In eine ungewisse Zukunft – Szenarien möglicher Ausgänge der US-Wahl

Es ist einer dieser Momente, der in hundert Jahren in den Geschichtsbüchern stehen wird. Die USA, das mächtigste Land der Welt , steht vor eine historischen Wahl. Am 3. November tritt der Republikanische Kandidat Donald Trump zur Wiederwahl an, sein Herausforderer der Demokrat Joe Biden. Während die Stimmabgabe bereits seit Wochen läuft, verkommt der Wahlkampf zu einer Schlacht. Donald Trump entzieht dem Postwesen wichtige Gelder und gefährdet somit die rechtzeitige Auszählung zahlreicher Stimmen aus der Briefwahl. Zum ersten Mal mussten im Fernsehduell der beiden Kandidaten die Mikrofone während der Redezeit des Kontrahenten stumm geschaltet werden. Die ganze Welt schaut gebannt auf die USA und wartet gespannt auf den 3. November. Denn der Ausgang der Wahl wird Auswirkungen auf die gesamte Weltordnung haben, noch weit über die nächsten vier Jahre Amtszeit des neuen Präsidenten hinaus. Spotlight hat mögliche Szenarien der Ausgänge der US-Wahl in diesem Beitrag zusammengestellt.

Was passiert, wenn Trump die Wahl gewinnt?
von Franzi

Zwar liegt der Demokratische Kandidat Joe Biden in Umfragen aktuell vor seinem Konkurrenten Donald Trump, doch das bedeutet noch lange nicht, dass er die Wahl auch gewinnen wird. Durch das komplizierte Wahlsystem der USA kann der Wahlausgang von einigen wenigen tausend Stimmen in den sogenannten Swing-States abhängen. Das haben wir 2016 deutlich gemerkt, als Hillary Clinton zwar die absolute Mehrheit der Stimmen erhielt, Trump jedoch mehr der sogenannten „Wahlmänner“ hinter sich hatte und damit die Wahl gewann. Auch jetzt, 2020, ist alles möglich. Was also ändert sich für die USA und Europa, sollte Trump am 3. November die US-Wahl gewinnen?

Die Experten sind sich einig: Trump hat der USA durch seinen verantwortungslosen Umgang mit der Corona Pandemie, zahlreichen Aufrufen zu rassistischer Gewalt und der Spaltung der Gesellschaft bereits so viel Schaden zugesetzt, dass mit seiner Wiederwahl die demokratische Republik für immer Enden würde. Bleibt er jetzt im weißen Haus, dann wird auch der Präsident 2024 Trump heißen. Ob Senior, Junior oder gar Ivanka ist dabei irrelevant. Donald Trump wird sich in einer zweiten Amtszeit das Rechts- und Wahlsystem so zurecht biegen, dass es danach keine freien Wahlen mehr geben wird.
Bereits in seiner ersten Amtszeit hat Donald Trump bewiesen, wie wenig ihn das Rechtssystem interessiert. Er widersetzte sich öffentlich dem Kongress und den Gerichtshöfen, missbrauchte die Außenpolitik zum eigenen Nutzen, schaffte Wahlstandards ab und erklärte die verunsicherte Republikanische Partei zu seinem Spielzeug. Eine Widerwahl würde das Aushebeln aller verbliebenen rechtlichen Institutionen und des demokratischen Grundprinzips bedeuten. Eine Bestätigung für Donald Trump, dass er tun kann, was immer er will.
Zuletzt installierte Trump die konservative und umstrittene Richterin Amy Coney Barrett im Supreme Court. Die Richter und Richterinnen dieses obersten Gerichtshofs entscheiden über alle wichtigen Themen in den USA, sie haben das letzte Wort, wenn es um Gesetze und Erlasse geht und sie werden auf Lebenszeit vereidigt. Mit Barrett hat Trump eine konservative Rechtssprechung auf lange Zeit gesichert. Mehr als ein Erfolg für viele konservative Republikaner, die besonders im Hinblick auf das Abtreibungsverbot eine Rechtssprechung in ihrem Sinne befürworten.

