelten Alltag nach. Sie fuhren mit dem Bus zur Arbeit, stritten mit ihrer Chefin um eine Gehaltserhöhung und freuten sich nach Feierabend auf ein kühles Bier mit dem Arbeitskollegen in der Stammkneipe. Busfahrer, Chefin, Kollege und Barkeeper waren dabei echte Menschen mit einer virtuellen Identität, die ebenfalls in ihrer Wohnung vor dem Computer saßen. Heute zeigt sich das Interesse an einem virtuellen Leben im Boom der sogennanten GTA-Roleplayserver. Die Betreiber dieser Server modifizierten den Code des beliebten Third-Person-Shooters Grand Theft Auto V so, dass, ähnlich wie bei Second Life, eine in ihren Abläufen täuschend echte Kopie der realen Welt entsteht. Wer einem dieser Server beitreten möchte, muss zunächst einen Antrag bei der Einreisebehörde stellen, wer einen Arbeitsplatz sucht, kann beim Jobcenter um Rat fragen und schickt anschließend, je nach Größe des Unternehmens, Bewerbungen an Personalabteilungen oder Geschäftsinhaber. Überall arbeiten echte Menschen. Kann ein Bewerber in der Woche erst ab 17 Uhr als Autoverkäufer arbeiten, stehen die Chancen für eine Einstellung schlecht – um diese Zeit ist das Angebot an Arbeitskräften am größten.
Doch Mark Zuckerbergs Pläne für das Metaverse sind umfassender. Er möchte nicht nur, dass seine Nutzer:innen ihre Freizeit in seiner Welt verbringen, das ganze Leben soll im Metaverse stattfinden. Dabei sollen sie völlig in die virtuelle Umgebung eintauchen, nicht mit Bildschirm, Maus und Tastatur, sondern mit VR-Headset und getrackter Gestik und Mimik. 2014 kaufte Facebook den VR-Vorreiter Oculus, der mit seinen Oculus Rift Geräten weltweite Aufmerksamkeit erlang. Um seine Vision zu verdeutlichen, präsentiert Zuckerberg fantastische Szenen aus der virtuellen Welt, die so offensichtlich im Vorraus animiert wurden, wie ein Pixar Film: Ein vermeintliches Meeting von Meta-Mitarbeiter:innen auf einer futuristischen Raumstation inklusive Schwerelosigkeit, ein Spaziergang durch einen verzauberten Wald mit fliegenden Fischen. In Zuckerbergs Vorstellung müssen Menschen ihre Wohnung künftig nicht mehr verlassen. Alles was sie brauchen um zu arbeiten, Freunde zu treffen oder Spaß zu haben, existiert innerhalb des Metaverse. Für seinen eigenen Konzern bereitet Zuckerberg gerade den völligen Umzug in das Metaverse vor. Für ihn hat das einige Vorteile: Nicht nur spart er Bau- und Unterhaltskosten von Firmengebäuden, virtuelle Arbeits- und Konferenzräume ermöglichen auch die Einstellung günstiger Arbeitskräfte aus Niedriglohnländern. Nach seiner Vorstellung sollen möglichst viele Unternehmen nachziehen.
Geht Zuckerbergs Plan auf und es gelingt ihm und seinem Konzern, das Leben von Millionen von Menschen nahezu vollständig in das Metaverse zu übertragen, macht ihn das zum Herrscher seiner Welt. Denn in einem von seiner Firma kontrollierten Universum bestimmt er über Regeln, Ausnahmen, Überwachung und Sanktionen, über Wechselkurse von virtuellen Währungen, über den Auschluss von Menschen aus ihrem privaten und beruflichen Umfeld. Er wäre der erste virtuelle Diktator.
Gleichzeitig könnte mit der Relevanz des Metaverse die Relevanz des echten Universums schwinden. Fällt uns die Zerstörung unserer Umwelt, die immer weiter steigende Ungleichheit in der Welt überhaupt noch auf, wenn sich unser Leben in einer vermeintlich perfekten Welt auf Servern in einem Rechenzentrum abspielt? Was passiert, wenn das Metaverse gehackt wird? Zuckerbergs Traum bietet genug Stoff für eine ganze Staffel Black Mirror.
Doch wie steht es wirklich um das Metaverse? Ist das Projekt wirklich so technisch ausgereift und beeindruckend, wie es uns Meta CEO Zuckerberg weiß machen will? Um es kurz zu machen: Nein. Alle Bilder und Inhalte die abseits der Connect 2021 bisher nach Außen drangen, machen eher den Anschein eines schlechten und uninspirierten Browsergames in einer frühen Entwicklungsphase. Der Grafikstil erinnert am ehesten an mittelmäßige 3D-Renderings von Gebäudeentwürfen an Schildern auf Baustellen. Den besten Eindruck des gegenwärtigen Entwicklungsstadiums des Metaverse erhält man durch ein Videointerview, welches Henry Mance von der Financial Times mit dem ehemaligen stellvertretenden Premierminister Großbrittanniens Nick Clegg im Metaverse führte. Das Gespräch fand allerdings weder auf einer Raumstation, noch in einem verwunschenen Wald statt, stattdessen sitzen die beiden Gesprächspartner an einem eckigen Tisch in einem sterilen Konferenzraum. Ihre Avatare wirken so künstlich wie Playmobilfiguren, Mimik wird kaum übertragen. Für einen sozialen Roboter wie Zuckerberg mag das funktionieren, aber ob so wirklich persönliche oder sogar intime Gespräche möglich sind, ist doch äußerst zweifelhaft. Nach einigen Minuten fragt Mance seinen Interviewee, warum dieser ständig seine Hand vor seinen Mund halte. Clegg antwortet, seine Kaffeetasse werde nicht in die virtuelle Welt übertragen.
Mit seiner offensichtlichen Ausrichtung des ehemaligen Facebook-Konzerns auf das neue Metaverse scheint sich Mark Zuckerberg verrannt zu haben. Klar, die Präsentation eines so futuristisch anmutenden Projekts sorgt zunächst für eine Menge Aufmerksamkeit. Doch seine Versprechen halten wird Zuckerberg in den nächsten Jahren vorerst nicht können. Dazu sind Konzept und Technik viel zu unausgereift. Zum Glück. Nichtsdestotrotz ist die Idee einer privat kontrollierten Parallelwelt ist so gefährlich, wie sie klingt. Auch wenn Zuckerberg die Umsetzung seiner Vision vorerst nicht gelingen wird, irgendwann wird die Technik hinter einer wahren virtuellen Realität Wirklichkeit sein. Dann müssen wir besonders wachsam sein. Bis dahin entstehen aus Zuckerbergs Traum vor allem neue Memes.
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