Why did you stay?

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Ein Buch Review über „Why did you stay?“ von Rebecca Humphries

Rebecca Humphries beschreibt sich selbst als Schauspielerin, Autorin und hoffnungslose Romantikerin. Fünf Jahre lange war sie in einer Beziehung mit dem britischen Comedian Seann Walsh, die ein fulminantes Ende fand, als Walsh eine Affäre mit seiner (verheirateten) Tanzpartnerin bei Strictly Come Dancing, der britischen Version von Let’s Dance, einging, und dabei von Paparazzis erwischt wurde. An Rebeccas Geburtstag. Während sie alleine zuhause saß. Das Desaster ist perfekt. Die Fotos von Walsh und seiner Tanzpartnerin werden in allen Netzwerken und Zeitungen geteilt und Rebecca wird in die Opferrolle gedrängt. Doch damit kann und möchte sie sich nicht abfinden. Also postet sie ihre eigene Version der Ereignisse in einem Statement auf Social Media, inklusive Ratschlägen und Tipps für andere Frauen, die vielleicht selbst erleben, was Rebecca gerade feststellt, sie sich im letzten Moment erst raus befreien konnte: Eine toxische, unterdrückerische Beziehung. Doch unter den Kommentaren befinden sich nicht nur gute Wünsche, sondern auch die eine Frage, die sich Rebecca selbst fort an immer wieder stellt: Wenn er so schlimm war, warum bist du dann geblieben?

„What is it, Becks?“ I look up and Bell and Jim are both staring at me. „Nothing“, I say. I straighten up, leaning into the persona I’ve created, the one where I’m a feminist icon who has a nice body, who likes being a woman, who likes who she is, whose insides aren’t crumbling at the dining table. Why did I stay?

Auch, wenn man weder sie selbst, noch Seann Walsh, noch Strictly come Dancing kennt, erlaubt Rebecca Humphries ihren Leser:innen tief in eine so einfach klingende Frage einzutauchen, auf die es nur eine komplexe Antwort gibt. Warum bleiben so viele Frauen (und Männer) in Beziehungen, die ihnen nicht gut tun? Die sie auslaugen, ihnen jegliche Energie rauben, das Selbstwertgefühl nehmen und die eigene Vernunft hinterfragen lassen? Mit ihrem Buch zeigt Rebecca, dass es nicht immer so einfach ist, die toxischen Muster zu erkennen, in die man sich über Jahre hinweg hinein manövriert hat. Das Buch folgt dabei zwei Zeitebenen, zum einen der Zeit nach der Trennung und dem Strictly Desaster, zum anderen die Zeit während der Beziehung zu Walsh, der im Buch nie explizit genannt, sondern immer nur als He („Er“) bezeichnet wird.

I don’t have a job at the moment. Not making money is giving me sleepless nights, and the less I sleep the more I forget my lines in auditions […]. So He needs to make money, for both of us. And the more money He makes the more sense it makes for Him to pay for everything. The takeaways. The holidays. The cinema. The mortgage. The bills. The new garden. The new shutters for the bedroom. My clothes. My food. My whole life.

Rebecca, als Schauspielerin ohne Anstellung, befindet sich in finanzieller Abhängigkeit des populären Comedians. Es ist nur einer der Gründe, warum sie ihn nicht verlässt, obwohl er sie manipuliert und niedermacht. Walsh verunsichert Rebecca mit seinem Verhalten so sehr, dass sie sich wertlos fühlt und immer wieder fürchtet, er würde fremdgehen. Diese Gedanken setzten sich so sehr in ihrem Kopf fest, dass sich ihre Gedanken schon bald um nichts anderes mehr drehen.

