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Mit ihrer Stammwählerschaft können weder Emmanuel Macron noch Marine Le Pen die Stichwahl in Frankreich gewinnen. Wer in den Élyseépalast einziehen möchte, braucht heute die Unterstützung des großen linken Lagers. Ein Kampf, der enger verläuft als erwartet und der über das Schicksal Europas entscheiden könnte.
Mitte der 2010er Jahre entsteht in den westlichen Demokratien der Welt ein neuer Typ des Regierungschefs. Zwar weiterhin weiß, elitär und männlich, aber jünger, dynamischer und charismatischer als ihre Vorgänger. Justin Trudeau wird 2015 Premierminister Kanadas, 2017 folgt Leo Varadkar in Irland und Emmanuel Macron wird französischer Präsident. Sie alle vereint ein neuer sozialliberaler Kurs: Pragmatisch, wirtschaftsnah, weltoffen. Damit haben sie schnell Erfolg, Macron gründet seine Partei „En Marche“ erst ein Jahr vor seiner ersten und zugleich erfolgreichen Präsidentschaftswahlkampagne. Auch aus der im selben Jahr stattfindenden Parlamentswahl geht Macron als eindeutiger Sieger hervor, indem seine Partei mit 28,2 Prozent stärkste Kraft vor den Republikanern (15,8 Prozent) wird.
Während es Macron in der außenpolitischen Wahrnehmung während seiner Amtszeit gelingt, das Narrativ des dynamischen Kämpfers für europäische Einigkeit aufzubauen, gerät der Präsident in seinem eigenen Land zunehmend in Bedrängnis. Denn Dank seines wirtschaftsnahen Kurses schwindet der Einsatz des ehemaligen Mitglieds der Sozialistischen Partei für Arbeitnehmer und soziale Gerechtigkeit. Nach einer Steuersenkung, die vor allem Investoren und Aktienhalter bevorteilte und einem Gesetz zur Senkung des Arbeitnehmerschutzes, entlud sich der Zorn vieler ohnehin protestbegeisterter Franzos:innen in der sogenannten Gelbwestenbewegung, die zum Teil auch durch ihre gewaltbereichtschaft auffiel und den französischen Präsidenten unter enormen Druck setzte. Die Anhänger:innen der Gelbwesten waren dabei eine bunte Mischung aus enttäuschten Macronanhängern, rechten Extremisten und Linken.
Das linke Lager in Frankreich ist traditionell groß. Doch wie in den meisten europäischen Ländern gelingt es linken Gruppierungen in Frankreich nicht, gemeinsame Angenden oder Kadidaten zu finden. So traten im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl dieses Jahr gleich sechs von zwölf Kandidaten aus dem eindeutig linken Lager an. Grüne Kadidaten oder vermeintlich Sozial-Liberale wie Macron sind dabei nicht mitgezählt. Philippe Poutou vertrat die Neue Antikapitalistische Partei, Anne Hidalgo die Sozialisten, Fabien Roussel die Kommunistische Partei, Jean Lassalle die kapitalismus kritische Widerstandspartei, Nathalie Arthaud die Trotzkisten. Die größten Chancen auf einen Einzug in die Stichwahl hatte allerdings der Kandidat der linkspopulistischen Patzei La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon, welcher aufgrund der Vielzahl linker Kandidaten mit 22 Prozent knapp hinter Marine Le Pen auf dem dritten Platz landete.
Unter anderem seine Wählerschaft wird nun den Ausgang der Stichwahl bestimmen. Die Entscheidung, ob sie ihr Kreuz neben Macrons oder Le Pens Namen setzen, dürfte dabei vielen von ihnen schwerer fallen, als im Ausland angenommen wird. Denn vielen könnten Le Pens rechtspopulistische Positionen näher liegen, als Macrons. So ähneln sich Le Pen und Mélenchon beispielsweise in ihrem euroskeptischen Kurs und ihrer Anti-Establishment Haltung. Macron hingegen hat sich in den letzten Jahren den unrühmlichen Ruf erarbeitet, elitär und distanziert vom Volk zu handeln.
Der Ausgang der Stichwahl könnte das Schicksal Europas entscheidend mitgestalten. Sollte Le Pen der Sieg gelingen, würde sie als rechtsextreme Regierungschefin einer westeuropäischen Atommacht in die Geschichte eingehen. In der uneinigen Europäischen Union und in der krisengeschüttelten NATO würde dies zweifelsohne zu neuen Konflikten führen.
Macron startet als eindeutiger Favorit in das Rennen am heutigen Sonntag. Doch so gewiss, wie sein Sieg gerade in Deutschland angenommen wird, ist seine nächste Amtszeit nicht.