Zwischen Massentourismus und Höhen-Wahnsinn

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Der Kilimanjaro, der höchste freistehende Berg der Welt, ein Bergmassiv im Nordosten Tansanias und mit seinen 5895m, ist nicht nur der höchste Berg Afrikas, sondern auch einer der Seven Summits.

Trotz oder vielleicht auch wegen all dieser Superlative, ein absoluter Touristen-Magnet. 

Insgesamt führen neun verschiedene Routen zum Uhuru Peak, hiervon sieben bekanntere, unter denen die Machame- (bekannt als anspruchsvolle, dafür aber landschaftlich schönste) und besonders die Marangu-Route (auch bekannt als einfachste, schnellste und „Coca-Cola-Route“) besonders stark frequentiert sind. Letztere bietet den Berg-Touristen mittlerweile sogar Hütten zum nächtigen. 

Wie viele Menschen genau den Kilimanjaro jährlich besteigen ist nicht bekannt, obwohl alle Wanderer sich, um den Nationalpark betreten zu dürfen, registrieren müssen, lassen sich keine offiziellen zahlen finden. Henry Stedman in „Kilimanjaro: The Trekking Guide to Africa’s Highest Mountain“ Spricht von 47.232 Besteigungen im Jahr 2016, insgesamt dürfte es sich aber um 236.000 Menschen gehandelt haben, denn die Zahlen exkludieren die für die Besteigung essentielle Berg-Crew. Diese besteht aus Guides, Portern, Köchen, Kellnern, Zelt-Menschen, Toiletten-Menschen und noch einigen mehr. 

Diese Zahlen und Fakten lassen sich auch in meinen persönlichen Erfahrungen bei meiner Kilimanjaro-Besteigung im Februar 2023 wieder finden. Nur am Anfang können wir uns noch in das Wanderer-Buch mit unseren Daten eintragen, an allen anderen Hütten fehlt entweder das Buch, es ist bereits voll, gibt keine Stifte mehr oder die Person die dafür zuständig ist, ist nicht da – jeden Tag gibt man uns einen anderen Grund. 

Organisiert über eine bekannte deutsche Bergsteiger-Organisation entscheide ich mich über die Machame-Route den Weg zum Uhuru-Peak zu versuchen. Mit viel Respekt im Gepäck, sowohl für die körperliche und sportliche Herausforderung, wie auch für die Kultur, Landschaft, das Team und natürlich den Berg, reise ich nach Tansania. In meinen Recherchen finde ich heraus, dass eine Besteigung des Mount Meru mit seinen 4.566m, für die Vorakklimatisation für die Höhe sinnvoll sein soll und die Chancen einer erfolgreichen Kilimanjaro-Besteigung steigert.

Ganz Bewusst reise ich somit also vier Tage vor dem Start der Kilimanjaro-Tour an um mit einer kleinen Crew, bestehend aus meinem Guide Ino, drei Portern, einem Kellner und einem Koch (dieses Team war für mich und meine Wanderbegleitung zuständig und ist die Mindestanzahl an Team-Mitgliedern für die Tour), den Mount Meru zu besteigen. 

Der Weg ist traumhaft schön, wenn aber auch technisch anspruchsvoll, besonders die Gipfel-Etappe. Es ist ruhig, außer uns sind nur wenige weitere Wanderer mit ihren Guides unterwegs, der Rest der Crew (Porter, Köche, Kellner) brechen vor den Wanderern auf und sind wesentlich schneller unterwegs. Hierdurch erleben wie viel von der Natur, sehen aus nächster Nähe Affen, Buffalos, Giraffen und eine Vielzahl an Vögeln. 

Doch auch schon hier wird die Hierarchie innerhalb der Crew sehr deutlich, während die Wanderer und ihre Guides in Wander-Kleidung laufen, laufen viele Porter in ausgetragener Sportkleidung (meist Geschenke derer, die die Tour bereits geschafft haben) und beim Schuhwerk scheint es genau eine Vorgabe zu geben: Hauptsache der Schuh passt, halbwegs zumindest. Von ausgelaufenen Birkenstock über No-Name Schuhe bei denen die Sohle mit Panzertape angeklebt  ist, ist wirklich alles dabei. 

Vom Mount Meru haben wir immer wieder einen Blick, bei gutem Wetter, auf den Kilimanjaro – aus der Ferne sehen wir nicht die vielen Menschen, die wie bei einem Ameisenhaufen beschäftigt den Berg hoch und runter laufen, und ahnen noch nichts von den Menschenmassen mit denen wir in wenigen Tagen den Berg besteigen sollen.  

Umso größer ist also die Ernüchterung, als der große Tag gekommen ist und wir mit unserer 13-köpfige Wandergruppe den Nationalpark betreten, unserer Crew besteht aus knapp 50 Menschen. 

