Ein echter Unterschied

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Eine Reportage über die Berliner Lokalgruppe von Studieren ohne Grenzen

Disclaimer: Alle Informationen und Meinungen, die in dieser Reportage genannt werden, beziehen sich ausschließlich auf die Berliner Lokalgruppe von SOG und sind nicht zwingend auf andere Lokalgruppen übertragbar

„Wir treffen uns mittwochs im Hexenhaus der Charité.“ Mit diesen Worten lud meine Kommilitonin Clara mich während der elendig langen Bahnfahrt, von unserem Campus in den Westen Berlins, ein, ihr Herzensprojekt kennenzulernen. Hexenhaus, dachte ich und musste innerlich schmunzeln. Doch nun, da ich nach einer Viertelstunde Irrweg über das riesige Gelände der Berliner Charité vor dem Haus stehe, muss ich zugeben, dass es keinen besseren Namen gegeben hätte. Das Haus hat spitze Ziegeltürme und hockt neben den restlichen Betonklötzen der Charité wie das Haus einer mystischen Heilerin aus dem Mittelalter. Vor dem Haus tummeln sich zahlreiche Studierende und es tönt laute Musik. Heute findet unten eine Fachschaftsparty statt. Doch darum kümmere ich mich nicht, denn ich interessiere mich heute für das erste Stockwerk. Dort trifft sich die Berliner Lokalgruppe von Studieren ohne Grenzen jeden Mittwoch, um gemeinsam Aktuelles zu ihren Projekten zu besprechen.

Neugierig trete ich in einen kleinen Seminarraum mit weißen Wänden und runden Gruppentischen. An einem der Tische sitzt Clara, gemeinsam mit sieben weiteren jungen Studierenden und einem Laptop vor sich, auf dem eine achte Person per Zoom dazugeschaltet ist. Ich setzte mich zu der Gruppe an den Tisch und bin gespannt, was heute auf mich zukommt.

Studieren Ohne Grenzen setzt sich für Hochschulbildung in Krisenregionen ein. Wir vergeben Stipendien an bedürftige Studierende, tragen zur Verbesserung der Bildungsinfrastruktur bei und möchten in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Situation in den Projektregionen schaffen.

Mit unserer ehrenamtlichen Arbeit möchten wir junge Menschen dabei unterstützen zum Wiederaufbau ihrer Heimatländer beizutragen. Zusammen mit den Stipendiaten und Stipendiatinnen haben wir das Ziel einen Beitrag zur friedlichen und nachhaltigen Entwicklung der Länder und Regionen leisten, die unter Krieg und dessen Folgen leiden.

https://www.studieren-ohne-grenzen.org/

Das Treffen beginnt mit einer lockeren Warm-up Frage und, da heute neben mir noch eine weitere Person dabei ist, die die Gruppe noch nicht kennt, auch einer Vorstellungsrunde. Gespannt höre ich zu. Die Berliner Lokalgruppe, das sind: Clara: Sie ist seit zwei Jahren dabei und übernimmt die Lokalkoordination, also die Organisation von Projekten vor Ort. Unterstützt wird sie von Tom, der ebenfalls schon seit über anderthalb Jahren dabei ist. Neben Tom sitzt Joel, der mittlerweile am längsten bei SOG ist und die Projektkoordination, also die Organisation des Stipendienprogramms in der DR Kongo, übernimmt. Doch dazu später mehr. Luis ist online dabei. Er engagiert sich seit anderthalb Jahren bei SOG und ist hauptsächlich für Social Media verantwortlich. Ebenfalls am Tisch sitzen Laura, Katharina, Laura, HP und Viki. Sie alle sind erst seit ein paar Monaten bei SOG, übernehmen jedoch schon viele kleinere Aufgaben innerhalb der Projekte.

Doch was macht SOG Berlin überhaupt?

