Töten für den Klimaschutz

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Ein Blick auf den Ökofaschismus

Bildquelle: Conuco via Wikimedia Commons unter CC BY-SA 4.0

Im März 2019 betritt ein Mann eine Moschee in Christchurch, Neuseeland. Anders als erwartet, kommt er nicht zum Beten. Stattdessen erschießt er in dieser und einer weiteren Moschee 51 Menschen und verletzt 50 weitere schwer. Das Entsetzen auf der ganzen Welt war groß. Was motivierte einen Menschen, eine solch schreckliche Tat zu begehen? Die Antwort war schnell gefunden, denn der Attentäter hinterließ ein Manifest: „Es sind die Geburtenraten, es sind die Geburtenraten, es sind die Geburtenraten“.

Mehr als 10 Jahre zuvor betrat ein 18jähriger Schüler im finnischen Tuusula seine Schule. Auch er war nicht zum Lernen an diesen Ort gekommen. Der Schüler tötete acht Menschen und verletzte eine weitere Person. Auch er hinterließ ein Manifest, welches seine Taten erklären sollte. Darin forderte er einen „totalen Krieg gegen die Menschheit“. Warum? In seinen Augen stelle die Menschheit eine Bedrohung für andere Spezies dar und müsste daher verschwinden. Die Idee daher nahm er von seinem Landsmann Pentti Linkola (1932-2022), der eine drastische Reduzierung der Bevölkerung forderte, um die nahende Klimakatastrophe abzuwenden.

Was haben die Attentäter von Christchurch 2019 und Tuusula 2007 gemeinsam? Ihre Taten sind oköfaschistisch motiviert. Der Begriff Ökofaschismus beschreibt eine Spielart des Neofaschismus, in der die eigene Menschenverachtung mit einer Liebe zur Natur begründet wird. Der Fortschritt des Menschen gehe zulasten der Natur und die einzige Möglichkeit zur Erhaltung der Natur auf unserer Erde, sei an die Dezimierung der Menschen geknüpft. Für Anhänger des Ökofaschismus sind damit vor allem Menschen aus afrikanischen und asiatischen Ländern gemeint. Nicht nur klagen sie die hohen Geburtenraten in diesen, oft ärmeren, Ländern an, sie argumentieren auch gegen jegliche Form von Migration. Damit bewegen sie sich auf gleichem Territorium wie schon Reichsernährungsminister des Dritten Reiches, Walter Darré. Ihr gemeinsames Ziel: die Wiederherstellung vorindutrieller Verhältnisse und die Steuerung menschlichen Nachwuchses nach völkischen Zuchtprinzipien. Dazu gehört auch die Verhinderung aller Migration. Im Weltbild der Ökofaschist*innen hat jeder Mensch einen ihm oder ihr natürlich zugewiesenen Platz auf der Erde, an dem sie auch bleiben sollten.

Der bedeutenste Unterschied zum ursprünglichen Faschismus ist die Rolle der Frau. Im Faschismus werden Frauen und Kinder als vulnerabelsten Mitglieder dargestellt, die mit allen Mitteln geschützt werden müssen. Im Ökofaschismus hingegen sind Frauen, die zu viele Kinder bekommen und so angeblich die Umwelt zerstören, im Fokus der Hassbewegung.

Die Idee des Ökofaschismus ist nicht neu, doch sie bekommt aktuell neuen Aufwind. Ihre Anhänger*innen mischen sich unter große Klimaschutzbewegungen und zeigen sich nach Außen hin als enge Verbündete. Insbesondere innerhalb der Bewegung der Corona-Leugner*innen tauchen neben bekannten gewaltbereiten Neonazis auch immer mehr Personen mit einem Interesse am Klimaschutz auf. Das bekannteste Beispiel ist wohl der sich selbst als Schamane bezeichnende Jacob Chansely. Bei der Erstürmung des Kapitols wurde er zum Symbol der Ökofaschistischen Bewegung und forderte im Gefägnis veganes und biologisches Essen.

Auch in der Literatur wurde das Thema Ökofaschismus bereits aufgegriffen. Ein wunderbares Beispiel dafür ist das Buch „Oryx und Crake“ von Margaret Atwood. In einem dystopischen Setting, in der es keine Städte, sondern nur Konzerngelände gibt, erzählt der Protagonist Jimmy die Geschichte von Crake, einem genialen Wissenschaftler und ehemaligem Kindheitsfreund, der eine ganz eigene Idee zur Rettung der Menschheit hat: Die Auslöschung des Menschen wie er aktuell ist und das Einsetzen einer neuen Generation Mensch – einer besseren Generation.

“Jimmy, look at it realistically. You can’t couple a minimum access to food with an expanding population indefinitely. Homo sapiens doesn’t seem to be able to cut himself off at the supply end. He’s one of the few species that doesn’t limit reproduction in the face of dwindling resources. In other words – and up to a point, of course – the less we eat, the more we fuck.“

aus „Oryx and Crake“ von Margaret Atwood

Crake ist menschenverachtend aus Liebe zur Natur. Er schafft eine neue Generation Mensch, die perfekt mit der Umwelt im Einklang leben können. Doch diese „Menschen“ besitzen nicht mehr viel, was sie menschlich macht. Ein weiteres Problem an Crakes Plan: Damit seine neuen Menschen friedlich auf dem Planeten leben können, müssen die anderen Menschen sterben. Also bringt er sie mit Hilfe eines Virus‘ um. Jeden einzelnen, außer seinen alten Freund Jimmy. Denn er braucht jemanden, der seinen Geschöpfen ihre neue Welt zeigt, sobald sie das Labor verlassen können.

“All it takes,” said Crake, “is the elimination of one generation. One generation of anything. Beetles, trees, microbes, scientists, speakers of French, whatever. Break the link in time between one generation and the next, and it’s game over forever.”

aus „Oryx and Crake“ von Margaret Atwood

Crake ist ein Ökofaschist. Zwar unterscheidet er nicht zwischen ethnischer Herkunft, Hautfarbe oder Kultur, doch er zettelt einen Massenmord an, um sein Ziel, den ultimativen Klimaschutz, zu erreichen.

In unserer heutigen Zeit ist es wichtig, dass wir ökofaschistische Phänomene erkennen und ihre Logik entkräften. Mit voranschreiten der Klimakrise werden die Lösungsforderungen nicht nur lauter, sondern auch verzweifelter werden. Ökofaschismus ist gerade deshalb so gefährlich für unsere Gesellschaft, da sich seine Anhänger*innen gerne oberflächlich als Verbündete präsentieren. Es scheint, als kämpfe man für das selbe Ziel. Doch nicht jeder mögliche Weg zum Ziel sollte auch beschritten werden und nicht jeder Zweck heiligt alle Mittel. Wir müssen zu jedem Zeitpunkt bekennen: Klimaschutz muss antifaschistisch sein.

Anmerkung der Autorin: Ich kann euch das Buch Oryx und Crake wirklich nur ans Herz legen. Es ist eines der weniger bekannten Werke von Margaret Atwood (Autorin von u.a. dem „Report der Magd“) und dennoch in meinen Augen eines ihrer besten. Es zeichnet ein faszinierendes Bild einer Welt, die gar nicht so weit von unserer Zukunft entfernt ist und spielt mit Ideen der Anthropologie: Was macht einen Menschen überhaupt zu einem Menschen? Was kann man von ihm wegnehmen, ohne ihm die Menschlichkeit zu nehmen? Und kann es überhaupt ein klimafreundliches Leben auf der Erde geben, wenn der Mensch existiert?

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