Umarmungen gegen Einsamkeit

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Im Jahr 1986 rief der US-amerikanische Pfarrer Kevin Zaborney den National Hunging Day ins Leben. Das Datum mag willkürlich gewählt erscheinen, dem ist jedoch nicht so. Denn der 21.Januar ist der zeitliche Mittelpunkt zwischen Weihnachten, dem Fest der Liebe, und dem Valentinstag, dem Fest der Liebenden. Er liegt innerhalb der Winterzeit, die für viele Menschen durch ihre dunklen und kurzen Tage die Gefühlswelt vieler Menschen beeinflussen und trüben kann. In einem Interview mit einestages aus dem Jahr 2016 erklärt Zaborney seine Motivation weshalb er den National Hugging Day ins Leben rief: „Ich studierte damals Psychologie und hatte den Eindruck, dass unsere Gesellschaft körperliche Nähe zunehmend fürchtete. Die Menschen saßen vor ihren Fernsehern oder spielten Videospiele. Zudem hatte meine damalige Freundin Monica Moeller auch schon einen Gedenktag ins Leben gerufen, das hat mich beeindruckt. … Monicas Großvater William D. Chase war der Gründer des jährlichen „Chase’s Calender of Events“, der seit 1957 alle möglichen Gedenktage auflistet. Meine Mutter sagte dann: Wir sind eine Familie von Umarmern. Ruf du doch den „Hugging Day“ aus!“

Wissenschaftliche Studien zeigen, dass physische Berührungen einen Einfluss auf das Cortisol Level im Körper haben. Cortisol ist ein Hormon, welches in den Nebennierenrinden produziert wird und Einfluss auf Schlaf und Fettstoffwechsel nimmt. Es ist ein Stresshormon, welches uns fit und belastbar macht, jedoch nur in Dosen. Sind wir über einen längeren Zeitraum gestresst und der Körper produziert große Mengen Cortisol steigt das Risiko für chronische Erkrankungen wie Bluthochdruck, Diabetes Typ 2 und Osteoporose. Jedoch zeigen die Studien, dass physische Berührungen einen positiven Effekt auf physiologische Stressantworten des Körpers haben, nicht unbedingt auf selbst gemachten Stress.  Ein Mensch der sich also vor einer Corona Infektion durch physischen Kontakt fürchtet, wird eine Umarmung nicht als beruhigend empfinden können. Bei einem Menschen in einer Schocksituation hingegen kann eine Umarmung helfen und einen positiven Einfluss auf das Cortisol-Level nehmen. 

Ich habe den 21. Januar für diesen Artikel nicht gewählt um auf den National Hugging Day aufmerksam zu machen, sondern auf eine sehr wichtige und in unserer Gesellschaft häufig ungesehene Thematik: Einsamkeit.

„Einsamkeit ist eine wahrgenommene Diskrepanz zwischen den gewünschten und den tatsächlichen sozialen Beziehungen“

Prof  Dr. Luhmann, eine der führenden deutschen Einsamkeitsforscher*innen

Kurz vor Weihnachten tauchten in meinen YouTube- und Instagram-Werbungen vermehrt kurze Clips des BMFSFJ (kurz für Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) auf, die für die Thematik Einsamkeit, besonders zu Jahresende inmitten der anstehenden Feierlichkeiten wie Weihnachten und Silvester, sensibilisieren wollen. Eine junge Frau die in einem Club tanzt, ein junger Mann der an einem großen Tisch inmitten vieler Menschen sitzt, das Bild wird grau und Sätze wie „Einsamkeit feiert mit“, „Einsamkeit sitzt mit am Tisch“ tauchen auf. Eine neue Studie der Landesregierung Nordrhein-Westfalen zeigt,  dass jeder fünfte Jugendliche in Nordrhein-Westfalen stark einsam ist. 

„Einsamkeit ist die neue soziale Frage unserer Zeit. Wir müssen verhindern, dass aus einsamen Kindern und Jugendlichen einsame Erwachsene werden.“

Ministerpräsident Wüst

Die „Strategie der Bundesregierung gegen Einsamkeit“ wurde am 13.12.2023 durch das Bundeskabinett beschlossen, sie schließt alle Altersgruppen und alle Menschen, die aufgrund ihrer Lebensführung in bestimmten Lebensphasen von Einsamkeit betroffen sein können ein und beinhaltet zahlreiche Maßnahmen um Einsamkeit vorzubeugen und zu lindern. Sie umfasst 111 Maßnahmen um Einsamkeit entgegenzuwirken.