Die Lokalgruppe in Berlin organisiert ein Stipendienprogramm, mit dessen Hilfe jedes Jahr etwa 16 junge Menschen in der Demokratischen Republik ein Hochschulstudium der Agrarwissenschaften absolvieren können. Das Studium findet in der Region Mweso am Institut Supérieure d’Études Agronomiques statt. Die Stipendiat*innen von SOG studieren jedoch nicht nur, sie arbeiten gleichzeitig an einem Projekt, welches den Wiederaufbau der Kriegsgeprägten Region unterstützen, sowie Nahrungssicherheit und neue Arbeitsmöglichkeiten schaffen soll. Beispielsweise führt ein Stipendiat, der sein Studium 2013 abschloss, heute eine Hühneraufzucht mit 20 Mitarbeiter*innen. Das Projekt betreibt SOG gemeinsam mit ihrer Partnerorganisation CADEP, einer kongolesischen Nicht-Regierungsorganisation. Diese Zusammenarbeit sei unverzichtbar, betont Clara. „Ohne CADEP würde es dieses Projekt gar nicht geben. Wir haben keine Ahnung, wie es da aussieht, schließlich sitzen wir hier in Berlin. Die Organisation führt verschiedene soziale Projekte in der Region durch, beispielsweise auch ein Frauenprojekt. Sie sind dort eine angesehene Institution, prüfen die Bewerber*innen für das Stipendienprogramm und bilden für uns die direkte Verbindung zwischen Deutschland und dem Kongo.“

Das Agrarprojekt eines SOG Stipendiaten. Bildquelle: Studieren ohne Grenzen

Ich frage Clara, wer denn die Menschen sind, die von SOG gefördert werden. Sie erklärt mir, dass es hauptsächlich Menschen aus der Region sind, die an der Universität studieren wollen und zumindest über einen Bildungsabschluss verfügen. „Es sind im Endeffekt Menschen, die aus der Region kommen und etwas für die Region machen wollen. Die Menschen, die sich die Gebühren sonst nicht leisten könnten.“ Die Bewerbungen verfassen die Kongoles*innen handschriftlich, denn Computer gibt es kaum. Ausgewählt wird jedoch nicht nur nach akademischer Leistung, sondern nach Agrarprojekten, mit denen sich die jungen Menschen bewerben. Das können Pläne für eine Kaninchenzucht sein, ein Aufforstungsprojekt oder eine Kohlfarm. CADEP sortiert die Bewerbungen vor und überprüft, ob die Bewerber*innen wirklich auf das Stipendium angewiesen sind. Danach bewerten von SOG rekrutierte Freiwillige die Bewerbungen nach einem festen Bewertungsschema. Dazu gehört beispielsweise auch, wie aussichtsreich und realistisch das Agrarprojekt ist, mit dem sich die Bewerber*innen beworben haben.

Das Projekt läuft nun schon seit fast 13 Jahren, dennoch tauchen immer wieder Hindernisse auf, die es zu überwinden gilt.

Seit einigen Monaten versucht die Berliner Lokalgruppe, Geld für den Ausbau der Stromversorgung in der Region locker zu machen. Die Strommasten dort seien in schlechtem Zustand oder sogar komplett umgekippt, sodass die Strom- und Internetversorgung nur unregelmäßig ist. Das macht es schwer, mit den Stipendiat*innen und CADEP in Verbindung zu bleiben. SOG ist jedoch eine Bildungsorganisation und das Vorhaben, ein Stromnetz zu etablieren, dazu auch noch sehr teuer. Lange lag das Projekt auf Eis, doch nun gibt es neue Hoffnung. Joel, einer der Projektkoordinatoren trägt bei der Sitzung der Gruppe die neusten Entwicklungen vor.

Gespannt lauschen die anderen Joels Bericht. Eine lange Zeit gab es keine Antwort der Partnerorganisation CADEP, was an der instabilen Internetverbindung lag. Doch nun ist klar: 80% der Stipendiat*innen haben dieses Jahr ihre Prüfungen bestanden, darunter 10 Frauen und 19 Männer. Eine tolle Nachricht. Zudem steht das Auswahlverfahren für den nächten Jahrgang der Stipendiat*innen aus. Dafür muss die Gruppe nun neue ehrenamtliche Juror*innen finden.

