Aufstehen reicht nicht

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Kommentar

Der Schock sitzt tief an jenem Mittwochabend, als correctiv.org ihre Recherchen über das geheime Treffen von Mitgliedern der AfD, Werteunion und CDU, führenden Persönlichkeiten der Identitären Bewegung, Mittelständler, Juristen, Unternehmer und Ärzte veröffentlichte, die sich In Potsdam trafen, um rechtsextreme Pläne zu besprechen, die Deutschland für immer verändern sollten. Vorbei ist es mit der Zeit, in der Nazis nur in dunklen Kellerräumen und vergammelten Dorfkneipen herumlungerten. Es sind Menschen, die Einfluss haben; Einfluss und Geld. Bei ihrem Treffen entwerfen sie nichts weniger als einen Angriff auf das Existenzrecht von Millionen Menschen in unserem Land, einen Angriff auf die deutsche Verfassung.

Der Aufschrei war groß, sowohl unter Politiker:innen, als auch in der Zivilbevölkerung. Dass solch ein Treffen in Deutschland im Jahr 2023 überhaupt möglich sei. Wo bliebe denn der Verfassungsschutz? Sie tun überrascht, als hätten sie eben gerade erst erfahren, dass die AfD in Sachsen und Thüringen bei der Bundestagswahl 2021 und in Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg nun auch aktuell stärkste Kraft ist und bei den nächsten Wahlen in Ostdeutschland Regierungsmacht in mehreren Landtagen erreichen könnte. Als hätten sie gerade erst ihr altes Facebook-Profil reaktiviert und entsetzt den braunen Müll gelesen, den Verwandte und Freund:innen in den Kommentarspalten zahlreicher Nachrichtenagenturen abgelassen haben.

Mich überrascht nichts davon. Dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge mindestens eine Scheuklappe trägt, ist nicht erst seit dem Geheimtreffen in Potsdam 2023 klar, sondern eigentlich schon seit dem NSU-Prozess und spätestens seit dem Maaßen-Debakel. Nicht zu vergessen ist an dieser Stelle, dass es eben jener Hans-Georg Maaßen ist, der als Verschwörungstheoretiker und Rechtsextremist über Jahrzehnte die Struktur des Verfassungsschutzes mitbestimmt hat und im Januar die rechtskonservative Partei Werteunion gegründet hat. Ich war schockiert, ja. Seit Jahren spreche ich mit Freund:innen über die Bedrohung von rechts, über den Rechtsruck in der Gesellschaft, der mir schon die ein oder andere unruhige Nacht beschert hat. Ich wusste, dass es Menschen gibt, die wollen, dass „denen da oben“ mal gezeigt wird, wo es langgeht. Die „Ausländer raus“ skandieren und über „importierten Anitsemitismus“ und „Remigration“ sprechen. Nazis sind schon lange keine gruseligen Typen mehr mit rasieren Köpfen und Springerstiefeln. Nein, überrascht hat es mich nicht.

Also stand ich am Mittwoch in der darauffolgenden Woche bei einer Kundgebung vor dem Kanzleramt. 17 Uhr, stockdunkel, -3 Grad Außentemperatur. Und doch standen fast 1000 andere Menschen mit mir in der Kälte und zeigten, dass die Demokratie nicht verloren ist, nur weil sich zwanzig reiche Heinzels in Potsdam treffen und über Deportationen diskutieren. Ich hielt mein hastig gebasteltes Pappschild in die Höhe (es zeigte ein Mobiltelefon und den Spruch 1933 is calling) und ließ mich von der Menge mittragen, als sie brüllte: „Ganz Berlin gegen den Faschismus!“

Die Tage danach waren von einer Stimmung der Aufruhr gekennzeichnet. In ganz Deutschland wurden Demonstrationen organisiert, selbst in meiner kleinen Heimatstadt versammelten sich hunderte Menschen auf dem Marktplatz. An vielen Orten sprengten die Demonstrationen alle Teilnehmer:innenzahlen, die sich die Veranstalter:innen je hatten erträumen können. Dieses kollektive Aufstehen, der gemeinsame Schrei, gab mir ein Gefühl von Hoffnung, das ich schon lange nicht mehr gespürt hatte, wenn ich an deutsche Politik gedacht hatte. Diese Art des Zusammenhalts hatte ich zuletzt 2020 bei den BLM-Demonstrationen in Folge auf den gewaltsamen Tod des US-Amerikaners George Floyd erlebt.

