(Un-)angemessen? – warum deine Bambuszahnbürste nicht die Welt rettet

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Foto Quelle: Stefan Müller (climate stuff, 1 Mio views) from GermanyCC BY 2.0, via Wikimedia Commonsmons

Kommentar

Erst „attackieren“ Aktivist:innen von Just Stop Oil Van Gogh´s „Sonnenblumen“ mit Tomatensuppe, dann die Letzte Generation Monet´s „Heuhaufen“, nachdem ein Klimaaktivist im Juni bereits die Mona Lisa im Louvre mit Kuchen beschmierte – der Aufschrei ist groß. Allerdings nicht darüber, dass wir trotz immer eindringlicherer Stimmen der Wissenschaft, die vor einer existenziellen Katastrophe warnen, nicht handeln, sondern darüber, dass diese wertvollen Kunstgegenstände verunstaltet werden und Aktivist:innen sich „radikalisieren“. Belächelt werden die, die sich mit Sekundenkleber auf Straßen kleben, oder angeschrien, wenn der eigene SUV in dem durch sie verursachten Stau steckt: „Wirklich absolut unangemessen!“

Aber was ist angemessen? Kurios ist in jedem Fall, dass Bertha Ryland vor einigen Jahren für genau diese „unangemessene“ Art des Aktivismus, wie sie heute einige Klimabewegungen replizieren, von der Birmingham Civic Society ausgezeichnet wurde. Nachdem die Suffragette 1914 mit einem Messer ein Gemälde der Birmingham Art Gallery mit drei Stichen zerstach und dafür für sechs Monate inhaftiert wurde, wird der Einsatz der Frauenrechtlerin 100 Jahre später in höchsten Tönen gelobt, denn das Frauen wählen, ist für uns heute selbstverständlich. Rylands Aktivismus ist daher selbstverständlich angemessen, gar lobenswert. Zur Zeit der Suffragettenbewegung Anfang des letzten Jahrhunderts haben die meisten das allerdings anders gesehen. Dass Frauen gleichermaßen zur Wahl gehen sollten wie Männer, ja gleiche Rechte einfordern, das schien für die Mehrheit völlig abstrus. Es liegt also nahe, dass sich unsere Wahrnehmung davon, was radikal und was angemessen erscheint, verändert und ist das widerum nicht ein Grund, schon jetzt zu hinterfragen, ob das „Radikale“ es wirklich ist? Wie werden wir in 100 Jahren auf die lauwarme „Innovationen regeln das schon“-Politik von heute schauen und warum warten wir immernoch darauf, dass diese Innovationen und unsere Politiker:innen uns vor einer Krise retten, die in Pakistan und vielen anderen Teilen der Welt bereits zur Katastrophe geworden ist?

Die Klimakrise spaltet uns. Dabei wollen wir am Ende des Tages doch alle dasselbe – eine lebenswerte Zukunft. Die wird es, wenn wir so weiter machen wie heute, nicht geben und auch darüber sind sich die meisten einig. In dem Versuch, mit Papierstrohhalmen und Secondhand Klamotten meinen Beitrag zu leisten, erlebe und bin ich in meiner Familie und Freundeskreis Teil einer toxischen Kultur von Victimblaming. Bereits in der Schule lernen wir, wie wichtig Recycling und Radfahren sind. Heute fühle ich mich gut an der Kasse, wenn ich mich für den Bio Kürbis aus der Region entscheide, nachdem ich die Avocado aus Peru wieder zurück gelegt habe. Die Produkte der Person vor mir auf dem Kassenband beäuge ich kritisch, „völlig unangemessen heute noch Fleisch zu essen“, und wenn mir jemand vom Flug in einen einwöchigen Urlaub erzählt, nachdem ich mich mit einem Interrailticket bis nach Südspanien gequält habe, kann ich meinen Unmut nicht verbergen. Und dennoch, während wir uns gegenseitig genau diese Dinge vorhalten, nicht gewissenhaft genug unseren Müll zu trennen, nicht den 200€ Fairtrade Pullover aus Bio-Baumwolle zu kaufen und das Auto nicht oft genug stehen zu lassen, stempeln wir diejenigen, die täglich auf der Straße für eine lebenswerte Zukunft kämpfen trotzdem als verrückt gewordene Radikale ab.

