Die dramatische Lage der Bildungsversorgung an deutschen Schulen

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Der Lehrkräftemangel in Deutschland ist ein dauerhaftes Thema. Schon seit vielen Jahren befindet sich Deutschland in einer schlimmen Krise, die die Bildungsversorgung von Schulen landesweit betrifft. Doch es scheint sich daran nichts zu ändern. Im Gegenteil, die Lage verschlechtert sich sogar noch. Bis zum Jahr 2035 werden laut der Kultusministerkonferenz (KMK) mindestens 23,800 Lehrkräfte bundesweit fehlen, der Bildungsforscher Klaus Klemm prognostiziert sogar einen Mangel von ungefähr 158,700 Lehrkräften.

Regelmäßig wird von neuen Notständen berichtet, so auch von der Erziehungswissenschaftlerin Felicitas Thiel. In einem Interview mit der ZEIT berichtet sie: „die Lage ist dramatisch, das zeigen die Zahlen aus fast allen Bundesländern – immer wieder fällt Unterricht aus, Lehrkräfte fehlen“. Auch der Verbandspräsident des Deutschen Lehrerverbands Heinz-Peter Meidinger erklärt: „Bundesweit gehen wir von einer echten Lücke von mindestens 30,000, vielleicht sogar bis zu 40,000 unbesetzten Stellen aus“. Diese Zahlen beziehen sich hierbei auf das aktuelle Schuljahr 2022/23. Die Lage ist also auch jetzt schon stark beunruhigend. Auch viele weitere Institutionen schlagen Alarm, unter ihnen auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). Sie warnt vor einem Notstand in den Schulen und teilt mit, dass sich der Lehrkräftemangel im Vergleich zum Vorjahr noch einmal verstärkt habe.

Laut einer Prognose der KMK wird bis zum Jahr 2035 mit einem Anstieg der zu beschulenden Kinder und Jugendlichen von einer Millionen, vor allem in den Stadtstaaten wie Hamburg, Berlin und Bremen gerechnet. Dabei sind die geflüchteten Kinder und Jugendlichen aus der Ukraine noch nicht mit eingerechnet. Zugleich prognostiziert die KMK einen Mangel von nur knapp 23,800 Lehrkräften bis zum gleichen Jahr. Der Bildungsforscher Klaus Klemm hingegen, sagt eine wesentlich höhere Zahl fehlender Lehrkräfte voraus. Seine Prognose von rund 158,700 fehlenden Lehrkräften umfasst auch politische Reformvorhaben wie beispielsweise die Inklusion und den Ganztagesschulbetrieb. Selbst wenn man letzteres außer Acht lässt, belaufen sich seine Berechnungen immer noch auf rund 127,100 unbesetzte Stellen.

Die WELT veröffentliche 2020 einen Artikel, der die Lage in Nordrhein-Westfalen beschreibt. Dort wird laut Prognosen allein in diesem einzigen Bundesland mit einem Mangel von 15.000 Lehrkräften über die nächsten zehn Jahre gerechnet. Auch wenn NRW das bislang am schwersten betroffene Bundesland Deutschlands zu sein scheint, deutet auch diese hohe Zahl an mangelnden Lehrkräften darauf hin, dass die Berechnungen der KMK sehr niedrig angesetzt sind.

In diesem Zuge werden viele Stimmen laut, die Lösungsvorschläge für diese desaströsen Zustande verlangen. Bisher umfassen diese beispielsweise, dass pensionierte Lehrkräfte zurück in den Schulbetrieb geholt werden oder dass Teilzeitkräfte zur Aufstockung des Lehrbetriebes dienen sollen. Auch Quereinsteiger*innen und Altbewerber*innen können laut dem Bericht der KMK aus dem März 2022 dazu dienen, dem Lehrkräftemangel entgegenzuwirken. Es stellt sich jedoch die Frage wie schnell und mit was für einem Erfolg diese Ideen umgesetzt werden können.