„Wenn Trump wiedergewählt wird, werden die Normen und Beschränkungen der amerikanischen Demokratie meiner Meinung nach vollkommen abgeschafft, so wie das bei früheren fehlgeschlagenen Demokratien bereits der Fall war. Selbst wenn Biden gewinnt, wird es viele Jahre dauern, bis sich die Vereinigten Staaten wieder erholt haben.“

Edward J. Watts, Historiker, Universität von Kalifornien in San Diego

Nun mag man sagen, dass es auch in der Vergangenheit wichtige Wahlentscheidungen in den USA gegeben hat und dass trotz aller Befürchtungen die Auswirkungen dieser Wahl letztendlich doch kleiner ausgefallen sind als zunächst gedacht. Allerdings muss man auch sagen, dass die US-Wahl heute wichtiger ist als beispielsweise 1988, als George W. Bush zum 41. Präsidenten gewählt wurde, denn damals mischte sich die USA noch nicht so stark in die Angelegenheiten anderer ein. Heute ist sie eine Weltmacht und diplomatische Organisation und muss damit verbundene Aufgaben wahrnehmen. Tut sie das nicht mehr, werden sich demokratische und nicht-demokratische Verbündete anderweitig umsehen. Eine Wiederwahl käme einer formalen Abkehr von Europa und dem Westen gleich.

Was bedeutet eine Wiederwahl Trumps für Deutschland und Europa?

Sicher ist, sollte Donald Trump tatsächlich am 3. November wiedergewählt werden, muss die EU einige Maßnahmen für seine zweite Amtszeit ergreifen. Zum einen wird die EU mehr für ihre eigene Verteidigung tun müssen, was eine gemeinsame Anstrengung aller Mitgliedsstaaten erfordert. Zudem sollte man sich andere, zuverlässige Handelspartner außerhalb Europas suchen. Hier könnten zum Beispiel Kanada und Australien in den Fokus rücken, aber auch aufstrebende asiatische Länder, wie Japan und Korea. Auch Afrika sollte die EU anfangen auf Augenhöhe zu behandeln. Die bisherige Strategie mit Geld und Apellen an die Moral Zustimmung zu Handelsabkommen zu erreichen, wird nicht mehr ausreichen. Die afrikanischen Länder emanzipieren sich und werden in Zukunft zu wichtigen Partner für die EU werden, vor allem, wenn die USA mit Trump weiter ihren selbstzerstörerischen Kurs fährt. Hier sollten die europäischen Märkte geöffnet werden, das gleiche gilt für Lateinamerika. Mit Blick auf China sollte die Zusammenarbeit vor allem im Bereich Klimaschutz intensiviert werden, doch auch in Handelsbeziehungen wird die EU China gegenüber vorsichtig sein müssen und diese Beziehungen nach Möglichkeiten diversifizieren.
Vor allem aber darf die EU die Kontakte in die USA nicht abreißen lassen. Bei einer Wiederwahl Trumps würde die US Administration weiter versuchen, die multilaterale Ordnung zu unterwandern. Gegen Sanktionsdrohungen aus Washington hilft nur eine feste Haltung der EU. Man wird sich ein dickes Fell aneigenen müssen in Brüssel, denn Donald Trump wird nicht damit aufhören, seine eigentlichen Partner vor den Kopf zu stoßen.

Letztendlich ist klar, tritt Donald Trump eine zweite Amtszeit an, wird uns auch in Europa ein raues Klima bevorstehen. Die USA wird sich selbst abschaffen und von einer bewunderten Weltmacht zu einem Land mit marodem Gesundheitswesen, abstrusen Einkommensunterschieden und brutalem Rassismus verkommen. Und das ist vielleicht die größte Angst der Amerikaner: Etwas zu werden, auf das man herabschaut.

Was passiert, wenn Joe Biden die Wahl gewinnt?
von Valentin

Joe Biden galt nicht gerade als Wunschkandidat des progressiven Flügels der Demokratischen Partei. Seine Kandidatur soll vor allem dafür sorgen, dass möglichst viele ehemalige Trump-Wähler ihr Kreuz dieses Jahr an der anderen Stelle machen – strikte Trumpgegner wählen ihn ohnehin. Biden war bereits unter Obama der konservative Teil des Duos und erfüllt diese Rolle mit seiner Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris auch dieses Mal. In der Vergangenheit sprach er sich klar gegen Medicare for All aus, einem Konzept des eher linken demokratischen Politikers Bernie Sanders, unter welchem alle Amerikaner Schutz unter einer Krankenversicherung gefunden hätte.