Danach macht Clara mit der Organisation der Projekte vor Ort weiter. Die Lokalgruppe möchte sich auf eine ausgeschriebene Förderung der Initiative Teilen bewerben. Das Geld der Ausschreibung würde einen Großteil der Studiengebühren für die weiblichen Stipendiat*innen tragen. Dafür muss jedoch ein langer Antrag geschrieben werden. Damit die Arbeit nicht an einer Person hängen bleibt, teilt sich die Gruppe den Antrag unter sich auf. Jede*r übernimmt so viel, wie er oder sie dafür gerade neben Uni und Klausuren Zeit hat. Das meiste Geld für das Stipendiat*innenprogramm kommt allerdings vom Dachverband SOG selbst, welcher hauptsächlich Spenden einnimmt. Zusätzlich zahlen alle Mitglieder einen kleinen Mitgliedsbeitrag von etwa 18€ im Jahr. Auch dieses Geld wird für Projekte überall auf der Welt verwendet. „Wir als Projekt sind mit das günstigste“, erklärt mir Clara. „Unsere Studiengebühren belaufen sich auf 200 Dollar im Monat. Das ist dann schon relativ wenig im Vergleich zu anderen Projekten.”

Als letztes steht die Planung einer Vortragsreihe zum Thema Dekolonialismus auf der Agenda.

Gemeinsam mit dem EPIZ Berlin hat SOG bereits einige Vortragende gewinnen können, die an drei Terminen über kolonialkritische Perspektiven auf Bildung, Kunst und Kultur sprechen werden. Nun heißt es, einen Eventantrag für die Finanzierung der Veranstaltung zu stellen, Werbeplakate zu drucken und die letzten Sprecher*innen zu finden. „Wir wollen nicht, dass Weiße über Post-Kolonialismus vortragen“, erklärt Laura. Der Gruppe ist es wichtig, sich nicht als sogenannte „White Saviors“ (weiße Retter) zu sehen und Ausklärung zu betreiben. Eine kritische Auseinandersetzung mit der Bedeutung ihres Handelns für den Kongo und seine Geschichte schwebt über jeder Entscheidung der Gruppe.

“Man muss aufpassen, dass da keine Abhängigkeitsverhältnisse entstehen. Unabhängig davon wie toll wir dieses Auswahlverfahren organisieren, ist es ja doch so, dass wir eine Organisation sind, die Geld in diese Region gibt“, erzählt mir Luis später. Gerade dafür ist die Partnerorganisation so wichtig. Außerdem gebe es innerhalb von SOG einen postkolonialen Fokus und eine AG, die sich um das Thema kümmert. „Wir achten beispielsweise sehr darauf, bei unserem Instagram-Auftritt nicht aus Versehen koloniale Stereotypen zu verbreiten oder koloniale Gedanken zu reproduzieren.“ Die Gruppe plant deswegen auch immer wieder Infoveranstaltungen, Podiumsdiskussionen und Talks in Deutschland, wie nun im März und April in Kooperation mit dem EPIZ. Der erste Termin ist übrigens schon am 1. März und die Teilnahme ist auch online über Zoom möglich. Mehr Infos zur Veranstaltung gibt es hier.

Nach anderthalb Stunden ist die Sitzung der Gruppe beendet, alle Aufgaben verteilt und alle Fragen geklärt. Ich bleibe gemeinsam mit Clara und Luis am Tisch sitzen, um noch ein bisschen mehr über die Arbeit bei SOG zu erfahren. Ich frage die beiden, warum sie sich ausgerechnet für SOG engagieren, denn gerade in Berlin gibt es zahlreiche Projekte, in denen man ehrenamtlich tätig werden kann. Luis hat darauf schnell eine Antwort. Ihm gefällt besonders, wie niedrigschwellig das Engagement ist. „Wenn man Klausurenphase hat, sind alle verständnisvoll, wenn man sich gerade nicht so viel beteiligt, alles wird nach Kapazitäten aufgeteilt.“ Clara nickt zustimmend. „Wir können hier für etwas einstehen, wo wir wissen, das macht für ein paar Menschen echt einen Unterschied. SOG möchte eben nicht nur Bewusstsein für eine Situation schaffen, von der wir keine Ahnung haben. Wir kennen die Leute dort und wir bleiben mit ihnen im Austausch.“ Von Studierenden für Studierende, das mache das Projekt besonders, erklärt Luis. „Der soziale Aspekt ist natürlich auch wichtig“, fügt Clara noch hinzu. „Man lernt neue Leute kennen, das ist besonders für die Erstis toll. Einmal im Monat gehen wir in eine Kneipe oder essen Pizza.”

Ich frage Clara, ob eine von Europa aus geförderte Schule nicht eurozentristische Perspektiven in das afrikanische Land bringt.

