Trotz des Krieges in der Ukraine liegt der Rohölpreis auf dem niedrigsten Niveau seit Wochen. An den Zapfsäulen bekommen deutsche Autofahrer:innen davon nichts mit, der Liter Benzin kostet hier stabil über zwei Euro. Nun erwägt Finanzminister Lindner sogar eine Spritpreisrabatt. Wie kann das sein?
Kaum ein Thema erregt in Deutschland so viele Emotionen wie der Spritpreis. Kaum ändert sich der Preis für einen Liter Diesel oder Benzin an den Anzeigetafeln der Takstellen um wenige Cent, entsteht gerade in den Sozialen Netzwerken eine Flut von Kommentaren und Share-Pics, die Gehaltskürzungen von Politikern fordern, um den Benzinpreis zu senken, oder der Regierung unterstellen, sie wüsste nicht, was minimale Preisänderungen für den „kleinen Mann“ bedeuteten.
Dabei weiß die Politik genau, wie schnell mit dem Schlagwort ‚Benzinpreis‘ Stimmen gewonnen werden können. Vergangene Woche veröffentlichte der saarländische Ministerpräsident Tobias Hans (CDU) ein mit der Innenkamera seines Handys selbstgedrehtes Video, in welchem er vor einer Tankstelle posiert und die Benzinpreise „irre“ nennt. Die Politik müsse schnell nachhelfen. Nicht zufällig erinnerte Hans‘ Beitrag an die jüngsten Videos des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, welcher in den letzten Wochen betont volksnah und standfest aus dem Inneren der umkämpften Hauptstadt Kyiv an die ukrainischen Bürger:innen appelierte. Doch Selenskyj befindet sich im Krieg mit Russland, Hans im Wahlkampf mit der SPD. Am 27. März sind Landtagswahlen im Saarland.
Tatsächlich sind Preise von zum Teil mehr als 2,30 Euro für einen Liter Diesel äußerst ungewöhnlich, überraschend sind sie aber vor allem deshalb, weil der Ölpreis seit Wochen fällt. Das liegt zum einen an den Verhandlungen zwischen der Ukraine und Russland, die in der Branche Hoffnungen auf ein Kriegsende machen, zum anderen aber auch an der Zero-Covid Strategie der chinesischen Regierung, durch die Teile der chinesischen Industrie gestoppt wurden und wodurch die Nachfrage nach Rohöl in China entsprechend gering ist.


Die Preisexplosion an den Tankstellen lässt sich also nur mit einer extremen Ausweitung in der Gewinnspanne der Mineralölkonzerne erklären. Der sogenannte Anbieterüberschuss (Umsatz minus Steuern und Mineralölkosten) stieg innerhalb eines Monats von durchschnittlich 36,75 Cent auf 84,46 Cent pro Liter und hat sich damit ohne ersichtlichen Grund mehr als verdoppelt.
Während viele Internetnutzer und auch Politiker:innen hinter dem Marktgeschehen illegale Preisabsprachen zwischen den großen internationalen Mineralölkonzernen vermuten, gehen einige Expert:innen wie der Frankfurter Kartellrechtsanwalt Kim Manuel Künstner von einem Parallelverhalten aus. Laut seiner These genügt es in einer oligopolistischen Branche (also einer mit wenigen großen Marktanbietern) wie der Mineralölbranche, wenn einzelne Anbieter ihre Preise erhöhen und andere nachziehen – ganz ohne Absprachen. Damit steht die Sinnhaftigkeit des Systems in Frage.
Doch anstatt die Marktmacht der Ölkonzerne einzuschränken, schlug Finanzminister Christian Lindner (FDP) vor wenigen Tagen einen sogenannten Tankrabatt vor. Dieser solle universal, also für Privatmenschen und Gewerbetreibende gelten und den Preis an der Zapfsäule um bis zu 40 Cent pro Liter drücken. Um bürokratische Hürden zu umgehen, möchte Lindner den staatlich finanzierten Zuschuss nicht erst nach Ausstellung der Quittung an der Tankstelle auszahlen, sondern bereits den Verkauf von Benzin und Diesel von Mineralölkonzernen direkt subventionieren. Die willkürliche Verdopplung des Anbieterüberschusses würde so mit Steuergeldern belohnt werden.
Die aktuelle Benzinpreiskrise beweist allerdings nicht nur die Macht der Gewinninteressen einzelner Konzerne auf das gesamte Wirtschafts- und Gesellschaftssystem, sie verdeutlicht auch die Notwendigkeit zur Loslösung von fossilen Energieträgern. Der Import von Öl, Gas und Kohle macht Deutschland abhängig von diktatorischen Despoten und kapitalistischen Konzernen und schadet natürlich weiterhin dem Klima und der Umwelt. Allein die Erlöse aus dem internationalen Öl- und Gashandel finanzieren rund 35 Prozent des russischen Staatshaushalts. Ein Krieg gegen die Ukraine wäre ohne sie wohl nicht möglich gewesen.
Mittelfristig wäre Christian Lindner gut beraten, in den Ausbau der erneuerbaren Energien und den öffentlichen Personenverkehr zu investieren, statt die Taschen internationaler Großkonzerne weiter zu füllen. Nur so kann sich Deutschland nachhaltig von fossilen Brennstoffen und diktatorischen Regimen lösen. Sollten die deutlichen Preiserhöhungen an deutschen Zapfsäulen tatsächlich keinen illegalen Preisabsprachen zugrunde liegen, sondern auf dem Aufbau eines legalen aber unmoralischen Oligopols basieren, muss der Gesetzgeber kurzfristig einschreiten und in dieses System eingreifen, beispielsweise mit einer festgelegten Gewinnmarge. Dass es dazu kommt, scheint unwahrscheinlich: 2021 investierten allein die zehn größten deutschen Interessensverbände der Mineralölindustrie mehr als 7,8 Millionen Euro in Lobbyarbeit.