Eine verzerrte Realität – Das Problem mit #CoupleGoals

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Jede*r von uns, der oder die ein Profil auf einer beliebigen Social Media Seite besitzt, kennt sie: Couple Goals. Bilder von Paaren, die verliebt vorm Sonnenuntergang am Traumstrand posieren, Videos von Anträgen, Hochzeiten, Schwangerschaften, Storys voller roter Rosen, Sterne-Restaurants und intimen Momenten. Mit dem Beginn des digitalen Zeitalters und insbesondere der Zeit von Social Media, hat sich eine völlig neue Möglichkeit aufgetan, die eigene Beziehung in der Öffentlichkeit zu präsentieren – und sie zu vermarkten. Immer wieder wird dabei der Hashtag CoupleGoals genutzt: Das wirft gleich mehrere Probleme auf. Nicht nur wird die Wahrnehmung romantischer Beziehung verzerrt und unrealistische Standards aufgebaut (denn Goals steht ja bekanntlicher Weise für Ziele, also etwas, das man erst noch erreichen muss). Es wird auch Verhalten glorifiziert, ohne zu hinterfragen, ob dieses Verhalten für beide Parteien von Vorteil ist und kann dazu führen, dass Menschen länger in Beziehungen bleiben, die sie unglücklich machen.

Die Zurschaustellung privater Beziehungen durch Instagram- und YouTube-Größen wie Dagibee, Ana Johnson oder Coupleontour zieht eine Schattenseite mit sich, der sich viele Influencer*innen nicht unbedingt bewusst sind.

Bereits der Begriff #CoupleGoals ist irreführend. Er impliziert, dass die Beziehungsstandards, die uns vermittelt werden, sowohl ideal als auch erreichbar sind, was schlichtweg nicht stimmt. Gerade für mich als Studierende sind teuere Reisen, Traumstrände und Sterne-Restaurants nicht bezahl- und damit auch nicht erreichbar. Macht das meine Beziehung damit weniger wertvoll oder erstrebenswert?

Die Antwort ist natürlich „Nein“, doch sich das immer wieder vor Augen führen zu müssen, ist schwierig und erfordert ein konstantes Hinterfragen der Medien, die ich konsumiere. Wer täglich mehrere Stunden am Tag (und machen wir uns nichts vor, wir alle haben Bildschirmzeiten, die eine Stunde deutlich überschreiten) präsentiert bekommt, kann schneller mit der eigenen Beziehung unglücklich werden. Dann stellt man sich die Frage, warum ist meine Beziehung nicht so? Warum bringt er mir keine Blumen mit? Warum zieht sie nie solche Kleider an? Warum ist mein Partner oder meine Partnerin nicht so romantisch?

Die eigene Beziehung als Einnahmequelle

Heute erreicht man mit Beziehungscontent Millionen junger Menschen. Zum einen zählen auch heute noch Romantikfilme und Romantikkomödien zu den beliebtesten Filmgenre (siehe Bridgerton, After Love oder Emily in Paris (was war da eigentlich los, Netflix?)), zum anderen ist mit Social Media eine neue Konsumform der Liebesgeschichten hinzugekommen. Mit dem Unterschied: Influencer*innen sind ihren Zuschauer*innen deutlich näher. Sie beantworten Fragen in Livestreams, nehmen ihre Follower*innen mit durch ihren Alltag und teilen die intimsten Momente, wie beispielsweise die Geburt des eigenen Kindes. Dadurch erscheinen im Gegensatz zur verzerrten Fantasywelt von Bridgerton die Social Media Beziehungen deutlich realer – und damit auch erreichbarer.

Menschen, die mit ihrer Beziehung Geld verdienen, müssen jedoch immer dafür sorgen, dass etwas Spannendes passiert. Wer auf seinem Account zeigt, wie er die Steuererklärung ausfüllt, wird schnell an Follower*innen und Werbepartnern verlieren. Deshalb wird statt der Steuererklärung jeden Tag eine neue Überraschung für den Partner oder die Partnerin geplant, teure Restaurants besucht und ferne Länder bereist. Das erweckt bei den Zuschauer*innen das Gefühl, ihr eigenes Leben sei langweilig. Oder noch schlimmer: ihr*e Partner*in sei langweilig.

#BaeGoals: Wenn „liebevolles beschützen“ zu Kontrolle wird

Es gibt allerdings noch eine weitere Seite des #CoupleGoals und diese ist mitunter noch um einiges gefährlicher als enttäuschte Erwartungen bezüglich der Häufigkeit, in der mein Partner mir die Füße massiert. Unter dem Hashtag #BaeGoals, was häufig in Kombination mit #CoupleGoals genutzt wird, werden bestimmte, erstrebenswerte Verhaltensweisen des Partners oder der Partnerin gepostet. Das Problem: Häufig wird ein Verhalten glorifiziert, welches für die andere Partei grenzüberschreitend oder sogar gewaltvoll sein kann. Beispiele dafür sind das konstante Überraschen des Partners bei Aktivitäten, die die Person mit der eigenen Freundesgruppe oder für sich alleine geplant hat oder das #FitCouple, bei dem ein Part den anderen zum Sport zwingt und somit vielleicht in eine Verhaltensweise drängt, die für den*die Partner*in Grenzen überschreitet.

