Das Wort mit P

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Kommentar

Vor einigen Wochen erzählte mir eine Freundin von folgender Begegnung: Sie stand in der Schlange vorm Eingang eines bekannten Veranstaltungshauses in Berlin, wo an diesem Tag die Influencerin und Youtuberin Mirella von Mirellativegal mit ihrer ersten Comedyshow auftreten würde. Dabei überhörte sie ein Gespräch zweier junger Frauen, die sich hinter ihr über die bevorstehende Show unterhielten. „Es geht ja um Trash TV“, soll eine der Frauen zu ihrer Begleiterin gesagt haben, „aber wohl auch um ähm… dieses Wort mit P… vom Barbie Film.“ Kurzes Schweigen, bevor es ihr letztendlich doch noch einfällt. „Ach ja, Patriarchat.“ Sie lacht. „Keine Ahnung, ich kenne niemanden der solche Worte in den Mund nimmt.“

Das Wort mit P, dieses Patriarchat. Es liegt schwer im Mund, irgendwie ein bisschen sperrig, da kann man sich schon mal verhaspeln. Es scheint ein aus der Zeit gefallener Begriff zu sein. Den Patriarchen von damals, das Familienoberhaupt, das seine Frau kontrollierte und seine Töchter zwangsverheiratete, gibt es nicht mehr. Frauen dürfen heute wählen gehen, ein Bankkonto eröffnen, an der Bildung teilnehmen, Arbeiten so viel sie wollen, ein eigenes Gehalt verdienen und sogar in vielen Freibädern Oben Ohne baden gehen. Wir haben doch alles erreicht oder etwa nicht? Was können diese nervigen Feminist*innen, denn noch wollen? Die Unterdrückung und Entmündigung des Mannes etwa?

Das klassische Patriarchat mag, dank der unermüdlichen Kraft zahlreicher Aktivist*innen, verschwunden sein, seine Strukturen ziehen sich jedoch noch bis heute tief durch unsere Gesellschaft. Sie greifen so tief, dass es uns selbst manchmal schwer fällt, sie noch zu erkennen. Weil Jungen und Mädchen noch immer unterschiedlich erzogen werden, lebt das Patriarchat in uns alles weiter. Es endet nicht einfach, weil ältere Generationen wegsterben. Es ist ein Kulturgut, das von Generation zu Generation weitergegeben wird. Selbst neu verlegte Kinderbücher vermitteln noch heute stereotype Geschlechterrollen. Im Buch „100 Dinge, die ein Mädchen wissen muss“, wird kleinen Kindern beschrieben, wie sie schöne, glänzende Haare bekommen, wie sie den Tisch richtig decken, wie sie Wäsche zum Duften bringen und ob sie zu dünn oder zu dick seien. In der Version für Jungen steht hingegen, wie die kleinen Achtjährigen so schlau wie Albert Einstein werden können, oder wie man auf fünf Sprachen bis zehn zählt. Vom Spruch „Boys will be Boys“ muss ich gar nicht erst anfangen und von Mädchen, die ja „so reif für ihr Alter seien“, denen kochen, putzen und Wäsche machen beigebracht wird, während viele junge Männer, die mit anfang Zwanzig das Elternhaus verlassen, nicht einmal wissen, wie man etwas anderes als Nudeln mit Pesto zubereitet, auch nicht.

Erziehung und Bildung im frühen Kindes- und Jugendalter formt ein Verhalten, das sich später bis ins Erwachsenenalter ziehen wird. Wo Mädchen dazu erzogen werden, lieb zu lächeln und sich um andere zu kümmern, während Jungen beigebracht wird, immer der Stärkste zu sein, rücksichtslos nach Erfolg zu streben und keine Schwäche zu zeigen, werden Frauen geschaffen, die nicht Nein sagen können und Männer, die kein Nein akzeptieren. Und das öffnet Tor und Tür für Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Missbrauch.

Die gläserne Decke

Zum Weltfrauentrag schrieb Patricia Cammarata auf Twitter: „Meine liebsten Frauentagserinnerungen (2017): ‚Am Weltfrauentag sind heute in meinem Großraumbüro die Frauen alleine. Die Männer der Abteilungen sind geschlossen auf einer Führungskräftetagung.'“ Nur 23% betrug der Anteil an Frauen in Vorständen von DAX-Konzernen im Jahr 2023. In MDax Unternehmen sind es sogar nur 17,4%. Nur etwa ein Drittel der Hochschulprofessuren sind weiblich besetzt, obwohl die Anzahl der weiblichen Hochschulabsolventinnen und derer, die eine Promotion beginnen, deutlich über 45% liegt. Im Bundestag sind es 34,9%, dabei vertreten die Abgeordneten doch die Gesellschaft. Müssten dann nicht auch das Geschlechterverhältnis im Bundestag das der Gesellschaft widerspiegeln? Es ist eine gläserne Decke, gegen die Frauen und weiblich gelesene Menschen im Berufsleben stoßen. Auf dem Papier gibt es Chancengleichheit, in der Realität sieht das ganze jedoch anders aus. Frauen erhalten seltener Beförderungen als ihre männlichen Kollegen, bekommen noch immer 6% weniger Gehalt bei gleicher Position und Qualifikation und müssen sich noch immer zwischen Karriere und Familie entscheiden. Denn wer schwanger wird, verliert wichtige Zeit, sich zu qualifizieren, Kontakte zu knüpfen und sich zu beweisen. Wer schwanger wird, ist raus aus dem Spiel.

