Die Queen ist tot, die Monarchie lebt weiter – eine kolonialkritische Perspektive

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Bildquelle: BibilioArchives/LibraryArchives | (CC-BY-2.0)

Am Freitag dem 9. September verstarb die britische Königin Elizabeth II im Alter von 96 Jahren. Damit war sie so lange Monarchin wie niemand zuvor in Großbritannien. Seit ihres Amtsantritts am 6. Februar 1952 regierte sie über 70 Jahre und nun reagieren Menschen in aller Welt auf ihren Tod, Unzählige bekunden ihr Beileid und trauern um die Pop-Ikone.

„The Yanks have colonized our subconscious“ – heißt es in Wim Wenders Film Kings of the Road in Bezug auf die Vereinigten Staaten und er beschreibt damit etwas, was sich auch in den Reaktionen auf das Abscheiden der britischen Queen zeigt. Ist es nicht spannend, wenn nicht paradox, dass sich im Netz und vor den Fernsehern Abertausende Menschen betroffen zeigen über den Tod einer Persönlichkeit, welche deren Leben nicht im geringsten direkt beeinflusst hat? In seinem traurigerweise wenig populären Werk The Two Faces of American Freedom eröffnet Aziz Rana mit einer nahezu identischen, sowie gleichermaßen kuriosen Beobachtung der Wahl von US Präsident Barack Obama im November 2008:

It is not surprising for members of a political community to follow their domestic elections closely or to celebrate the victory of favored candidates. It is surprising, however, when individuals do the same for a political contest taking place in a distant country, to which they have little apparent relationship and in which they have no capacity to influence the outcome. Yet, in the days before and after Barack Obama’s election as president of the United States, not only did individuals throughout the world pay rapt attention to the results, many engaged in spontaneous celebrations.

Aziz Rana

Ähnlich wie Barack Obama für viele den Glauben an den American Dream mit neuem Leben gefüllt hat, und seine Wahl unfassbare Aufmerksamkeit auf sich zog, scheint die Queen mit ihren „frock coats and matching hats“ die Sehnsüchte nach einer idyllisch-unbeschwerten Zeit zu bedienen. Die Monarchie samt Prunk und Pferdekutschen wirkt wie das Relikt einer Zeit, den „guten alten Zeiten“, welches Platz für Vergangenheitsphantasien und Nostalgie schafft. Ihre Kolonialvergangenheit und -kontinuitäten verschwinden hinter dieser prunkvollen Fassade.

Wer sich noch nie gefragt hat, warum Englisch unsere „Weltsprache“ ist, weltweit gibt es nur 22 Länder, in die die Briten nicht einmarschiert sind. Damit ist Großbritannien das mächtigste Imperium der Menschheitsgeschichte und vereint bis heute 56 Staaten unter dem Commonwealth.

https://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/4.0/ (Katapult Magazin – Nicht kommerziell – Keine Bearbeitungen 4.0 International)

Der glamouröse Schein der Jahrhunderte alten Monarchie Großbritanniens drängt die eigene Kolonialgeschichte, wie sie blutiger nicht sein könnte, in den Schatten. Eine Zusammenfassung imperialer Verbrechen der britischen Krone gibt es zwischen all den Beileids Bekundungen zum Tod der Queen hier auf Twitter:

Der Tod von Elizabeth II. gibt Anlass all derer zu gedenken, die unter britischer Fremdherrschaft oder im Kampf gegen diese ihr Leben lassen mussten. Bereits die Liste kolonialer Verbrechen zur Amtszeit der Queen ist erschütternd lang. In einem Interview mit dem Tagesspiegel nennt der Hamburger Historiker Jürgen Zimmerer die britischen Verbrechen in Kenia, Malaysia, und Ägypten.  Während des Mau-Mau-Aufstands kamen nach britischen Angaben 11 000 Kenianer um, die Menschenrechtskommission in Nairobi spricht von 90 000. Schätzungsweise 160 000 oder mehr wurden eingesperrt und gefoltert. Dies geschah Anfang der 50er Jahre, nachdem die Kikuyu durch weiße Siedler zunehmend zurück gedrängt und marginalisiert wurden. Forderungen nach politischer Teilhabe und Landreformen blieben unerhört, sodass sich die Aufstände gegen die Kolonialmacht zunehmend verschärften. 1952 ruft Großbritannien daraufhin den Notstand aus und schickt schwer bewaffnetes Militär in das afrikanische Land.

