Bye Bye Auto – Warum wir die Mobilitätswende brauchen

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Es ist ein riesiger Erfolg: Mehr als 10 Millionen 9-Euro-Tickets hat die Deutsche Bahn allein im Juni verkauft. Die Passagierzahlen stiegen um durchschnittlich 10-15 Prozent gegenüber dem Vor-Corona Niveau und in 23 der 26 größten Städte Deutschlands ging die Anzahl der Pedlerstaus zum Teil drastisch zurück. Ein guter Start für eine große Mobilitätswende?

In meinem persönlichen Umfeld ist in den letzten eineinhalb Monaten jeder mit dem 9-Euro-Ticket gefahren. Studenten erhielten es automatisch als Teil ihres Semstertickets, alle anderen haben es sich sofort am ersten Tag des Monats gekauft. Das war keine große Überraschung, denn obwohl die meisten meiner nicht-studentischen Freunde bereits ein eigenes Auto haben, nutzen sie die öffentlichen Verkehrsmittel regelmäßig, um Freunde in der Stadt zu treffen oder um nach einem Besuch auf dem Kiez auch angeschwippst nach Hause zu kommen. In der Großstadt sind wenige Parkplätze und nerviger Pendlerverkehr ohnehin gute Gründe, lieber in die U-Bahn zu steigen, als sich selbst hinter das Steuer zu setzen.

Auf dem Weg zur Arbeit setzten sie jedoch auch weiter auf das eigene Auto. Viele Orte, gerade Gewerbe- und Industriegebiete am Stadtrand, sind mit dem ÖPNV einfach zu schlecht oder auch gar nicht zu erreichen. Ein Freund von mir fährt täglich im Schnitt eine halbe Stunde mit dem Auto zur Arbeit, mit öffentlichen Verkehrsmitteln bräuchte er für die Strecke mehr als drei Mal so lange – damit gingen ihm jeden Tag zwei Stunden Zeit verloren. Ein anderer Freund bräuchte für seinen Weg zur Arbeit mit der Bahn etwa eine Stunde – statt maximal 15 Minuten mit dem Auto.

Günstige Tickets sind also nur ein Schritt auf dem Weg zu einem sauberen und fairen Mobilitätskonzept. Um dieses Ziel zu erreichen, braucht es noch weit mehr. Hier ist mein Vorschlag:

Autos raus aus den Städten

Dass Privatmenschen fast standardmäßig ein eigenes Auto besitzen, ist ein äußerst junges Phänomen. 2019 wurden etwa vier Mal so viele Kraftfahrzeuge neu zugelassen, wie noch 1960. Hinzu kommt noch die große Zahl an Ummeldungen von Gebrauchtwagen, die seit 1960 ebenfalls immens gestiegen sein dürfte. Wenn genug Alternativen geschaffen werden, braucht in der Stadt aber keine Privatperson ein Auto – vor allem kein eigenes. Sicher, Handwerkerbetriebe, Logistikunternehmen, Feuerwehren und Paketzusteller:innen können in den allermeisten Fällen nicht mit dem Fahrrad beim Kunden oder bei einem Brand erscheinen. Mit einem gut ausgebauten ÖPNV und soliden Radwegen muss es aber möglich sein, jeden Punkt in einer Stadt zu erreichen. Kostenlos ausleihbare Stadt- und Lastenräder können die Distanz von Bahnhöfen zum Zielort überbrücken oder schwere Einkaufstaschen vom Supermarkt nach Hause transportieren. Und sollte es doch mal gar nicht ohne Auto gehen, zum Beispiel nach einem Großeinkauf im Möbelladen, füllen gebührenpflichtige Carsharing-Angebote diese Lücke. Für private PKWs gilt für diesen Vorschlag in Städten aber: Absolutes Fahrverbot.