Die hunderttausenden von Menschen, die auf die Straße gingen zeigten mir, dass die Demokratie noch immer eine laute Stimme hat. Die Nationalsozialist:innen in unseren Parlamenten verlassen sich darauf, dass wir still bleiben. Dass wir wegschauen, wegnicken, wegrelativieren. Dass wir uns nicht angesprochen fühlen. Aber wir MÜSSEN uns angesprochen fühlen. Jede einzelne Person muss sich angesprochen fühlen, wenn sich Rechtsextreme und gewählte Bundestagsmitglieder zur Besprechung rechter Gewaltfantasien verabreden. Wir können es uns schlichtweg nicht mehr leisten, die Augen zu verschließen. Nicht, mit einer AfD, die in der Sonntagsumfrage mehr als 30% einholt.

Wir Deutschen haben ein schwieriges Verhältnis zu unserem Land. Wir wollen es gerne lieben, aber irgendwie will das nicht so recht gelingen, denn der Anblick von schwenkenden Deutschlandfahnen außerhalb eines Fußballspiels lässt auch nach über 90 Jahren ein flaues Gefühl im Magen aufkommen. Wir haben uns mal geschworen, etwas wie den Nationalsozialismus nie wieder geschehen zu lassen. Jemanden wie Hitler nie wieder an die Macht kommen zu lassen. Nie wieder zu dulden, dass Millionen von Menschen abgeschoben und deportiert werden. Wer sich fragte, warum der Nationalsozialismus in der Schule drei mal durchgenommen wird, der hat seine Antwort gefunden. Weil es augenscheinlich nicht so einfach ist wie wir dachten, Nazis aus den Parlamenten rauszuhalten. Weil nie wieder jetzt ist.

So sitze ich vor meinem Handy; Wut und Hoffnung, Entsetzen und Mut schwirren in meinem Kopf umher, bis mir beinahe schwindelig wird. Nie wieder ist jetzt. Ein Satz, der sich so leicht sagt und so schwer umzusetzen ist. Ich bin keine Politikerin, ich habe, abgesehen von diesem Blog, keine öffentliche Stimme. Ich bin eine junge Frau, Mitte zwanzig, die eine ganz große Machtlosigkeit verspürt, wenn sie die Wahlergebnisse sieht. Zwangsläufig drängt sich mir die Frage auf:

Was kann ich schon tun? Was ist meine Stimme schon wert gegen den Rechtsruck, welcher Parlamente, Unternehmen und den öffentlichen Diskurs durchzieht wie ein Krebsgeschwür?

Tatsächlich eine ganze Menge. Und weil ich weiß, dass es vielen Menschen in meinem Umfeld genauso geht wie mir, sie sich von einer rasenden Ohnmacht gefesselt fühlen, möchte ich zum Abschluss dieses Kommentars zusammenfassen, wie ich und jede:r einzelne von uns, etwas gegen Rechtsextremismus tun kann. Da ich aber ebenso weiß, dass nicht jede:r Mensch unbegrenzt Freizeit zur Verfügung hat, werde ich verschiedene Ideen einbringen, die einen unterschiedlichen Grad an Aufwand erfordern.