I want to open those wardrobe doors […], want to discover dangerous hidden treasures like hotel receipts or used condoms wrapped in tissue, or feel the lace of another woman’s used knickers, or find another phone number written on a torn-off lined pieve of paper like I did once, I found one once and fucking hell it had felt so good to watch Him struggle to justifiy it. I’m inside this fantasy now, the fantasy […] where I am right about the images in my head […], the one where I am clever and brilliant and not weak or paranoid or broken in the brain. I am done. […]. I realise I’m standing with the lid of the laundry bin in one hand and a sock in the other, and have been charging around the room picking up smalls like a malfunctioning Stepford Wife. […] I’m still wearing an apron. I feel like the worst bits of ten different types of woman.

Das ganze spitzt sich in einer herzzerbrechenden Szene zusammen, in der Rebecca immer tiefer in die Spirale aus selbstzerstörerischen Gedanken rutscht. Sie stellt die Vermutung an, dass viele ihrer Beziehungsprobleme daher rühren, dass sie und Walsh länger keinen Sex mehr hatten. Sie zieht alle Register, verhält sich offen sexy, kauft Reizwäsche, trägt Eyeliner auf. Als das nichts bringt, besinnt sie sich darauf, was sie glaubt, ihr Partner an einer Frau schätzt: Sie kocht. In ihrem eigenen Wahn gefangen, kauft sie teures neues Geschirr, sucht das schwierigste Rezept heraus, das sie finden kann. Doch als Walsh nach Hause kommt, wird ihre Mühe nicht gewertschätzt. Rebecca rastet aus. Nachdem sie sich wieder beruhigt hat, findet folgende Konversation statt:

„Listen. I know, that was demented-„
„Yes, it was.“ He interrupts. „Completely mental.“
„I don’t like it when you say that.“ My voice tightens, like when I’m in a lift and the doors don’t immediatly open.
„You literally just said it!“
„It’s different, coming from you.“ No, it’s less like a lift and more like a cage that He’s standing outside of with a key.
„It was a joke.“ He says. „I’m joking.“
„I know, I know.“ And I put my hands up in surrender because I can take a joke.

Walsh drängt Rebecca in eine Ecke. Sie will nicht als psychotische, eifersüchtige Frau darstehen, die bei jeder Gelegenheit die Nerven verliert. Sie will nicht uncool sein. Sie ist doch ein witziger Mensch. Sie versteht doch einen Witz. Gerade in der Beziehung zum Comedian Seann Walsh wird das Thema „Witz“ immer wieder in den Mittelpunkt ihrer Dramatik gerückt. Denn Walsh lässt es sich nicht nehmen, auch zahlreiche Witze seiner Stand Up Show auf Rebeccas Kosten zu performen. Und so zeigt die Szene beispielhaft, wie so viele andere Szenen in diesem Buch, wie leicht wir der falschen Person Glauben schenken, anstatt uns selbst.

And here’s the thing – if victims are being told they’re not victims of abuse, does that mean that perpetrators are being told that what they’re doing isn’t abusive?

Rebecca zeigt ebenfalls mit dem Finger auf die Popkultur, die jungen Mädchen zeigt, wie Missbrauch auszusehen hat. Sie zieht dafür eine Folge aus der Serie EastEnders heran. In dieser Serie gibt es vier Schwestern, eine davon ist Little Mo. Little Mo wird als schüchtern beschrieben, als sanftmütig und passiv. Und sie hat einen Ehemann, Scottish Trevor, der sie misshandelt. In einer Folge schüttet er Soße über ihren Kartoffelbrei und lässt sie diesen wie einen Hund vom Fußboden essen. Ihre Familie wusste, dass etwas nicht stimmte, denn sie erzitterte, wann immer sie ihren Ehemann erwähnten. Bis sie ihn schließlich mit dem Bügeleisen erschlägt und ins Gefängnis geht. Rebecca beschreibt, dass sie sich mit diesen Geschichten nicht identifizieren kann. Denn in der Popkultur, werden Opfer von Misshandlung nicht als Frauen dargestellt, die trotzdem roten Lippenstift tragen. Die keine blauen Flecken haben. Die lachen. Es wird vermittelt, dass selbstbewussten Frauen, wie Rebecca, nicht wirklich so etwas passieren kann. Die Popkultur zeigt Frauen, wie Rebecca, dass sie überreagieren, wenn sie sich als Opfer von Missbrauch darstellen. Denn andere haben es ja schlimmer. Und hier liegt das Problem, denn wenn Opfern gesagt wird, dass sie keine Opfer von Missbrauch sind, kann es dann sein, dass auch den Tätern gesagt wird, was sie tun ist kein Missbrauch?

