Ich möchte Dir so gerne einen Liebesbrief schreiben, doch ich muss gestehen, dass mir das gerade nicht leicht fällt

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Liebes neues Jahr 2024,

ich möchte Dir so gerne einen Liebesbrief schreiben, doch ich muss gestehen, dass mir das gerade nicht leicht fällt. Du stehst erwartungsvoll vor meiner Tür, doch ich bin erschöpft. Wo mir der Kopf steht, weiß ich schon lange nicht mehr. Wenn ich in die Welt hinaus sehe, dann sehe ich Krieg. Ich sehe die Menschen in Gaza und Israel leiden und meine engsten Freund:innen sich darüber zerstreiten. Ich sehe kein Ende im Krieg gegen die Ukraine und die Angst in den Augen der Geflüchteten, die nun den Einzug in die Armee fürchten.

Ich höre von den geplanten Reformen der Asylpolitik und muss schlucken. Türen werden geschlossen und Mauern hochgezogen, wo wir Wege ebnen und Möglichkeiten schaffen sollten. Europa macht die Grenzen dicht und auf Facebook schreibt Hannelore, dass sie die Scheinheiligkeit dieser Gutmenschen ankotzen würde, schließlich nähme ja niemand von ihnen einen Flüchtling auf.

Im Radio laufen Hochwasser- und Sturmwarnungen im 5-Minuten-Takt. Doch es scheint mir, der Klimawandel ist angesichts der zahlreichen Krisen so weit aus unserem Bewusstsein gerückt, wie vor Jahrzehnten. Wichtige politische Entscheidungen, die schon jetzt tausende Menschenleben retten könnten, werden bewusst nicht getroffen. Und ich frage mich, woher sie diesen Optimismus nehmen. Dass es alles doch noch gut ausgeht.

Psychische Erkrankungen sind auf einem neuen Höchststand, doch viele Menschen bleiben noch immer ohne Hilfe, ohne Unterstützung, ohne Verständnis und ohne Platz in der Leistungsgesellschaft. Queere Menschen müssen sich noch immer Hass und Hetze gegenüberstellen, dabei möchten sie nur ihr Leben leben. Warum muss ihr Aussehen und ihre Lebensweise kommentiert und kritisiert werden? Warum werden sie in so vielen Aspekten des öffentlichen Lebens diskriminiert? Warum dürfen sie nicht einfach da sein wie Du und ich?

Wenn ich nach Deutschland schaue, dann sehe ich einen Rechtsruck, der mich nachts nicht schlafen lässt. ich höre von den Wahlergebnissen, vom ersten AfD-Bürgermeister und frage mich, wie es dazu kommen konnte. Dabei weiß ich es längst. Doch die Realität eines lang verdrängten Ost-West-Konflikts, einer ungelösten Energiekrise und eines politischen Ideologiekampfes ist zu komplex, um eine einfache Antwort zu finden. Bei meiner Arbeit im Community Management lese ich die Wellen an Hass, Xenophobie und Rassissmus und möchte am liebsten das Internet löschen. Vielleicht würde dann ein bisschen weniger Scheiße hinaus in die Welt dringen. Doch dann würden auch all die Stimmen verklingen, die für Widerstand und Hoffnung kämpfen. Die sich mutig der Welt entgegenstellen und sich nicht unterkriegen lassen, angesichts der misslichen Lage, in die wir uns selbst manövriert haben.

Liebes neus Jahr, wir bürden Dir eine ganze Menge auf. Du hast 366 Tage Zeit, um uns zu zeigen, dass Zusammenhalt doch noch möglich ist. Dass wir laut sein müssen und dass wir uns zeigen müssen. Auf der Straße, laut und solidarisch und überall. Ich glaube, dass Du das schaffen kannst. Meine Generation ist eine Generation voll Resilienz. Wir werden als weich beschimpft, doch ich bin gerne weich. Ich lache viel und weine viel. Ich schätze Momente und Erinnerungen über materiellen Dingen. Meine Freund:innen gehören zu den wichtigsten Menschen in meinem Leben, ohne die ich mir dieses Leben gar nicht vorstellen kann. Ich tanze und ich singe und ich tausche meine Zeit nicht für schlechte Bezahlung und ein leeres Rentenversprechen ein. Ich habe gerne Zeit für mich, ich bin gerne kreativ. Für all das möchte ich mir im neuen Jahr mehr Zeit nehmen. 2024 wird ein Jahr der Weichheit und der schamlosen Verletzlichkeit.

Liebes neues Jahr, vielleicht ist das hier doch noch ein Liebesbrief geworden. An Dich, an die Menschen in meinem Leben und an alle da draußen, die kämpfen. Ich höre euch und ich danke euch.

Ihr seid nicht allein.

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