Dieses Konzept sorgt nicht nur für leise und vor allem saubere Städte. Im Jahr 2017 saßen nur 30 Prozent der Toten bei Unfällen mit KFZ-Beteiligung in der EU in einem Auto. 52 Prozent waren zu Fuß oder mit dem Fahrrad unterwegs, als sie durch einen Autounfall starben. Auch der Unfallatlas des Statistischen Bundesamtes zeigt: Städte sind gerade für nicht-motorisierte Verkehrsteilnehmer extrem gefährlich. Wird die Stadt also autofrei, rettet das viele Menschenleben.

Derzeit sind in Deutschland rund 59 Millionen Kraftfahrzeuge angemeldet. Ein durchschnittlich normierter deutscher Parkplatz ist 12m² groß. Damit verbrauchen deutsche Autos rund 708 km² Platz, eine Fläche, annähernd so groß wie Hamburg. Zugegeben, einige dieser Fahrzeuge stehen in unterirdischen Tiefgaragen oder auf Firmengeländen. Die allermeisten aber nicht. Wer Geld hat und sich ein Auto leisten kann, beansprucht also noch mehr Raum, als ohnehin schon. Dieser ist Dank öffentlich finanziertem Straßenbau und günstigen Parplätzen sogar staatlich subventioniert. Menschen, die sich kein Auto leisten können oder aus Umweltschutzgründen darauf verzichten, müssen Raum in der Stadt abgeben. Die Menge an Platz, die durch das Verschwinden von Autos in Städten entstehen würde, ist nicht zu unterschätzen. Sie könnte für Parks, Spielplätze oder dringend benötigten Wohnraum eingesetzt werden.

Folgen, die der Mobilisierte Individualverkehr für die Umwelt hat, sind äußerst schwer abzuschätzen. Sicher ist nur: Sie sind gravierend. Fast die Hälfte des in der EU durch Verkehr ausgestoßenen CO² wird durch einfache Personenkraftwagen verursacht – im Vergleich zu 0,4 Prozent durch Schienenfahrzeuge wie Eisenbahnen. Hinzu kommen unter anderem LKW (19%), Schiffahrt (14%) und Luftfahrt (13%). Autos sind Klimakiller.

Städte wie Barcelona oder Amsterdam zeigen seit Jahren, dass ein autofreies oder autoarmes Konzept funktionieren kann. In Barcelona wurde die Stadt in sogenannte Superblocks eingeteilt. Der Mobilisierte Individualverkehr ist nur zwischen dieses Blocks möglich, innerhalb eines Superblocks ist es nur Anwohnern gestattet, mit dem eigenen Auto zu fahren – in Schrittgeschwindigkeit. Dadurch gelang es der Allgemeinheit, große öffentliche Plätze für sich zurückzugewinnen. Amsterdam setzt seit einigen Jahrzehnten auf den massiven Ausbau von Fuß- und vor allem Radwegen. So gelang es der Stadtverwaltung einen Großteil der Parkplatzflächen in der Innenstadt in Parks oder Fahrradstraßen umzuwandeln. Heute gehört Amsterdam zu den saubersten Hauptstädten Europas.

Deutsche Bahn verstaatlichen

Mit der Privatisierung der Deutschen Bahn 1994 begann der Untergang der deutschen Schiene. Denn der von Beginn an überschuldete Konzern tat das, was ein privates Unternehmen eben macht: Kosten senken und Einnahmen erhöhen. Kosten senken – das war verhältnismäßig einfach. Seit der Privatisierung wurde die Belegschaft der Deutschen Bahn halbiert. Zudem wurden zahlreiche unrentable Strecken gestrichen und Provinzbahnhöfe geschlossen. Viele Menschen verloren dadurch ihren Anschluss an das deutsche Schienennetz, die Bahn wurde unzuverlässig, immer mehr Menschen verließen sich auf ihr Auto, statt auf die Bahn. Diese investierte stattdessen zunehmend ins Ausland, wo der Transport von Gütern sich als lukratives Geschäft erwies.