Das BMFSFJ definiert Einsamkeit folgendermaßen:

Einsamkeit entsteht, wenn die eigenen sozialen Beziehungen nicht den persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entsprechen. Der empfundene Mangel kann sich sowohl auf die Zahl der Kontakte als auch auf die Tiefe und Enge der Bindungen beziehen. Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, daher sind die Ursachen für Einsamkeit individuell und lassen sich nur schwer verallgemeinern. Von Einsamkeit sind sowohl ältere als auch jüngere Menschen betroffen. Besonders gefährdet sind Menschen in Übergangssituationen im Leben, wie dem Einstieg in Studium, Ausbildung, Beruf und Rente oder wenn die Person von einem Schicksalsschlag ereilt wird, etwa einer Trennung oder dem Verlust eines geliebten Menschen. Alleinlebende, Alleinerziehende, Singles, pflegende Angehörige sowie Menschen mit Migrationshintergrund, eingeschränkter Mobilität, gesundheitlichen Problemen, niedriger Bildung oder geringen finanziellen Möglichkeiten haben ein erhöhtes Risiko, von Einsamkeit betroffen zu sein.“

Eine Maßnahme gegen Einsamkeit ist das Kompetenznetz Einsamkeit (KNE) das im Februar 2022 startete und nun seit fast zwei Jahren besteht. Zum einen verbindet das KNE seinem Namen entsprechend Forschung, Netzwerkarbeit und Wissenstransfer um bestehendes Wissen zur Thematik zu bündeln, Wissenslücken zu schließen und gewonnene Erkenntnisse in die politische und gesellschaftliche Praxis einfließen zu lassen. Zum anderen fördert es die Erarbeitung und den Austausch über förderliche und hinderliche Faktoren in der Prävention und Intervention.

Wenn von Einsamkeit gesprochen wird ist es wichtig zu berücksichtigen, dass es verschiedene Arten der Einsamkeit gibt, am häufigsten wird zwischen „sozialer Einsamkeit“ und „emotionaler Einsamkeit“ unterschieden, es gibt aber auch noch weitere Formen wie zum Beispiel „kulturelle Einsamkeit“. Wichtig ist: Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, das erlebt wird. Somit ist das eigene Empfinden der beste Maßstab für die Frage, ob man sich einsam fühlt oder nicht. Es gilt: Einsam ist, wer sich einsam fühlt.

Einsam oder Allein?

Alleinsein ist anders als Einsamkeit kein subjektives Gefühl, sondern ein objektiv sichtbarer Zustand. Beides tritt zwar häufig zusammen auf, ist aber nicht zwangsläufig miteinander verknüpft.

„Einsamkeit ist ein subjektives Gefühl, der von den Betroffenen als schmerzhaft wahrgenommen wird. […] Im deutschen Sprachgebrauch wird Einsamkeit manchmal auch synonym mit Alleinsein (engl. solitude) verwendet, z. B. wenn man die Einsamkeit in der Natur aufsucht. Diese Art von Alleinsein wird häufig als positiv empfunden, Einsamkeit (im wissenschaftlichen Sinne) ist dagegen immer negativ“

Loneliness Matters: A Theoretical and Empirical Review of Consequences and Mechanisms, Hawkley et al., 2008

Das Wintersemester neigt sich dem Ende zu und die Prüfungsphasen stehen vor der Tür – eine nicht ganz einfache Zeit für viele Studierende. Ein Gesundheitsreport der Techniker Krankenkasse, im Juni 2023 erschienen, zeigt, dass mehr als jede und jeder dritte Studierende Burnout-gefährdet sei. Rund 44% leiden unter zunehmender Einsamkeit.

Wir müssen jetzt nicht losziehen und all unsere Freunde, Komiliton*innen und Menschen die uns heute über den Weg laufen umarmen. Aber wir alle können davon profitieren aufmerksam unser Umfeld zu beobachten, eine kleine Nachricht mit einem einfachen „Hey, wie geht es dir?“ Kann helfen, sich gesehen und weniger allein zu fühlen. Oder halt doch mal aktiv die Freunde zu einer Lernpause überreden, wenn es passt eine lange Umarmung geben oder anbieten. 

In diesem Sinne, fühlt euch umarmt!

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