Kommentar
Am Osterwochenende hat in Hamburg die Konferenz „Challenging Capitalist Modernity“ (die kapitalistische Moderne herausfordern) stattgefunden, jedoch nicht wie geplant an der Universität. Über 1.000 Menschen kamen zusammen, darunter weltberühmte Wissenschaftler wie John Holloway und Rednerinnen wie María de Jesús Patricio Martínez, die erste indigene Präsidentschaftskandidatin Mexikos um über Kapitalismuskritik zu diskutieren. Organisiert wird die Konferenz vom AStA der Universität Hamburg zusammen mit dem Network for an Alternative Quest und schafft jedes Mal wieder einen wahnsinnig wichtigen Raum für Diskussionen rund um die planetaren Krisen unserer Zeit. In Workshops und Panel Talks wird Fragen nach Klimagerechtigkeit und Demokratie nachgegangen und sich dabei vernetzt und solidarisiert. Dabei wird durch Übersetzung in bis zu acht Sprachen eine sehr internationale Plattform geschaffen, eine Plattform der Uni Präsident Prof. Dr. Heekeren allerdings keinen Wert beimaß. Er hatte uns, dem AStA für den ich arbeite, allerdings 10 Tage vor der geplanten Eröffnung die Raumgenehmigung entzogen, auf Geflüster des sogenannten Verfassungsschutzes hin. Als Begründung wird eine Nachricht des „Verfassungsschutz“ angeführt, die der Konferenz „Extremismus“ attestiert.
Während es in Hamburg bis heute keinen Untersuchungsausschuss zu den Verstrickungen zwischen dem „Verfassungsschutz“ und dem NSU gibt, maßt sich der gleiche Geheimdienst an, kritische Diskussionsveranstaltungen in eine terroristische Ecke zu rücken. Anstatt dass die Universitätsverwaltung die Souveränität der Universität verteidigt, lässt sie den Inlandsgeheimdienst entscheiden wer wissenschaftlicher Arbeit nachgehen darf und wer nicht. Dem Netzwerk wurde ohne handfeste Beweise Nähe zur in Deutschland als Terrororganisation eingestuften, verbotenen PKK, der Kurdischen Arbeiterpartei, unterstellt, nachdem bisherige Konferenzen ohne jegliche Vorkommnisse immer reibungslos abgelaufen sind, so auch die Konferenz am vergangenen Wochenende. Sprecher:innen aus aller Welt vernetzen sich und diskutieren über die großen Fragen unserer Zeit. Die der Konferenz attestierte Parteipropaganda muss ich wohl verpasst haben.
Das Handeln des Universitätspräsidenten fügt sich nahtlos in das zunehmend repressive Vorgehen gegen Klimagerechtigkeitsbewegungen, das in Deutschland zu beobachten ist und übernimmt die Rethorik mit der Aktivist*innen als Terrorist*innen diffamiert werden. Dabei hat UN-Generalsekretär Antonio Guterres nur Recht wenn er sagt, „the truly dangerous radicals are the countries that are increasing the production of fossil fuels”, nicht diejenigen, die unermüdlich gegen das kapitalistische System kämpfen, dass uns an einen Punkt gebracht hat, an dem dem das IPCC vor einer Erderhitzung von über 3°C bis Ende des Jahrhunderts warnt, sowie vor den damit verbundenen katastrophalen Folgen. Business as usual ist de facto ein Todeskurs aber die Dringlichkeit mit der ein breiter systemkritischer und statusübergreifender Diskurs geführt werden muss scheint nicht einzutreten.
Zum Hintergrund
Die kurdische Arbeiterpartei PKK ist in Deutschland verboten und als terroristische Organisation eingestuft. Ohne an dieser Stelle über das Verbot von 1993, welches eine Ergebenheitsgeste gegenüber dem Nato-Partner Türkei, der seinerzeit Krieg gegen die Kurden geführt hat war, zu diskutieren, muss es möglich sein, dies in einem akademischen Kontext, sprich im Audimax der Universität Hamburg zu tun. Es ist absurd, dass eine Konferenz bei der Teilnehmende aus aller Welt mitwirken, aufgrund des parteipolitischen Hintergrunds einzelner unter Generalverdacht gestellt wird, genauso wie es eine Zäsur ist, aus dem genannten Grund Sprecher*innen das Recht auf freie Meinungsäußerung zu entziehen. Natürlich dürfen PKK-Mitglieder in Deutschland über Kapitalismus diskutieren. Außerdem muss es weiterhin Orte geben, an denen sich allgemein kritisch mit Verboten von politischen Parteien wie der PKK auseinander gesetzt werden kann und muss.