Dabei vergaß die Deutsche Bahn zunehmend ihre eigentliche Rolle: Die Bereitstellung von Mobilität in Deutschland. Denn ganz egal, ob eine bestimmte Regionalbahnstrecke finanziell rentabel ist oder nicht, die Menschen, die von ihr abhängen, sollten das Recht haben, von ihr angeschlossen zu sein. Gerade in Zeiten, in denen soziale Ungleichheit dafür sorgt, dass eine freie Wahl von Wohn- und Arbeitsstätte nicht gegeben ist, ist dies von zentraler Bedeutung. Mobilität ist eine der Grundfunktionen des modernen Staates. Dies zu privatisieren ist genauso sinnvoll, als würde man versuchen, das Gesundheitssystem in private Hände zu geben – Moment mal…

Sicher ist: Wenn wir die Deutsche Bahn verstaatlichen, jeden noch so peripheren Winkel der Bundesrepublik erschließen und mehr pünktlichere Züge fahren lassen wollen, wird sich die Bahn finanziell nicht mehr selber tragen können. Das ist aber auch gar nicht notwendig. Jedes Jahr gibt die öffentliche Hand rund 70 Milliarden Euro für den Straßenverkehr aus. Diese Summe beinhaltet den Bau und Unterhalt von Straßen, die Verkehrspolizei und Unfallfolgekosten. Nicht mit inbegriffen sind die massiven Umweltschäden, die wir und kommende Generationen tragen werden. Doch selbst von diesen 70 Milliarden Euro werden nur 50 Milliarden durch KFZ-bezogene Abgaben und Steuern wie der Mineralölsteuer oder der KFZ-Steuer beglichen. Der Steuerzahler deckt den Rest. Christian Böttger, Professor für Verkehrswesen an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin (HTW) berechnete in einer Studie aus dem Jahr 2021 sogar, dass lediglich 36 Prozent der durch den Fahrzeugverkehr entstehenden Kosten auch von Autofahrern gedeckt würden. Hinzu kommen noch Maßnahmen wie die Dieselsubvention für Privat-PKW (3,5 Mill./Jahr) und das Dienstwagenprivileg (3 Mill./Jahr).

Es wäre also durchaus möglich, die massive Subvention des Autoverkehrs einzustellen, um damit den Betrieb der Deutschen Bahn vollständig zu finanzieren. So könnten auch ländliche Gebiete mit regelmäßigen Verbindungen erschlossen werden und so ein Auto verzichtbar machen. Wer unbedingt weiter Kraftfahrzeug fahren will, sollte dann die Kosten dafür selber tragen müssen. KFZ- und Mineralölsteuer müssen also drastisch steigen, dafür erhält jeder Bürger die Möglichkeit, den ÖPNV kostenlos zu nutzen und Langstreckenverbindungen kosteneffizient zu buchen.

Diese Schritte brauchen Mut. Schließlich ist Deutschland so autoverliebt, wie keine andere Kultur. Jahrzehnte der Dauerwerbung deutscher Automobilhersteller haben den Eindruck erweckt, ein Auto gehöre zum Standard eines wohlgeführten Lebens. Einen Anspruch auf ein Leben mit Auto gibt es aber nicht.

Wir müssen lernen, dass eine Zukunft mit Autos, egal mit welcher Art von Antrieb, nicht realistisch ist – zumindest dann, wenn wir unsere Umweltziele erfüllen wollen. Die Subventionierung des Mobilisierten Individualverkehrs ist schlicht ungerecht denjenigen gegenüber, die entweder wenig Geld haben, oder im Sinne der Allgemeinheit die Umwelt schützen.

Projekte wie das 9-Euro-Ticket zeigen, dass Menschen unter den richtigen Umständen bereit sind, von der Straße auf die Schiene zu wechseln. Doch bislang löst es nur das Problem der Finanzierbarkeit von Fahrkarten, unpünktliche Züge und schlechte Anbindungen sind weiter deutlich zu spüren. Was Deutschland braucht, ist eine massive Mobilitätswende. Das 9-Euro-Ticket kann also nur der symbolische erste Schritt sein, auf dem Weg in eine gerechtere und saubere Welt.

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