Wir warten und warten, bis es endlich losgehen kann. Zum dritten mal wird unser Gepäck gewogen. Es fast oder vollständig selber zu tragen wird nur äußerst ungern gesehen, denn jeder Wanderer darf bis zu 15kg abgeben, von diesem Angebot mache ich kaum Gebrauch, gebe nach viel hin und her letztlich aber meinen Schlafsack ab, da er zwar nicht schwer aber groß ist und mein Guide sonst keine Ruhe gibt. 

Uns wird erzählt, dass kein Porter mehr als 20kg tragen muss, eine Angabe der wir kaum glauben schenken können, wenn wir uns umblicken. Des weiteren dürfen die Porter auch nicht mehr Nachts laufen, erzählt uns unser Guide, als wir nachfragen. Doch auch diese Angabe verliert in den folgenden Wandertagen an Glaubwürdigkeit – wie Nacht definiert wird scheint ungeklärt zu bleiben. 

Ino, unser Guide, der uns bereits auf den Mount Meru begleitet hat, erzählt von seinem Werdegang und an dieser Stelle wird klar, warum der Berg nur mit Guide und Crew, niemals eigenständig, bestiegen werden darf und die Wanderer die aus aller Welt kommen, so wichtig für die Region um den Kilimanjaro sind. 

In Tansania herrscht Schulpflicht, doch es gibt im Verhältnis viel zu wenig Arbeitsplätze für die Bevölkerung und ebenso sind die College Gebühren für die meisten viel zu hoch, als dass sie nach der Schule ihre akademische Laufbahn fortsetzen könnten. Als ich nach meinen Bergtouren mir Moshi, den nächst größeren Ort nahe des Kilimanjaros anschaue, begegne ich vielen jungen Menschen die, so scheint es, warten. Worauf weiß ich nicht, doch sie sitzen den ganzen Tag in der Sonne oder im Schatten, auf und um ihre Motorräder, oder schon (so scheint es) seit längerem ruhenden Baustellen, und schweigen oder reden. Nur wenige scheinen einen festen Job zu haben, denn es scheint einfach nur wenige Arbeitsplätze generell zu geben.  

Der Kilimanjaro bietet vielen Arbeitsplätze. Jeder hat eine Chance, erzählt uns Ino. Um Porter zu werden, also die erste Stufe zu erreichen, muss man eine Tour begleiten und hierbei sein eigenes Gepäck und zusätzliche 20kg tragen. Wenn man den Job gut macht, kann man wieder zurück auf einen Anruf hoffen und wird bei einer der Reiseagenturen als Porter angestellt. Der Lohn ist gering, was zählt ist das Trinkgeld. Eine Information, die mir auch schon bei meinen Vorbereitungen über den Weg gelaufen ist und einer der Gründe für meine Wahl der Reise-Organisation war, denn diese versichert eine faire Bezahlung der gesamten Crew. Was uns tatsächlich auch vor Ort bestätigt wird. Unser Trinkgeld, ist eher eine Symbolische Geste. Im Gespräch mit vielen anderen, die wesentlich günstigere Angebote gebucht hatten, erfuhren wir, dass die große Abrechnung zum Schluss kam. Es gibt gewisse erwartete Summen, die es pro Tag pro Person zu geben gibt, wobei diese von der Stellung der Person in der Crew abhängig sind. 

Ino jedenfalls entschied sich nach der Schule erstmal als Porter zu arbeiten – ein harter Job, wie er uns mit einem neutralem Blick erzählt. Von dem Geld finanziert er sich das College an dem er Tourismus und Deutsch studiert, Deutsch, weil die deutschen Touristen besonders gutes Trinkgeld geben, sagt er lachend. Uns ist immer weniger nach Lachen zumute, je mehr wir erleben und sehen, wie es hier am Berg abgeht und wie sehr die Menschen von uns abhängig sind. 

Durch sein Studium kann er aufsteigen und selber als Guide arbeiten, sein Traum: eines Tages eine eigene Reiseorganisation besitzen und selber Touren anbieten. 

Ino ist 24 Jahre alt, er ist einer von den wenigen, der einen Traum hat und Chancen diesen zu erreichen. Elias ist auch einer der Guides, der für unsere Gruppe zuständig ist, vom Alter hab ich ihn auf Mitte/Ende 60 geschätzt, bis er mir verrät, dass er gerade mal Anfang 50 ist. Er läuft sehr gebückt, auf meine Frage, das wievielte mal er den Berg besteigt, lächelt er nur müde. Zwei seiner Söhne arbeiten als Porter in unserem Team, er erzählt mir, dass er drei Töchter hat und hofft, dass er noch lange genug arbeiten kann, damit sie genug Geld für das College haben. „Bildung ist wichtig, damit kann man leichterer arbeiten.“ Ich verstehe was er meint, als uns erneut eine Gruppe von Portern mit riesigen Gepäckstücken auf den Köpfen und den Rücken überholt.  