Das größte Problem stellt allerdings überbeschützendes Verhalten dar, welches in den sozialen Medien regelrecht abgefeiert wird. Zwar ist ein Anruf auf dem Weg nach Hause, um sich zu vergewissen, dass die andere Person heile in der eigenen Wohnung angekommen ist, eine tolle Geste, doch wir bekommen Probleme an den Stellen, in denen Schutz als Cover-up für Kontrolle genutzt wird. Wenn dein*e Partner*in, dich nirgendwo hin alleine gehen lassen will, weil er oder sie dich „beschützen“ will, dann hat das weniger mit Schutz und mehr mit Kontrolle jeglicher Privatsphäre zu tun (Ja, ich meine dich, Edward Cullen!).

Das Thema scheint verfahren, denn je tiefer man steigt, desto enger zieht sich der Teufelskreis. User*innen berichten davon, länger in Beziehungen geblieben zu sein, die ihnen nicht gut taten, einfach, weil die Druck von außen zu groß wurde.

Sowohl online als auch im wirklichen Leben wurde ich immer wieder als „Goals“ bezeichnet, was dazu führte, dass ich jahrelang in einer toten, unglücklichen Beziehung blieb, länger als ich es hätte tun sollen. Ich war so besessen davon, wie wir von außen betrachtet wurden, wie die Leute dachten, wir wären so gut, süß und glücklich zusammen, dass ich absolut beschämt war, es abzubrechen, aus Angst, die Fassade aufzulösen und alle zu enttäuschen.

Emily, 25 gegenüber Cosmopolitan

Wenn dann doch mal etwas vor der Kamera nicht gut läuft, wird plötzlich jede*r in den Kommentarspalten zur*m Hobbypsycholog:en:in. Dann müssen sich Influencer*innen anhören, wie sie ihre Beziehung falsch führen und ungewollte Ratschläge über sich ergehen lassen. Versteht mich nicht falsch, daran sind sie zu 100% selbst Schuld. Doch da viele diese Art von negativen Kommentaren gar nicht erst provozieren wollen, sind sie gewzungen, scheinheilig ein Bild ihrer Beziehung zu präsentieren, das gar nicht der Wahrheit entspricht und verzerren so die Wahrnehmung ihrer Zuschauer*innen weiter.

Und nicht nur bestehende Beziehungen können durch den Social Media Wahn minderwertig anfühlen. Auch wird die Idee vermittelt, dass eine romantische Beziehung das ultimative Endziel eines jeden Menschen ist und sein muss. Nur, wer eine*n perfekte*n Partner*in an seiner Seite weiß, sei vollständig oder überhaupt in der Lage ein glückliches Leben zu führen. Dass diese Annahme Quatsch ist, muss ich niemandem erzählen. Doch der Druck auf junge Menschen, insbesondere Mädchen, die single sind, steigt dank #CoupleGoals in exorbitante Höhen und schließt nebenbei noch alle Menschen, die sich selbst als aromantisch bezeichnen oder eventuell aufgrund vergangener Traumata (zur Zeit) keine Beziehung eingehen können oder wollen, von der Vorstellung eines erstrebenswerten Lebens aus.

Schaut auf das, was nicht da ist

Dann wiederum werden auch die normalsten Verhaltensweisen als #goals markiert, beispielsweise, dass der Partner oder die Partner*in dir vertraut, wenn du mit deinen Freund*innen in eine Bar gehst oder dir die Tür aufhält, wenn du deine Hände voll hast. Wer Online-Beziehungen glamorisiert, sollte sich drei Worte zu Herzen nehmen: schau genauer hin. Fotos können nicht die Anstrengungen festhalten, die es gekostet hat, ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die wenigsten Influencer*innen würden alltägliche Streiterein mit ihren Partner*innen in ihrer Story teilen. Viel wichtiger als auf das zu schauen, was da ist, ist es, darauf zu achten, was nicht da ist.

Die Welt, die wir auf Social Media präsentiert bekommen, ist nicht real. Sie besteht aus gefilterten Fragmenten einer Idealvorstellung, die einzig und allein das Ziel hat, eine weitere Sekunde unserer Aufmerksamkeit zu erhaschen – sie kann gar nicht real sein. Beziehungen verändern sich. Sie gehen durch Phasen und das ist auch gut so. Denn nach der Verliebtheitsphase, in der man sich kaum konzentrieren kann, kommt eine Phase der intimen Vertrautheit und diese ist mindestens genauso schön, wenn nicht noch schöner, als die erste Phase der anfänglichen Verknalltheit, das haben schon Monica und Chandler 1994 in Staffel 7 der Serie Friends herausgefunden.

Es ist paradox: Auf der einen Seite ist die Redewendung „Jede Honeymoon-Phase geht irgendwann vorbei“ in der Bevölkerung breit akzeptiert, doch auf der anderen Seite wollen alle für immer in der Honeymoon-Phase bleiben und strebt die sogenannten „Standards“ an, die uns unter dem Hashtag CoupleGoals präsentiert werden. Dabei ist jede Beziehung auf ihre eigene Weise einzigartig. Das Verfolgen unrealistischer Standards drängt uns jedoch in einen romantischen Einheitsbrei. Wann hat Liebe aufgehört, persönlich zu sein?

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