Stattdessen sind Bambuszahnbürsten und Teslas Symbole des Kampfes gegen die Klimakatastrophe geworden. Aktivismus ist eine Form individuellen Konsums, eine Art „grüner“ Wettkampf unseren CO2 Fußabdruck zu minimieren. Wir konsumieren gegen die Krise, aber eben „grüne“ Produkte und damit leistet jeder für sich einen Beitrag, oder?

My claim in this is that an accelerating individualization of responsibility in the United States is narrowing, in dangerous ways, our “environmental imagination” and undermining our capacity to react effectively to environmental threats to human well-being. Those troubled by overconsumption, consumerism and commodification should not and cannot ignore this narrowing. Confronting the consumption problem demands, after all, the sort of institutional thinking that the individualization of responsibility patently undermines. It calls too for individuals to understand themselves as citizens in a participatory democracy first, working together to change broader policy and larger social institutions,
and as consumers second.

Michael F. Maniates

British Petroleum hat mit dem CO2 Fußabdruck eine wohl mindestens genauso erfolgreiche PR-Kampagne gefahren wie CocaCola mit dem Weihnachtsmann. „It’s time to go on a low carbon diet“ propagiert der Öl- und Gaskonzern BP 2006 auf seiner Homepage. Als Bestandteil seiner Kampagne „Beyond Petroleum“ bot das Unternehmen gleich neben dem Spruch einen CO2-Fußabdruck Rechner an.

Die einstige Idee von BP, den eigenen Anteil an der Klimakatastrophe zu relativieren, hat eine erstaunliche Karriere hingelegt. Nun retten „wir alle“ das Klima, wenn wir unseren jeweiligen Ausstoß an Treibhausgasen reduzieren. Der berühmte „Otto Normalverbraucher“ steht so in einer Reihe mit Treibhausgas-Emittenten wie Industrie, Energie, Handel und Verkehr, Landwirtschaft sowie den sie flankierenden Staaten. 

Björn Hendrig

BP möchte, dass wir die Verantwortung für den drohenden Klimakollaps übernehmen. Genauso wie CocaCola uns ein schlechtes Gewissen wegen der Verschmutzung durch ihre Kunststoffe und Dosen einredet, oder – noch schlimmer – die Tabakkonzerne den Rauchern die Schuld dafür gaben, dass sie von den krebserregenden Produkten abhängig wurden. Der Britische Konzern spielt diese bekannte Strategie vom Feinsten und lenkt geschickt davon ab, was der Krise in erster Linie zugrunde liegt – ein unendlich wachsender Hunger nach fossilen Rohstoffen auf einem endlichen Planeten, und dass die mit ihnen erwirtschafteten Gewinne sich in den Händen einiger weniger konzentrieren- oder einfach: Kapitalismus.

Dorothea Siems will uns in der Welt darüber aufklären, dass alle, die sich nicht ihrer Wahnvorstellung vom ewigen Wachstum hingeben, die Krise nicht verstanden hätten. „Radikale Wachstumsskeptiker:innen“ würden mit ihrer „Ökospinnerei“ die „Anpassungsfähigkeit der Marktwirtschaft“ unterschätzen. Immerhin, so Siems, berge auch Ökowirtschaft „enorme Geschäftschancen“. Chancen für wen, frage ich mich. Dieser standardmäßige, neoliberale Diskurs, dass Kapitalismus, Ökologie und Demokratie angeblich einander bräuchten und daher das gegenwärtige System alternativlos ist, hält sich hartnäckig.

In our struggle to bridge the gap between our morals and our practices, we stay busy—but busy doing that with which we’re most familiar and comfortable: consuming our way (we hope) to a better world.