Damit man die Hintergründe des Lehrkräftemangels besser verstehen kann, ist es hilfreich einen kurzen Blick auf das Studium von werdenden Lehrer*innen zu werfen.  Personen, die sich dazu entscheiden Lehrer*in zu werden, lassen sich auf einen langen Ausbildungsweg von mindestens sechseinhalb Jahren ein. Dieser umfasst ein Masterstudium und das sogenannte Referendariat. Allein der erste Ausbildungsabschnitt dauert mindestens fünf Jahre und das verpflichtende Referendariat weitere anderthalb Jahre. Hierbei wird schnell deutlich, dass man dem Lehrkräftemangel nicht allein durch fertig ausgebildete Lehrkräfte begegnen kann, denn bis diese den langen Ausbildungsweg abgeschlossen haben, dauert es einige Zeit.

Am Beispiel von Hamburg wird außerdem deutlich, wie sehr auch der letzte Abschnitt der Lehrer*innenausbildung zum Nadelöhr werden kann. Für den sogenannten Vorbereitungsdienst, der dem Referendariat entspricht, gab es in Hamburg fast doppelt so viele Bewerber*innen wie Ausbildungsplätze. Damit der Bedarf an Lehrkräfte nur an Hamburger Schulen aus der Stadt heraus gedeckt werden könnte, müsste jede*r zehnte Hamburger*in Lehramt studieren. Thies Rabe (SPD) betont, dass dies unrealistisch sei und bittet die ständige wissenschaftliche Kommission der KMK um Vorschläge zur Bewältigung dieser Krise.

Was sinnvolle kurz- und mittelfristige Lösungsmöglichkeiten für das akute Problem des immensen Lehrkräftemangels sein könnten beschreibt Frau Thiel weiter im Interview mit der ZEIT. Auch sie betont, „die Ausbildung neuer Lehrkräfte dauert Jahre“. Bis diese also unterstützend in Schulen tätig werden können müsste priorisiert werden. Vorschläge von ihr, die sich an den Ideen der Politiker*innen orientieren sind beispielsweise die Priorität auf die Kernfächer zu legen. In so einem Falle würde eine Lehrkraft, die beispielsweise Mathematik und Sport unterrichtet, die Mathestunden aufstocken und die Sportstunden reduzieren. Natürlich ist auch das eine problematische Lösung, denn auch Fächer wie beispielsweise Sport, Kunst und Musik haben ihre Daseinsberechtigung. Thiel erläutert: „Ich finde auch, dass Sport sehr wichtig ist. Aber wenn wir nicht wollen, dass noch mehr Kinder und Jugendliche an den Mindeststandards in den Kernfächern scheitern, gilt: Wir müssen priorisieren“. Auch eine Vergrößerung der Schüler*innenzahl in den Klassen um eine Person, könnte Erleichterung bringen. Untersuchungen zeigen, dass die Klassengröße meist nicht ausschlaggebend für den Lernerfolg der Schüler*innen ist. Doch bei diesen Vorschlägen müsse auch abgewogen werden, wie sehr die Belastung für Lehrkräfte dadurch steigen könnte. Mögliche weitere Ansätze wären landesweit vereinheitlichte Einstiegsmöglichkeiten für Quer- und Seiteneinsteiger*innen.

Auch die Idee Gymnasiallehrkräfte für die stärker vom Lehrkräftemangel betroffenen Schulformen wie Grund-, Haupt- oder Realschule abzuordnen steht im Raum. Es existieren also einige kurz- und mittelfristige Lösungsvorschläge. Inwieweit diese umzusetzen sind oder schon umgesetzt werden, ist unklar. Das Einzige, das evident ist, ist dass der Lehrkräftemangel weiter die Bildung deutschlandweit bestimmt. Trotz zahlreicher Appelle, Warnungen und offensichtlichen Missständen scheint kaum etwas die erhoffte Entschärfung des Bildungsnotstandes in Deutschland zu bringen.

Thies Rabe (SPD) scheint ähnlich ratlos zu sein wie viele Personen, die sich mit diesem Thema befassen: „Angesichts der demografischen Entwicklungen ist es absehbar, das es auch mit großen Anstrengungen nicht gelingen kann, mittel- und langfristig genügend Lehrkräfte zu finden.“ Der Senator sieht deshalb die ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz in der Verantwortung, aber ob diese uns die langersehnten Lösungsvorschläge liefern kann, bleibt ungewiss.

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