Solidarisieren. Das wichtigste und eigentlich auch das einfachste ist, sich mit jenen Menschen zu solidarisieren, die rassistische und diskriminierende Anfeindungen oder rechtsextreme Gewalt erleben. Hört diesen Menschen zu, verurteilt sie nicht und sprecht ihnen auf gar keinen Fall ihre Erfahrungen ab. Ein Punkt, bei dem ich mich selbst (leider) noch immer wieder erwische. Überlegt, in welcher Bubble ihr euch befindet und wie ihr sie diversifizieren könnt. Rassifizierte Menschen bekommen viel seltener die Möglichkeit über ihre Erfahrungen zu sprechen, als weiße. Wenn ihr solche Situationen mitbekommt, gebt ihnen den Raum, der ihnen zusteht, und stellt euch selbst zurück, auch wenn es schwer ist.

Positionieren. Haltung ist ein Wort, dass gerne von Populist:innen durch den Dreck gezogen wird. Als wäre Haltung etwas Überflüssiges, das man sich aneigne, um nicht über die „wahren Probleme“ sprechen zu müssen, und nicht das Rückgrat unserer Gesellschaft. Um sich eine Haltung zu erarbeiten, kann man sich folgende Fragen stellen: Wofür stehe ich ein? Welche Werte vertrete ich? In welcher Gesellschaft möchte ich leben? Wo sind für mich klar Grenzen überschritten? Haltung muss stehts offen kommuniziert werden, denn sie ist es, die die Demokratie jeden Tag verteidigt. Sowohl im Internet, als auch im Büro. Ein paar Ideen, wie man die eigene Haltung nach außen tragen kann:

  • Desinformation erkennen und sie nicht weiterverbreiten
  • Hass und rechte Hetzte in Internetforen und Kommentarspalten melden, ggf. Widersprechen und auf rechtes Gedankengut hinweisen
  • Menschenverachtenden oder einfach falschen Ausssagen rechtspopulistischer Parteien und ihrer Anhänger widersprechen; das Überzeugen ist dabei nebensächlich
  • Andere Positionen tolerieren, aber die Grenzen des Sagbaren klar ausdrücken und sich rassistischem Ausgrenzen von Menschen klar entgegen stellen
  • Zu Demonstrationen gehen

Seine Fakten parat haben. Bildung ist das wichtigste Werkzeug im Kampf gegen Rechtsextremismus. Populist:innen glänzen häufig damit, völlig von der absoluten Wahrheit ihrer Fakten überzeugt zu sein. Das kann in einer Diskussion verunsichern und die eigene Position wackeln lassen. Es ist hilfreich, die eigenen Fakten parat zu haben. Informiert euch auf seriösen Medienseiten über Verschwörungstheorien und gängige Falschbehauptungen. Sammelt euch die Informationen zusammen, die eure eigene Haltung stärken. Als Idee, hier ein paar Fakten aus dem AfD-Wahlprogramm:

  • Die AfD will deutsche Staatsbürger zwingen, das Land zu verlassen, wenn sie nicht ausreichend angepasst sind. Die Prüfung dessen und welche Faktoren dabei eine Rolle spielen, sind unklar.
  • Die AfD ist gegen Erbschafts- und Vermögenssteuern und will vor allem Gutverdienende entlasten.
  • Die AfD ist gegen Subventionen (Ja, auch gegen die Subventionen der Landwirtschaft).
  • Die AfD will dem Klimaschutz freien Lauf lassen. Die Auswrikungen werden massive finanzielle Auswirkungen auf die gesamte Bevölkerung haben.
  • Menschenrechte von Kindern mit Behinderung werden von der AfD als „Ideologie“ bezeichnet. Ihre Stärkung soll aus Kostengründen gestrichen werden.
  • Die AfD will die Einwanderung massiv beschränken, wodurch sich der Fachkräftemangel noch verstärken wird.
  • Als einzige Partei will die AfD bestehende Bildungs- und Aktionspläne gegen Homo- und Transphobie beenden und das Antidiskriminierungsgesetz abschaffen. Dadurch werden hart erkämpfte Rechte und Erfolge in der Gleichstellung zurückgedreht, was Auswirkungen auf das Leben tausender queerer Menschen in Deutschland hätte.

