Kommentar
Inflation von 7,9 Prozent, teilweise verdoppelte Lebensmittelpreise, Gasumlage, massiv erhöter Strompreis: Das Leben in Deutschland ist in den letzten Monaten empfindlich teurer geworden. Insbesondere Haushalte und Familien mit geringem Einkommen bekommen dies tagtäglich zu spüren, auch die deutschen Tafeln berichten von einem nie dagewesenen Zuwachs an Abnehmer:innen von gespendeten Lebensmitteln. Mit zwei Entlastungspaketen versuchte die Bundesregierung bisher gegenzusteuern – mit gemischten Erfolg. Während das 9-Euro Ticket dafür sorgte, dass Staus kürzer und Sommerausflüge für fast alle leistbar wurden, pumpte der sogenannte Tankrabatt vor allem Geld in die Taschen umweltschädlicher Mineralölkonzerne. Nun soll ein drittes und vor allem deutlich teureres Entlastungspaket für Abhilfe sorgen und endlich auch mehr Gruppen den finanziellen Druck von den Schultern nehmen. Doch auch Tage nach seiner Ankündigung sind noch viele Punkte zu vage. Wem hilft das dritte Entlastungspaket wirklich?
Mehr Wohngeld für mehr Menschen
Derzeit beziehen rund 640.000 Deutsche Wohngeld vom Staat und zahlen damit einen Teil ihrer Mieten und Nebenkosten. Einen Anspruch auf Wohngeld haben Haushalte, deren Einkommen knapp über der Grundsicherung liegt. Etwa die Hälfte der aktuellen Bezieher:innen sind Rentnerinnen und Rentner. Mit dem dritten Entlastungspaket soll der Kreis der Empfangsberechtigten deutlich ausgeweitet werden – auf rund zwei Millionen Menschen. Diese Zahl steht aber bisher ohne weitere Begründung im Raum. Welche Kriterien also zukünftig für den Bezug von Wohngeld gelten und wie die Bundesregierung die Zahl von zwei Millionen Bezugsberechtigten errechnet, ist derzeit noch völlig offen. Klar ist nur: Auch die Höhe des Wohngeldes wird sich verändern, dann künftig sollen die Anteile für Strom- und Gaskosten höher sein als bisher.
Kommt nun doch eine Übergewinnsteuer?
Um Bürger:innen in der aktuellen Krise zu entlasten, haben andere europäische Länder wie beispielsweise Spanien eine Übergewinnsteuer eingeführt. Diese Steuer soll übermäßige Gewinne von Unternehmen abschöpfen, die von der Krise unverhältnismäßig pofitiert haben. Dazu gehören insbesondere große Energie- und Rohstoffkonzerne. In seiner Rolle als Wirtschaftsgönner schreckte Finanzminister Lindner davor bisher zurück. Nun kündigt die Bundesregierung an, „hohe Zufallsgewinne“ von Stromproduzenten besteuern zu wollen. Was nach einem festen Plan klingt, ist jedoch weder zu Ende gedacht, noch sicher. Zunächst bedeutet eine Abschöpfung von „Zufallsgewinnen“ (dieses Wort wird mutmaßlich auch nur deshalb benutzt, um Christian Lindner nicht weiter unglaubwürdig darstehen zu lassen) von Stromkonzernen, dass auch Anbieter erneuerbarer Energien besteuert werden können. Mineralölkonzerne wie Shell mit einem Gewinnwachstum von über 400 Prozent aber nicht. Außerdem kündigt die Bundesregierung bisher lediglich an, sich „in der Europäischen Union mit Nachdruck dafür einzusetzen“. Das heißt alles und nichts. Ob so eine Steuer – und damit verbunden eine Strompreisbremse – also wirklich kommt, steht derzeit noch in den Sternen. Viele Verbraucher:innen, die seit Jahren teurere Tarife für erneuerbaren Strom zahlten, jetzt aber solidarisch höhere Strompreise zahlen müssen, werden ebenfalls nicht explizit bedacht.
Was kann das neue Bürgergeld?
Nach 18 Jahren soll zum 1. Januar 2023 endlich Schluss sein mit Hartz IV – zumindest mit dessen Namen. Stattdessen soll ein sogenanntes Bürgergeld eingeführt werden. Dieses beträgt für einen Ein-Personen-Haushalt mit etwa 500 Euro rund zehn Prozent mehr als der vorherige Hartz IV Satz. Viel mehr ist über das neue Bürgergeld aber noch nicht bekannt. Ob etwa die viel kritisierten Sanktionen wegfallen oder Kinder von Beziher:innen künftig ein eigenes spürbares Taschengeld dazuverdienen dürfen, ist weiter offen. Bisher ist das Bürgergeld nicht viel mehr als ein neuer Name mit angeheftetem 50 Euro-Schein. Ein Tropfen auf den heißen Stein, angesichts der derzeitigen Kostenexplosionen.