Over a million Kikuyu people—men, women and children—had their homes and possessions destroyed before they were herded into 800 guarded villages, effectively imprisoned behind barbed wire. They were dumped in these barbed wire compounds and left to sleep in the open until they had built their own homes. For the Kikuyu and their allies, Kenya was one of the most brutal police states in the world. 

John Newsinger

Ebenfalls gewaltvoll versuchten die Briten Ende der vierziger Jahre erfolglos, aber auf Kosten unzähliger Opfer, die malaiischen Unabhängigkeitskämpfe zu unterdrücken. Darauf folgt eine jahrzehntelange antikommunistische und probritische Propagandaoffensive, die Teil einer Doppelstrategie aus, zur Abwendung eines sich verstärkenden Aufstands notwendigen Zugeständnissen, sowie brutalem Vorgehen gegen die Freiheitskämpfer:innen war. Obwohl Malaysia 1957 endlich unabhängig wurde, blieben dort weitere drei Jahre britische Truppen stationiert und bis heute bildet es einen der 56 Commonwealth Staaten.

Unter die Amtszeit Elizabeths der II. fällt außerdem die britisch-französische Militärintervention 1956 in Ägypten, nachdem Großbritannien dort bereits 1882 einmarschiert war. Als Ägypten den Suezkanal verstaatlichte, und motiviert den Präsidenten Gamel Abdel Nasser, welcher das Land vom britischen Einfluss befreien wollte, zu stürzen, besetzten Großbritannien und Frankreich den für ihre Erdölversorgung zentralen Kanal. Diese imperialen Bestrebungen und kolonialen Verbrechen sind Teil einer Geschichte von Genoziden, gewaltvoller Unterdrückung, und Fremdherrschaft, die bis in das 15. Jahrhundert reicht.

Our […] prime minister Boris Johnson publicly boasted that Britain had conquered or at least invaded 171 of the 193 UN member countries. […] While Johnson celebrated British militarism, he did at the same time point to a reality that once again British historians have done their best to play down. The British state is one of the most warlike in history. Indeed there is hardly a single year when British troops have not been killing foreigners somewhere. For Johnson this is a cause for celebration, but for many people it is positively shameful.

John Newsinger

Aus seiner Position zu dieser Geschichte macht Boris Johnson offenbar keinen Hehl, und Elizabeth II.?

If the Queen was not privy to the gory details of British counterinsurgency in Kenya during the first decade of her reign, she has been for the last decade at least, yet has never expressed regret over them, or over British violence in Yemen, Malaysia, Cyprus, and elsewhere, up to Britain’s eager participation in the invasions of Iraq and Afghanistan. Such silence had the very real political effect of extending the harms of slavery and colonialism.

Priya Satia

Queen Elizabeth II. hat zu Großbritanniens Kolonialismus ganz offenbar nie kritisch Stellung bezogen und so stillen Beistand geleistet. Ganz im Gegenteil, bei einer Feierlichkeit 2007 zum 400. Jahrestag der Gründung von Jamestown im heutigen Richmond, Virginia lobte sie die Bestreben der damaligen britischen Siedler: “With the benefit of hindsight, we can see that in that event, the origins of a singular endeavor, the building of a great nation founded on the eternal values of democracy and equality based on the rule of law and the promotion of freedom“. Dass die Gründung dieser „großartigen Nation“ nur durch die Massenvertreibung und -ermordung Einheimischer möglich wurde und von einer blutigen Sklavereigeschichte gefolgt wurde, findet keine Erwähnung. Inwiefern die USA auf ewig währenden demokratischen Freiheitswerten, deren Erosion viele spätestens seit der Trump Administration beobachten, basiert, stellt Aziz Rana mit einem Blick auf die US-amerikanische Verfassung ebenso in Frage.

Socialists in the early twentieth century similarly argued that the American constitutional system’s underlying design framework was incompatible with mass democracy. Its endless veto points, from the Senate to the Supreme Court, fundamentally constrained popular power. […] In particular, Socialists were deeply concerned with the extent to which unelected judges controlled the terms of any meaningful constitutional change. […] Although presented as a concrete embodiment of the American democratic tradition, in truth the constitutional order actually reaffirmed rule by the few and promoted a culture of deference toward deeply undemocratic institutions and norms.

Aziz Rana

Vor diesem Kontext wirken Elizabeths Worte in Virginia leer. Dieses Narrativ passt schlichtweg nicht zu der royalen Vorstellung freiheitlicher Werte, die Großbritannien angeblich in die eroberten Teile der Welt getragen hat und unter dem Deckmantel des Commonwealth weiter zu pflegen scheint, oder?