Selbst aktiv werden. Jetzt gerade ist ein guter Zeitpunkt, einer demokratischen Partei oder einer der zahlreichen Organisationen beizutreten, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren. Nirgendwo hat man so ein direktes Mitspracherecht, wie in einer Partei selbst. Dazu muss man nicht in der Kommunalpolitik aktiv werden, es reicht schon, zu den Mitgliederversammlungen zu gehen und die eigene Stimme abzugeben. Wer keine Lust auf direkte Politik hat, sich aber trotzdem engagieren möchte, für den oder die ist vielleicht eine politische Organisation das richtige. Dazu zählen zum Beispiel Aussteigshilfen, Initiativen für Information, Dokumentation und Bildung, Jugendarbeit, Online-Initiativen, Opferberatung oder andere demokratische Projekte. Es ist auch möglich, Geld an diese Organisationen zu spenden.

Wählen gehen. Auch wenn die politische Landschaft aktuell nicht unbedingt zum Schwärmen einlädt, ist es wichtiger denn je, wählen zu gehen. Aus Protest nicht wählen zu gehen, bringt nichts. Die Stimmen werden anhand der Gesamtzahl der abgegebenen Stimmen gewichtet und jede nicht abgegebene Stimme schenkt populistischen Parteien im Zweifel einen entscheidenden Prozentpunkt. Wählen ist das direkte Werkzeug der Demokratie. Es ist unser wichtigstes Gut und wir sollten es entsprechend behandeln.

Antifaschismus heißt nicht, im schwarzen Block zu laufen und mit Steinen zu werfen. Antifaschismus heißt, aufzustehen und Nein zu sagen, wenn man Zeug:in rassistischer Gewalt wird. Antifaschismus heißt, sich angesprochen fühlen. Antifaschismus heißt, die Augen nicht zu verschließen. Es gibt so viele Menschen in diesem Land, die sich abgehängt fühlen. Menschen die sagen: ich erkenne mein Land nicht wieder. Wir dürfen sie nicht weiter ausschließen und von oben herab behandeln. Wir müssen ihnen zuhören und ihre Sorgen ernst nehmen. Antifaschismus heißt, auf diese Menschen zuzugehen und ihnen eine Hand anzubieten. Immer und immer wieder.

Gleichzeitig müssen wir dafür sorgen, dass rechtspopulistischs Gedankengut nicht weiter salonfähig gemacht wird. Denn Schuld am Rechtsruck ist nicht nur die AfD, sondern auch Politiker:innen, die rechtsextremistische Aussagen zur politischen Mitte erklären. Wenn ein Friedrich Merz von fehlenden Zahnarztplätzen und „kleinen Paschas“ spricht, wenn der Kanzler auf dem Spiegel-Cover mit der Überschrift „Wir müssen endlich in großem Stile abschieben“ thront, wenn Politiker:innen auf X (ehemals Twitter) abstruse Umsturzfantasien befeuern, dann ist das Maß nicht nur erreicht, es ist überschritten.

Die deutsche Gesellschaft hat in den letzten Tagen gezeigt, dass die Demokratie wehrhaft ist. Dass wir in unsere Institutionen vertrauen und unsere Stimme dort erheben, wo Unrecht geschieht. Jetzt heißt es, dranbleiben. Die demokratischen Parteien müssen sich klar von der AfD abgrenzen, nicht nur mit Worten, sondern auch mit ihren Wahlprogrammen und der Politik, die sie tagtäglich im Bundestag, Bundesrat und den Landesparlamenten betreiben. Wir dürfen uns jetzt nicht ablenken lassen. Nicht von Lügen und diffamierenden Behauptungen der Rechtspopulist:innen, nicht von ihren nach links gestreckten Zeigefingern. Aufstehen reicht nicht, wir müssen auch stehen bleiben.

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