Zwar gilt Biden als konservativer Demokrat, von seinem Konkurrenten Donald Trump trennen ihn jedoch Welten. Biden findet seine Stärken nicht in populistischen Rethorikausbrüchen, sondern wirkt konzentrierter und wirbt mit seiner Erfahrung als Vizepräsident. Er schätzt internationale Bündnisse und Institutionen wie die Vereinten Nationen, akzeptiert in der Coronakrise die Empfehlungen der Wissenschaft und erkennt den Klimawandel als reale Bedrohung an. Um ihn zu bekämpfen, hat Joe Biden einen Plan vorgestellt, der die Treibhausgasemmissionen der Vereinigten Staaten bis 2050 auf Null reduzieren soll. Dennoch ist sein Plan weit weniger radikal, als der Green New Deal, wie er von progressiven Demokraten gefordert wird.

Die starke Polarisierung der US-Bevölkerung könnte bei einem Wahlsieg Bidens für eine weitere Verhärtung der Fronten sorgen. Trump hatte bereits angekündigt, eine Niederlage unter bestimmten Umständen nicht zu akzeptieren und mit juristischen Mittel dagegen vorzugehen. Außerdem forderte er bewaffnete Milizen dazu auf, sich in so einem Falle bereitzuhalten („Stand back and stand by“). Inwiefern in den USA allerdings ein bewaffneter Konflikt bis hin zu einem Bürgerkrieg ausbrechen könnte, ist eine Spekulation und derzeit nicht absehbar.

Joe Biden unterstützt die Black-Lives-Matter Bewegung, seine Vizepräsidentschaftskandidatin Kamala Harris wäre die erste Schwarze als US-Vizepräsidentin überhaupt. Im Gegensatz zu Trump garantierte Biden den Demonstraten im Falle seiner Wahl ihr verfassungsmäßiges Protestrecht, Trump hatte dieses zuletzt immer wieder in Frage gestellt. In der Coronakrise setzt Biden auf schärfere Maßnahmen wie eine bundesweite Maskenpflicht in öffentlichen geschlossenen Räumen, ohne dabei jedoch einen weiteren Lockdown zu erzeugen. Biden versteht die Wirtschaft als wichtigste Säule des US-amerikanischen Systems, strengere Regulierungen oder höhere Steuern sind von ihm nicht zu erwarten.

Trump hinterließe Biden allerdings nicht nur eine zutiefst gespaltene Gesellschaft, sondern auch völlig umgestaltete Ministerien, die Biden neu organisieren müsste. Das Justizministerium beispielsweise hatte zuletzt immer wieder auch als persönlicher Rechtsschutz des Präsidenten gearbeitet, diese Rolle dürfte unter einem Präsident Joe Biden deutlich kleiner ausfallen. Zudem gelang es Trump, Amy Barret in den Supreme Court zu entsenden, die neun Mitglieder werden vom Präsidenten auf Lebenszeit ernannt und vom Senat bestätigt. Ihr Richterposten verschiebt den ideologischen Schnitt des wichtigsten amerikanischen Gerichtshof stark nach rechts. Biden hat sich in der Vergangenheit deshalb für eine Erhöhung der Richterstühle im Supreme Court ausgesprochen.

Außenpolitische Fauxpas wie Donald Trump („Rocketman“) wird Joe Biden vermutlich nicht im selben Ausmaß erzeugen. Seine außenpolitische Vorstellung gleicht der seines ehemaligen Vorgesetzten Barack Obama. Biden ist ein großer Freund internationaler Verträge, fordert den Wiedereintritt in das Pariser Klimaabkommen, schlägt einen neuen Atomdeal mit dem Iran vor und möchte sich in UN-Organisationen wie der Weltgesundheitsorganisation oder der UN-Flüchtlingshilfe künftig wieder stärker engagieren. Auch an der NATO hielte ein Präsident Biden fester als sein Vorgänger. Auch er warb zwar für eine Erhöhung der Verteidigungsausgaben der NATO-Mitgliedsstaaten, Konsequenzen wie einen Truppenabzug aus wichtigen europäischen Ländern wie Deutschland müssten die Mitglieder aber wohl nicht fürchten.

Was bedeutet eine Wahl Bidens für Deutschland und Europa?

Eine Wahl Joe Bidens stünde für eine Ende der protektionistischen Handelspolitik, auch Europa gegenüber. Im Gegensatz zu nahezu allen Wahlen der US-Geschichte, scheint selbst die Wallstreet einen demokratischen US-Präsidenten einem Republikaner vorzuziehen. Unter Biden wären vermutlich diverse Strafzölle auf europäische Produkte aufgehoben, auch deutsche Firmen würden also auf dem US-Markt wieder mehr verdienen. Für die deutsche Regierung bedeutete seine Präsidentschaft aber vor allem wieder mehr Vertrauen in internationale Absprachen und gemeinsame Agenden.

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