Wir sind Ende der Saison unterwegs, daher ist es verhältnismäßig leer, die kommenden Wochen wird die Regenzeit erwartet, auch in dieser besteigen Menschen den Berg, jedoch deutlich weniger. Daher erleben wir den Berg, so erzählt man uns zumindest, in einer seiner ruhigeren Phasen. Die Vermüllung, von welcher ich online zuvor gelesen hab, erleben wir tatsächlich erst im Base-Camp. Hier treffen alle Routen zusammen, es ist voll, überall stehen Zelte und es stinkt. Obwohl es Toiletten-Zelte gibt, scheinen zu wenige von diesen Gebrauch zu machen. Hier begegnen wir dann das erste mal dem Massentourismus. Wir fallen fast von unserem Wanderglauben ab, als wir scheinbare Influencer sehen, die für Produkte wie Trockenshampoo und Sonnenbrillen an Wegschildern Werbevideos aufnehmen, Menschen in zwar teurer, aber auch nagelneuer uneingetragener Wanderkleidung laufen an uns vorbei und wir erleben wie Guides ein junges Mädchen, dass alle Symptome der Höhenkrankheit zeigt mit einem Seil am Rucksack befestigt haben und sie so zum weiterlaufen versuchen zu bewegen. Denn jeder Tourabbruch geht ins Geld, erklärt uns Ino, als wir ihn mit der erlebten Situation konfrontieren. 

Wir fragen uns ernsthaft, wie es all diese Menschen hier hoch geschafft haben, denn der Berg ist nicht zu unterschätzen und unsere gesamte Gruppe hat viel Wandererfahrung. Am Ende ist die Antwort relativ simpel: das Geld. 

Im Punkt medizinischer Versorgung, wird eine gewisse Professionalität vorgespielt. Jeden Abend wird Sättigung und Puls gemessen und alle müssen Angaben zu ihrem Wohlbefinden machen. Doch was  die Konsequenz ist, geht es einem mal nicht so gut, erleben wir an unserem Vorletztem Tag, dem Gipfel Tag. 

Zuvor hieß es lediglich, beim äußern von Beschwerden, wir sollen mehr Wasser trinken. Richtig und wichtig, aber definitiv nicht die alleinige Lösung für alle Probleme. 

An jedem Camp findet sich ein Helikopter-Landeplatz und Schilder mit Nummern für den Notfall geben ein Gefühl von Sicherheit: sollte es ernst werden, wird man schnell abgeholt. 

Irgendwann ist bekannt, dass ich Medizinstudentin bin und häufig werde ich um Rat gefragt. So auch am Gipfel Tag, es ist Mittag und wir sind bereits wieder im Base Camp angekommen. 

In einer anderen Gruppe ist ein älterer Herr gestürzt, ich werde dazu gerufen und versorge die Platzwunde auf der Stirn, die bis auf den Knochen geht, so gut ich kann. Gemeinsam mit zwei anderen Medizinstudenten entscheiden wir, dass es angesichts des Allgemeinzustandes des älteren Herrn besser ist, wenn er von einem Helikopter in das nächste Krankenhaus geflogen wird. Auch um Sicherheit zu haben und eine mögliche Hirnblutung auszuschließen. 

Doch so einfach ist es dann bei weitem nicht. Es dauert über Stunden, bis geklärt ist ob, wann und wie ein Helikopter kommt. Man will mehrere Tausend Dollar in Cash, erst als wir deutlich machen, was für einen Ausgang eine mögliche Hirnblutung haben kann, scheinen kleine Bemühungen da zu sein, mit uns zu arbeiten. Die Sorge vor einer negativen Bewertung und fehlendem Trinkgeld ist deutlich spürbar. 

Generell werden wir jeden Tag auf unserer Reise mit dem Ungleichgewicht in dem wir leben konfrontiert. Wir sind die reichen, weißen Europäer, für die man alles tut um zu leben und zu überleben. 

Das einzige was uns zusammenbringt ist der Berg. Und der Moment, in dem wir es alle nach ganz oben auf den Peak geschafft haben, die Freude im gesamten Team, die war nicht nur höflich, sondern wirklich echt, hatte ich das Gefühl. 

Der Blick vom Dach Afrikas war bei weitem nicht so Augen öffnend wie der Weg dorthin und zeitgleich unbeschreiblich vielfältig in seinen Erfahrungen und Erlebnissen. 

Vielleicht brauchen wir Touristen den Berg um zu Erkenntnissen zu kommen und Dinge zu verstehen, die Menschen am Kilimanjaro brauchen den Berg um zu arbeiten, Geld zu verdienen und zu leben. 

Der einzige der uns alle nicht braucht und definitiv besser ohne uns wäre, ist der Berg, der Kilimanjaro. 

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