Aufstand der Doppelmoral

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Als vor wenigen Wochen die ersten Streikaufrufe im Internet auftauchten, wirkten diese noch äußerst unorganisiert, fast ein wenig unbeholfen. Eine Frau forderte ihre Follower auf, für den 8. Januar Urlaub einzureichen, um in den Generalstreik einzutreten. Eine andere empfahl, Lebensmittel und andere Einkäufe einen Tag später zu erledigen, um es „der Ampel mal richtig zu zeigen“. Protestformen, die mit Widerstand in etwa so viel zu tun haben wie Nutella mit einem gesunden Frühstück.

Doch der Wind hat sich gedreht. Nach zahlreichen teils aggressiven Protestaktionen und Demonstrationen stellen sich Behörden und Lieferketten für den 8. Januar auf einen Tag des Stillstands ein. Während Straßenblockaden einzelner Wege in Berlin oder München von Klimaaktivist:innen vergangenes Jahr noch mit Polizeihundertschaften, Olivenöl und Antiterrorframing bekämpft wurden, räumen Staat und Gesellschaft den Protestbauern nun jedes grenzüberschreitende Protestrecht ein. Eine Doppelmoral Dank eines bewusst genutzten Missverständnisses. Und am Ende profitieren mal wieder Rechtsextreme.

Der Berufstand der Bäuerinnen und Bauern genießt in Deutschland ein traditionell hohes Ansehen. Mit idyllischen Familienhöfen, Umweltschutz und Ponyreiten hat diese Branche jedoch lange nichts mehr gemein. Obwohl nur rund ein Prozent der deutschen Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig ist, besteht fast die Hälfte Deutschlands aus landwirtschaftlicher Nutzfläche, davon übrigens knapp 50 Prozent für die Futtermittelproduktion für Nutztiere. Und mit dieser lässt sich eine Menge Geld verdienen. Im Schnitt erwirtschaftet ein Hof in Deutschland einen Gewinn von 115.000 Euro pro Jahr – dieser Betrag hat sich innerhalb der letzten drei Jahre mehr als verdoppelt. Deutschen Bauern geht es finanziell sehr gut. Im Angesicht der aktuellen Haushaltskrise plante die Bundesregierung deshalb, ihnen einen Teil der massiven Subventionen zu streichen – unter anderem den Steuererlass für Agrardiesel. Wer in Deutschland mit dem Trecker sein Feld bestellt und öffentliche Straßen nur als Anfahrtswege nutzt, zahlt auf das Fahrzeug keine KFZ-Steuer und auch auf den Diesel keine staatlichen Abgaben. Rund 800 Millionen Euro kostet den Staat der Stauererlass auf den Agrardiesel. Was für den Staatshaushalt eine mittelschwere Belastung darstellt, bringt dem einzelnen Landwirtschaftsbetrieb nur etwa 2.900 Euro jährlich ein. Eine verzichtbare Summe für die meisten Großbetriebe.

Dennoch war der Aufschrei, welcher in den letzten Wochen zunächst durch die Sozialen Medien ging, riesengroß. Schnell rief der Deutsche Bauernverband zu Großprotesten auf. 6.000 Bäuer:innen aus ganz Deutschland fuhren vor dem Brandenburger Tor mit Großmaschinen auf, in mehreren deutschen Innenstädten luden Traktoren Gülle vor Rathäusern oder Parteibüros ab. Straßen wurden blockiert, Schilder demoliert, Gegenstände angezündet. Im Wendland brannten so häufig Strohballen, dass insgesamt 200 Feuerwehrmänner und -frauen zeitweise im 5-Minuten-Takt zu Brandeinsätzen gerufen wurden. Einsatzkräfte, die wegen solcher Brandstiftungen gebunden sind und im Zweifel nicht in anderen Notfällen helfen können. Ganz zu schweigen von der reellen Gefahr, die von Bränden ausgeht.

Einen medialen Höhepunkt erreichten die ausufernden Proteste dann am vergangenen Donnerstag. Rund 300 Landwirt:innen hatten sich in Schlüttsiel, einem winzigen Ort an der schleswigholsteinischen Nordseeküste, aufgebaut, um Wirtschafts- und Klimaminister Robert Habeck einzuschüchtern. Dieser hatte zuvor einige Tage auf der nordfriesischen Hallig Hooge verbracht – ein privater Urlaub. Nun konnte seine Fähre, auf der neben ihm und seinem Sicherheitspersonal auch völlig unbeteiligte Bürger:innen mitfuhren, den Anleger aufgrund der Protestler nicht anlaufen. Dort versuchten etwa 30 Bauern eine Polizeikette zu durchbrechen und die Fähre zu stürmen. Nur Dank Pfefferspray und der Entscheidung des Kapitäns, wieder abzufahren, konnten sie aufgehalten werden. Selbst daraufhin bot Habeck den Protestierenden an, mit drei ihrer Vertreter noch vor Ort sprechen zu wollen, ein Angebot welches mit Seiten der Landwirte unter lautstarkem Hohn abgelehnt wurde. Nach Gewaltaufrufen gegen Teile der Bundesregierung zogen sie jedoch schließlich ab. Im Anschluss stellte die Polizei Anzeigen wegen Nötigung, Anzeigen wegen Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte werden laut Staatsanwaltschaft Flensburg derzeit geprüft. Allerdings laufen diese gegen Unbekannt, die Polizeikräfte vor Ort hatten es versäumt, die Personalien der Beschuldigten aufzunehmen.