Des Weiteren ist es alarmierend, dass ein Inlandsgeheimdienst Einfluss nimmt auf die Entscheidungen des Unipräsidiums. Wissenschaftsfreiheit und Universitäre Selbstverwaltung unterliegen aus guten Gründen keiner Kontrolle durch staatliche Behörden. Dies muss auch in Zukunft so bleiben. Aufgebaut unter der Beteiligung ehemaliger Nationalsozialisten steht der „Verfassungsschutz“ neuerdings wegen des ehemaligen Präsident des Bundesamtes Hans-Georg Maaßen scharf in der Kritik. Dieser verharmloste rassistische Ausschreitungen in Chemnitz und traf sich mehrfach mit Vertreter*innen der AfD. Dieser Skandal ist jedoch nur die aktuellste Auflage immer wiederkehrender „Affären“, die eine politische Schlagseite der Behörde untermauern. 2016 hat ein V-Mann in Berlin einem 16-Jährigen geholfen, die Ausreise nach Syrien zu organisieren, um dort für den IS zu kämpfen nachdem zehn Jahre vorher der NSU neun Menschen aus rassistischem Motiven ermordet.
Tino Brandt, zeitweise stellvertretender Landesvorsitzender der NPD sowie Kader des „Thüringer Heimatschutzes“ (THS), kassierte als V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (TLfV) nicht nur über 200.000 DM, die er in den Aufbau der Neonazi-Szene investierte. Er wurde auch zuverlässig vor anstehenden Hausdurchsuchungen gewarnt.
Sebastian Wehrhahn, Martina Renner
Die Liste an Beispielen der aktiven Verwicklung in rechten Terror ist lang, ebenso wie die der systematischen Kriminalisierung linker Gruppen, wie wir sie gerade an der Universität erfahren haben, vielleicht auch weil sie die Legitimität jener autoritären Behörden in Frage stellen. Zwischen Kundgebungen und einer Veranstaltungsreihe zur Geschichte und Rolle des „Verfassungsschutz“ formiert sich an der Uni Hamburg Widerstand um die studentische Autonomie zu verteidigen und Widerstand gegen die Intervention des Inlandsgeheimdienstes dessen Einflussnahme 2016 bereits an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität für Kritik sorgt. Gewarnt wurde vor Kerem Schamberger, der eine Stelle als Kommunikationswissenschaftler antreten sollte.
„Sein Eintreten für die marxistisch-leninistische Lehre und seine Selbstbezeichnung als Kommunist“, so warnte der Verfassungsschutz in einem Brief an die Uni-Leitung, „lassen sich mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung in Deutschland eigentlich nicht vereinbaren.“ Der Münchner Doktorand wehrte sich [erfolgreich], denn die Frage, wo Wissenschaft aufhört und wo die Produktion von Ideologie beginnt, ist durchaus Ansichtssache. Die Regierungsbehörde namens Verfassungsschutz, die in Bayern sogar die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ wegen kommunistischer Umtriebe verfolgen möchte, besitzt da nicht unbedingt mehr Klugheit oder gar Objektivität als die Universität selbst.
Ronen Steinke, Süddeutsche Zeitung, 05.04.2023
Meine Eröffnungsrede für den AStA ende ich mit:
„It is both, absurd and unsettling, that those in power don’t hesitate to take evermore unscrupulous steps to criminalize those who dare to resist the capitalist system, its racist logic of colonial exploitation and patriarchal power structures – in nothing but a vain attempt to keep what Jason Moore calls “a dead man walking” alive. However, what the reaction of the university president also proves is that we are on the right path because there has never been and will never be radical change that does not face massive resistance. It shows that if we find the courage to see beyond capitalocene´s rotten systems, we will most certainly face violent oppression in the struggle for the utopias of the future. This is why this conference is unique in the way that it has brought together people from all over the world to assert the right to self-determination and, in the sense of the communards of Paris in 1871, to regenerate the future through critical education. I am very much looking forward to a weekend of inspiring talks, critical workshops and beautiful encounters. Let’s create what Christina Heatherton calls a convergence space for international radicalism to make meaning out of our shared struggles and build international solidarities.“
Ich bin der Meinung, dass wir dringend mehr Orte brauchen, wie sie ihn die Konferenz geschaffen hat. Orte an denen Aktivist*innen zusammen kommen, die im brasilianischen Regenwald gegen mörderische Rodungen, in Kurdistan gegen türkischen Faschismus und in Indien gegen die politische Verfolgung von politisch Aktiven kämpfen. Orte, an denen Menschen zusammen kommen um über radikale, im Sinne des lateinischen Radiz, an der Wurzel greifende Ideen zu sprechen und sich zu vernetzen. Besonders unter jungen Menschen scheinen mir Hoffnungslosigkeit und politische Apathie endemisch. Diese lassen sich nur kollektiv überwinden und aus Räumen heraus, die internationale Solidarität im Kampf gegen das kapitalistische System schaffen. Im Sinne der Kommunarden von Paris können wir die Welt nur durch kritische Bildung verändern. Die Freiheit dieser auf unseren Uni Campi ist wie in Hamburg bewiesen wurde allerdings nicht unantastbar.