„Love addiction is different, it doesn’t leave a trail of hurt people, but it eats up the addict. It can bugger up a person, they renounce everything in their life that doesn’t involve their partner, become obsessive, try to control everything.“

Rebecca hat Glück. Sie hat Freund:innen, bei denen sie unterkommen kann, als sie nach dem Bekanntwerden der Affäre Hals über Kopf aus der gemeinsamen Wohnung flieht. Freund:innen, die sie auffangen, ihr Raum geben, ihre Wut validieren und sie sogar in den Urlaub nach Paris einladen. Dieser Aspekt ist wahrscheinlich der einzige in dem Buch, der für viele Menschen, die eine ähnliche Erfahrung gemacht haben, fremd klingen wird. Rebeccas Sicherheitsnetz ist einzigartig. Und auch wenn sich viele Frauen in ihren Erzählungen wiederfinden mögen, so können wahrscheinlich die wenigsten sagen, dass sie in ein so festes Netz hätten fallen können. Die Einsamkeit und Isolation, die auf eine Trennung wie diese folgen können, fallen hier leider komplett unter den Tisch.

They rehearse that Sunday until nine in the evening and I wonder at what point does a series of rough patches become a cycle.

Die Antwort auf die Frage „Warum bist du geblieben?“ bleibt bis zuletzt ein komplexes Geflecht. Für mich besteht sie aus zwei Teilen: Zum einen, weil es (zumeist) Menschen trifft, die mir ihrem ganzen Herzen lieben. Die an das Gute in jedem Menschen glauben und die diejenigen, die ihnen am Herzen liegen, nicht aufgeben wollen. Zum anderen, weil sie sich so behandeln ließen. Weil bestimmte Erwartungen an Frauen in Beziehungen ihnen in die Wiege gelegt wurde. Weil es (leider) Schmerz und Trauer und ein gebrochenes Herz braucht, bevor die eigenen Grenzen festgesteckt werden. Damit sie nie mehr überschritten werden könnnen. Hier sehe ich einen großen Auftrag für Bildungsinstitutionen, Eltern, Jugendeinrichtungen und Lehrer:innen. Wir müssen jungen Mädchen beibringen, dass es rote Linien gibt, die nicht überschritten werden dürfen. Auch nicht im Namen der Liebe.

Das Buch nimmt die Leser:innen auf eine emotionale Reise durch Rebeccas Beziehung. Teilweise ist es schwer, die Szene zu lesen, in denen Rebecca mit Füßen getreten, ausgelacht oder niedergemacht wird. Doch es erhebt die Stimme für so viele Frauen (und Männer) auf dieser Welt, die ähnliche Situationen durchgemacht haben. Es bietet die Möglichkeit zur Identifikation und vor allem eröffnet es den Raum für eine Diskussion, wo es vorher nur beschämtes Schweigen gegeben hat. Niemand muss sich dafür schämen, eine toxische Beziehung nicht früher verlassen zu haben. Es ist in Ordnung über Misshandlung zu sprechen, auch wenn sie keine physische Gewalt beinhaltet. Auch psychische Gewalt ist Gewalt. Auch emotionale Gewalt, ist Gewalt. Rebecca Humphries macht mit Humor und scharfen Worten eins unmissverständlich klar: Ihr seid nicht allein. Wir hören euch.

Hier geht’s zum Buch Why did you stay?

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