Allgemein ist der Umgang von Staat und Gesellschaft mit den Bauernprotesten zutiefst besorgniserregend. Während führende Politiker:innen die Klimabewegung in Deutschland als Terrorismus defamierten und Polizei und Staatsanwaltschaft Webseiten und Kleber beschlagnehmten, Wohnungen durchsuchten, Aktivist:innen sogar in Präventivhaft nahmen, werden die aktuellen Proteste mindestens geduldet, teilweise sogar aktiv unterstützt. In Leipzig gestattet die Ordnungsbehörde für den 8. Januar eine 12-stündige Blockade von 25 Autobahnanschlussstellen. Diese werden für den Verkehr dann nicht mehr zur Verfügung stehen. Man stelle sich vor, so ein Protest sei der Letzten Generation erlaubt worden. In ganz Deutschland sollen ähnliche Aktionen stattfinden. Krankenhausgesellschaften bitten in einem Aufruf mittlerweile darum, Wege für Rettungskräfte und medizinisches Personal freizuhalten, es drohten „ernsthafte Gefahren für Kranke und Menschen in Not.“ Diese buchstäblichen Bitten sind weit entfernt von den Rettungsgassendiskussionen, die im Sommer im Zuge der sogenannten Klimakleber geführt wurden.

Immer deutlicher drängt sich der Eindruck auf, der Staat entscheide anhand seiner Sympathien für die Protestierenden geeignete Maßnahmen, nicht nach den Auswirkungen und Gefahren der Proteste. Ein Vorgang, der Meinungsfreiheit und Demokratie schwer ins Wanken bringt. Einer Gruppe aggressive Aufstände zugestehen, während einer anderen friedlicher Protest verwehrt bleibt, dieser sogar mit staatlicher Repression bekämpft wird? Der Staat ist dazu verpflichtet, friedlichen Protest unabhängig seines Inhaltes, solange dieser nicht verfassungsfeindlich ist, zu ermöglichen. So will es das Grundgesetz. Und selbst inhaltlich müsste das Interesse an einem bewohnbaren Planten dem an günstigem Treckerdiesel übersteigen. Das sieht die Bundesregierung offensichtlich anders. Sie hat die unter dem Druck der Proteste einen Großteil ihrer Einsparmaßnahmen wieder gelockert. Ein eindeutiger Sieg für die Landwirt:innen, die sich nun eigentlich zufrieden geben könnten.

Doch die Romantisierung der Landwirt:innen von Seiten der Regierung und der Gesellschaft wird unterdessen längst von rechtsextremen Gruppierungen für eigene Zwecke missbraucht. So riefen zu dem Widerstand gegen Robert Habek an der nordfriesischen Küste vor allem Aktivist:innen aus dem Umfeld der sogenannten Idenditären Bewegung auf. Bei zahlreichen Prostesten der Bäuer:innen wurden offensiv Fahnen und Symbole von AfD, NPD oder Landvolkbewegung präsentiert. Die Landvolkbewegung war eine nationalistische Bauernbewegung zu Zeiten der Weimarer Republik. Laut Historiker:innen war sie ein bedeutender Wegbereiter für den Nationalsozialismus in Deutschland und direkter Förderer der NSDAP. Lange geht es bei den Protesten nicht mehr um die Agrarwirtschaft. Stattdessen wird der Sturz der Regierung gefordert, immer wieder wird mithilfe symbolischer Galgen sogar zu Gewalt gegen Entscheidungsträger:innen aufgerufen.

Und somit ist der 8. Januar kein Protesttag mehr gegen die Abschaffung von Agrarsubventionen. Er ist Ausdruck dessen, was rechtsextreme, faschistische Gruppen wie die AfD oder die Identitäre Bewegung bereits an Einfluss in der Gesellschaft gewonnen haben. Ungeniert können sie Proteste infiltrieren und damit Krankenhäuser und Autobahnen blockieren, geistige und physische Brandstiftung begehen, Regierungsmitglieder bedrohen, kritische Infrastruktur außer Kraft setzen. All das, ohne als Terroristen bezeichnet zu werden, ohne Hausdurchsuchungen, ohne Präventivhaft. Eine Doppelmoral gegenüber denjenigen Menschen, die friedlich für ein Überleben unseres Planeten und der menschlichen Zivilisation einstehen und sich der Gefahr von Polizei und Wutbürgern freiwillig aussetzen. Es sind schwere Zeiten für unsere Freiheit und unsere Demokratie.

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