Die im zweistelligen Millionen-Bereich anzusiedelnden Opferzahlen der britischen Kolonialherrschaft in Afrika und Indien, die Gewaltgeschichte des britischen Sklavenhandels und das ganze, vergiftete Erbe des britischen Raubtierkapitalismus vom 17. bis zum 19. Jahrhundert – das alles verblasst unter dem entschärfenden Begriff des Commonwealth (Gemeinwesen), mit dem man diese blutige Erbschuld der Historie ins 20. und 21. Jahrhundert überführt hat.

Uwe Schütte

Die Verbindung ehemaliger britischer Kolonien birgt mehr als einen Widerspruch in sich. 1931 gegründet soll der Commonwealth souveräne Staaten weiterhin unter der Krone vereinen, die sich an diesen, ihren ehemaligen Kolonien, über Jahrhunderte hinweg bereichert hat. Diese Bereicherung nimmt brutalste Formen an, die sich besonders an den Massensterben in Irland oder Indien zur Mitte des 20. Jahrhunderts zeigen. Ein Staat der gemeinsamen Wohlstand propagiert, exportierte 200 Millionen Pfund Reis aus Indien, während dort mehrere Millionen Menschen an der Hungersnot von Orissa starben, Das Massensterben durch Hunger als Merkmal der britischen Herrschaft in Indien erreichte seinen Höhepunkt dann 1943-1944 mit der Kriegshungersnot in Bengalen, die schätzungsweise rund fünf Millionen Menschenleben kostete.

In Irland zeigte sich die Kolonialmacht von einer ähnlichen Seite. In der als Great Famine bekannten Hungersnot, die Chris Fogarty, Autor und Aktivist zu Zeiten der Troubles in Nordirland, richtigerweise als Genozid bezeichnet, starben schätzungsweise über eine Million Menschen, weitere zwei Millionen waren gezwungen, das Land zu verlassen. Inmitten der Kartoffelseuche exportierte die britische Regierung jedoch weiterhin erhebliche Mengen an Lebensmitteln aus Irland und diese liberale laissez-faire Wirtschaftspolitik entpuppte sich als genozidal. Auch diese Seite britischer Geschichte bleibt bis heute seitens der Royals unkommentiert.

„Die Queen hat aber eine rein repräsentative Funktion, echte politische Macht übt sie nicht aus und kann damit nicht zur Verantwortung gezogen werden“ – so oder ähnlich antworten viele Royalfans auf Twitter auf die scharfen Vorwürfe durch kolonialkritische Stimmen. Dabei geht es ausdrücklich nicht um die Schuldfrage für Verbrechen vor ihrer Amtszeit, um Verantwortungsübernahme für den Umgang mit diesen widerum schon.

Aus einer Reihe von Regierungsvermerken, die in den Nationalarchiven aufgetaucht sind, geht hervor, dass der Privatanwalt von Elizabeth Windsor Druck auf die Minister ausübte, um Gesetzesvorschläge zu ändern und so zu verhindern, dass Informationen bezüglich ihres Aktienbesitzes an die Öffentlichkeit gelangen. Wie machtlos kann jemand außerdem überhaupt sein, die oder der Minister, Berater, und Kabinettsbeamte für die Krone ernnenen, sowie königliche Begnadigung gewähren kann und auf deren Tod Milllionen Menschen reagieren?

Die Medienpräsenz rund um den Tod der britischen Queen ist überwältigend, ganz so „als wäre so ein Königinnentod Opium fürs Medienvolk“ (Stichwort Opium an dieser Stelle mit bitterem Nachgeschmack in Erinnerung an die Opium Kriege). Warum sprechen wir in diesem Zuge nicht mal darüber, dass in den Kronjuwelen Edelsteine kolonialer Raubzüge verwendet wurden?

Auf Forderung von Oxford-Studierenden hin, und gegen den ausdrücklichen Willen des damaligen Bildungsministers Gavin Williamson, wird 2021 ein Porträt der britischen Monarchin an der Universität abgehängt. Dieser Schritt darf erst der Anfang eines bitternötigen kritischen Wandels im Umgang mit kolonialen Kontinuitäten sein, denn „beim Tod von Elisabeth II. wird klar: die britische Monarchie hat sich überlebt“. Und um zu Wenders Filmzitat zurück zu kommen; kolonialisiert hat sie unser Unterbewusstsein mit einer infantilen royalen Phantasie, gar zu einer Faszination dessen, was der irische Gewerschafter und Revolutionär James Conolly 1910 bei einem Besuch des damaligen britischen Königs George V. als „a survival of the tyranny imposed by the hand of greed and treachery upon the human race in the darkest and most ignorant days of our history“ beschreibt.

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