Wie können kongolesische Kultur und Tradition weiterhin im Mittelpunkt der Lehre bleiben? „Die Lehre ist total in der Region verwurzelt“, erklärt Clara. „Alle Dozierenden und auch die Mitarbeiter*innen der Univerwaltung kommen aus der Region. Das ist keine weiß geleitete Uni.“ Sie erzählt mir, dass es das Ziel des agrarwissenschaftlichen Studiums sei, die Region zu erhalten – mit Methoden, die im Kongo gut funktionieren und schon immer funktioniert haben.

Zudem versteht sich SOG nicht nur als Akuthilfe für Einzelne, sondern als längerfristige Möglichkeit, die Situation vor Ort zu verbessern. Der Grund dafür: Ein Multiplikatoreffekt. “Leute eigenen sich Wissen an und tragen es in die Region weiter. Auch an die Menschen, die keine Schulbildung genießen durften und nicht die Möglichkeit haben, an dieser Uni zu studieren. Das möchten wir mit unseren Projekten fördern. Damit Wissen an die Region weitergegeben wird.” Leider könne diese Multiplikatoreffekt bisher nicht überprüft werden, räumt Clara ein, da aktuell kaum ausgewertet werden kann, ob und wie die Projekte nach Studienabschluss weitergeführt werden. „In Berichten über die Studienjahre können wir schon ein Verlauf gesehen. Aber was danach daraus wird können wir bisher nicht wirklich evaluieren.“ Auch das möchte die Gruppe in Zukunft in Angriff nehmen. Das Ziel ist es, mit den Alumni-Stipendiat*innen besser in Kontakt zu bleiben. Das hätten sich auch die Stipendiat*innen in der DR Kongo gewünscht. Doch bisher fehlen dazu die Strukturen, was auch an der mangelhaften Strom- und Internetversorgung liegt.

Selbst in die DR Kongo zu reisen kommt für Luis und Clara nicht in Frage. “Wir fahren da ja nicht aus Witz einfach so hin. Wir würden niemals SOG Geld ausgeben, damit wir Weißen da mal hinfliegen können.” Das Geld soll da genutzt werden, wo es gebraucht wird. Dafür sorgt die Berliner Lokalgruppe mittels eines Antikorruptionsplans. Vor einigen Jahren wurde in einer anderen Lokalgruppe Geld veruntreut. Eine Schreckensstory, über die nicht gerne geredet wird. „Diese Projekte sind wirklich eine Herzenssache“, sagt Luis. „Wenn so etwas passiert, dann erschüttert das alle.“ Deshalb holen sich Luis, Clara und die anderen immer eine Zweitmeinung aus der Region, wenn ein neuer Projektpartner gewonnen werden soll. So wird beispielsweise überprüft, ob der potenzielle Partner auch einen angemessenen Preis veranschlagt.

Zuletzt frage ich die beiden, welche Projekte sie für die Zukunft planen. „Wenn wir irgendwann 30 Leute haben, machen wir auch mal ein neues Projekt“, sagt Luis lachend und Clara erklärt: „Neue Projekte entstehen meist dann, wenn sich eine neue Lokalgruppe bildet.“ Das sei zuletzt in Rostock geschehen. Die Berliner Gruppe hat allerdings gerade eine tolle Zusammenarbeit, die sie gerne auch in Zukunft halten wollen. 13 Jahre gibt es das Stipendienprogramm in der DR Kongo bereits und Clara und Luis hoffen, dass es noch mindestens so lange weitergeht. Auch, wenn ihre eigene Studienzeit bis dahin vorbei ist und sie sich von SOG verabschiedet haben.

Wer SOG beitreten möchte, kann die jeweilige Lokalgruppe ganz einfach über Instagram oder E-Mail (lokalgruppe@studieren-ohne-grenzen.de, wobei „lokalgruppe“ durch die jeweilige Stadt ersetzt werden muss) kontaktieren. „Da kann man einfach schreiben: Hi, ich hätte Lust mal vorbeizukommen“, sagt Luis. „Ich finde, es ist eine wirklich schöne Sache! Es ist wenig Aufwand dafür, dass man schon viel helfen kann. Dafür lohnt es sich, die Zeit rein zu investieren.“

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