Michael F. Maniates

Politische Teilhabe ist nicht unser Konsumverhalten. Weder die Suffragetten, noch die Freedom Riders haben Veränderung erkämpft, indem sie ihr eigenes kleines Leben gestaltet haben. Sie haben sich kollektiv organisiert und wussten dabei am Anfang nicht, was die Bewegung vollbringen würde, und dass diese Rechte 100 Jahre später selbstverständlich sein würden. Bei der ersten Montagsdemonstration in der DDR hat wohl niemand geahnt, dass zwei Monate später, im November 1989, über 100.000 Menschen allein in Leipzig für ihre politischen Überzeugungen auf die Straße gehen würden. Haben wir diese Art der politischen Organisation als Kollektiv verlernt? Brauchen tun wir sie dringend und noch nie gab es so viele Vorbilder aus der Geschichte wie heute, die strategische Ideen liefern.

Unterdessen scheint sich die politische Linke allerdings selbst zu zerfleischen. Von der Partei die Linke ganz zu schweigen, tun sich Klima- und andere linke Bewegungen schwer, sich gruppenübergreifend zu organisieren. Ich erlebe in der Hochschulpolitik, wie fehlender Konsens über die „angemessene“ Schärfe und Art der Maßnahmen Klimagruppen davon abhält Bündnisse zu bilden. Es wird sich gegenseitig beschuldigt, zu oder zu wenig „radikal“ zu sein. Gemeinschaftliche Organisation von unten, wie sie Maniates beschreibt, ist also in keiner Hinsicht einfach, im Gegenteil. Welche Strategien des Widerstandes erfolgreich sind, zeigt erst die Zukunft, wie schwierig die Organisation letzteren sein kann die Vergangeneheit. Uns muss jedoch klar sein, dass uns weder „grüne“Innovationen noch die Politiker:innen retten werden, die auf er COP27 kommende Woche über unsere Zukunft verhandeln – auf einer Konferenz, die von Coca Cola, einem der Plastikverbraucher schlechthin, gesponsort wird.

Changes and progress very rarely are gifts from above. They come out of struggles from below.

Noam Chomsky

Don´t get me wrong, Veränderungen unseres Konsumverhaltens sind wichtig, denn wir müssen lernen zu verzichten. Selbst in einer funktionierenden Kreislaufwirtschaft kann es keinen Individualverkehr, exzessiven Konsum von Tierprodukten oder private Zweitwohnungen geben, wie Ulrike Hermann in ihrem neuen Buch „Das Ende des Kapitalismus“ beschreibt. Die fanatische Individualisierung von Klimapolitik und Faszination mit dem eigenen Fußabdruck macht uns jedoch blind für das eigentliche Problem. Recycling und co. sind wichtige Maßnahmen zur Schadensbekämpfung, aber eine „elektrische Revolution“ der Mobilität wird die Krise nicht aufhalten und manipuliert unser Verständnis davon, welche Art von Revolution es wirklich braucht. Der Kapitalismus zerstört sich selbst, denn er braucht stetiges Wachstum um stabil zu sein, welches es auf einem endlichen Planeten schlichtweg nicht geben kann. Auch nicht, wie viele Innovationsoptimist:innen behaupten, durch „grüne Technologien“.

Während wir uns darüber streiten, ob ein bisschen Tomatensuppe auf der Glassscheibe eines Gemäldes angemessen ist, sterben Menschen in Pakistan an den Folgen der „schwerste Flutkatastrophe seit Beginn der Wetteraufzeichnungen„. Die Frage muss doch sein, ob es nicht vielmehr unagemessen ist, nicht aktiv zu werden wenn buchstäblich unser Leben auf dem Planeten auf dem Spiel steht. Stattdessen empören wir uns lieber über Kartoffelbrei oder Sekundenkleber und wedeln mit unseren Bambuszahnbürsten.

Environmentalism without class struggle is just gardening.

Chico Mendes

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