Das 9-Euro Ticket kostet jetzt das fünf bis siebenfache
Das 9-Euro Ticket war der wohl größte Erfolg der Bundesregierung innerhalb diesen Jahres. Nicht nur entlastete es Millionen von Menschen direkt finanziell und verminderte die Inflation, es ermöglichte auch unzähligen Familien und Haushalten klimafreundliche Urlaube und Ausflüge, die sie sich sonst nicht hätten leisten können. Es beendete für drei Monate den Tarifjungel des deutschen ÖPNV und ermunterte viele Pendler:innen, ihr Auto zu Hause stehen zu lassen. Damit diese Effekte dauerhaft spürbar werden, bräuchte es aber langfristigere Maßnahmen, wie deutliche Investitionen in Infrastruktur, Sanktionen für städtische Autofahrer:innen und ein dauerhaft günstiges Ticket.
Das von der Bundesrgierung nun auf den Weg gebrachte deutschlandweit gültige ÖPNV Ticket erfüllt nur bedingt die Erwartungen. Zwar soll es deutschlandweit nutzbar sein, die Kosten werden mit 49 bis 69 Euro jeder deutlich höher sein, als beim 9-Euro Ticket bisher. Damit ist es zwar günstiger als reguläre Monatstickets, die je nach Stadt oder Tarifzone bei rund 150 bis 200 Euro liegen, für Menschen mit sehr geringem Einkommen wird es aber trotzdem kaum erschwinglich sein. Für Mobilität stehen einer Hartz IV Bezieher:inn derzeit nur knapp 40 Euro – ausgenommen dieses Geld muss aufgrund der ansonsten niedrigen Bemessung (z.B. 155,82€/Monat für Nahrung oder 1,62€/Monat für Bildung) bereits anderweitig ausgegeben werden. Ein für finanziell schlechter gestellte Menschen günstigeres Ticket wurde von der Bundesregierung bisher nicht einmal angesprochen. Der große Schritt zur Mobilitätswende ist das neue teurere Ticket also nicht.
Energiegeld für Rentner:innen und Studierende
Mit dem letzten Entlastungspaket erhielten Arbeitneher:innen 300 Euro ihrer Einkommenssteuer zurück. Vielen Beschäftigten hilft dies, um die durch Gasumlage und hohe Strompreise immensen Energiekosten ein Stück weit abzufedern. Gerade die von Armut aber häufig betroffenen Gruppen gingen leer aus. Weder Rentner:innen noch Studierende erhielten einen Anspruch auf die Pauschale. Nun sollen 300 Euro an Rentner:innen und 200 Euro an Studierende ausgezahlt werden. Zwar wurden innerhalb des Jahres die BAföG-Sätze leiht erhöht, in Deutschland beziehen aber nur rund 11 Prozent der Studierenden die Unterstützung vom Staat. Gleichzeitig wurden auch die Beiträge der studentischen Krankenkassen erhöht, welche deutlich mehr Studierende zahlen müssen. Während die Energiepauschale für Rentenbezieher:innen direkt über eine Überweisung der Rentenkasse zum 1. Dezember stattfinden soll, ist derzeit noch unklar, wie Studentinnen und Studenten an ihr Geld kommen. Frühestens wird es wohl aber im Januar ausgezahlt. Auch warum Student:innen einhundert Euro weniger erhalten sollen als andere Bezieher:innen, wurde bisher nicht erläutert. Rentner:innen müssen ihren Betrag zudem versteuern.
Das dritte Maßnahmenpaket der Bundesregierung knüpft also an vielen Stellen sinnvoll an, es entlastet Gruppen, die bisher wenig Entlastung erfahren haben. In den meisten Punkten geht es aber nicht weit genug oder bleibt zunächst so vage formuliert, dass bisher nicht klar ist, wer genau von welcher Last befreit werden soll. Mit 65 Milliarden ist das Paket größer als die beiden vorherigen zusammen, dennoch entsteht der Eindruck, die Entscheidung über die Höhe des Pakets sei früher gefallen, als die über einzelne Maßnahmen. Nur so lässt sich erklären, warum feststeht, wie viel zusätzlich für Wohngeld ausgegeben werden kann, ohne den Kreis der künftigen Bezieher:innen konkret zu benennen. Für viele bleibt also die Unsicherheit über mögliche Maßnahmen. Ebenso wie die Sicherheit über weitere Kostensteigerungen im Alltag.