Hinzukommt, dass Frauen häufiger Kompetenzen abgesprochen werden. Juraprofessorin Maria Wersing erzählte in einem Interview: „Da hielt eine Kollegin einen grandiosen Vortrag. Und ich dachte: Na, die Leute in der Auswahlkommission müssen aber beeindruckt sein. Und dann sagte ein Mann aus der Kommission nur ganz trocken: ‚Auf das Thema sind Sie doch bestimmt durch Ihren Mann gekommen – der ist ja Notar.‘“ Wer es dennoch schafft, sich entgegen aller Hindernisse nach oben zu arbeiten, der steht dann leider direkt vor dem nächsten Berg ungerecht verteilter Aufgaben.

Fürsorge

Sorgearbeit wird heute noch immer der Frau zugeschrieben, auch, wenn sich die Zeiten, in denen Frauen allein für den Haushalt verantwortlich und Männer die Familienernährer waren, schon längst geändert haben. Die Zeitverwendungserhebung aus dem Jahr 2022 ergab, dass Frauen pro Woche 30 Stunden unbezahlte Arbeit verrichten, während es bei Männer 21 Stunden sind. Das sind 9 Stunden pro Woche, die ein Mann mehr Zeit zu seiner freien Verfügung hat als eine Frau.
Neun Stunden.

Zudem sind 52% der 18 bis 35jährigen aus der Umfrage zur Männlichkeit 2023 ist der Meinung, der Haushalt sei alleinig Verantwortung der Frau. Um sich aus der unangenehmen und dazu noch unbezahlten Arbeit zu entziehen, greifen Männer auf verschiedene Strategien zurück. Unter TikTok Videos wird sich ausgetauscht, wie man sich am besten vor dem Putzen und Wäsche machen drücken könne. Die Lösung: Sich dumm stellen. Und das ist völlig ernst gemeint.

„Weaponized Incompetence“ wird das Verhalten genannt, bei dem ein Partner absichtlich fehlendes Wissen oder Inkompetenz vortäuscht, um bestimmte Aufgaben nicht übernehmen zu müssen. Das kann so weit gehen, dass die Person absichtlich Dinge kaputt oder falsch macht, damit sie nicht wieder mit diesen Aufgaben betraut werden. Wenn sich die Frauen dann (zurecht!) beschweren, werden sie als nervig beschrieben. Ach ja, der gute alte Witz über die nervtötende Frau zuhause, die nur meckert und nörgelt, wenn der Mann doch einfach in Ruhe sein Feierabendbier trinken möchte. Wir alle haben ihn schon hundertmal gehört. Vergessen wird dabei jedoch, dass die Frau meist selbst einer Lohnarbeit nachgegangen ist. Niemand fragt sie, ob sie sich nicht lieber mit einem Bier auf die Couch setzen möchte, anstatt einzukaufen, zu kochen und das Bad zu putzen.

Frauen werden an einen Doppelstandard gehalten, der unmöglich zu erfüllen ist. Frauen mit Kindern sind Vollzeitmütter, während Väter „babysitten“. Wenn eine Frau ihr Kind vom Fußballtraining abholt, sagt niemand: „Toll, wie sehr du dich um dein Kind kümmerst.“ Wenn eine Frau neben ihrer Familie versucht, Karriere zu machen, ist sie eine abwesende Mutter. Wenn ein Mann neben der Familie Karriere macht, ist er ein involvierter Vater. Frauen machen Hausarbeit, während Männer fragen, wie sie „helfen“ können und sich dann besonders feministisch fühlen, weil sie haben ja heute den Abwasch gemacht. Dass die Sorge um einen gemeinsamen Haushalt gleichberechtigt zwischen beiden Partner:innen aufgeteilt werden sollte, dass nicht ein Teil verantwortlich ist und einer „hilft“ und dass man auch selbstständig überlegen könnte, was noch gemacht werden muss, scheint in vielen Köpfen nicht präsent zu sein.

Aufgrund der unfair verteilten Sorgearbeit, arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit und bekommen dadurch weniger Rente. 53% der Frauen beziehen eine Rente von unter 1.250€ und sind damit von Altersarmut betroffen, bei den Männern sind es nur 28%. Es gibt verschiedene Lösungsansätze für dieses Problem, doch davon wollen die Vielverdiener natürlich nicht gerne hören. Ausgleichszahlungen des mehrverdienenen Partners, ein bedingungsloses Grundeinkommen, oder die Aussetzung des Ehegattensplittings, einem Relikt aus Zeiten, in denen es noch einen Hauptverdiener (und ich gendere hier bewusst nicht) gab, dessen alleiniges Einkommen eine Familie versorgen konnte. Diese Zeiten sind lange vorbei. Dennoch bevorzugt die deutsche Besteuerung Paare, in denen ein Teil deutlich mehr verdient als der andere. Aus diesem Grund lohnt es sich für viele Frauen schlichtweg nicht, mehr als einen Teilzeitberuf auszuüben. Durch das Ehegattensplitting und dadurch, dass wir in Deutschland grunsätzlich falsch besteuern, nähmlich Arbeit anstatt Vermögen, nehmen wir Frauen und anderen Menschen in Geringverdienerjobs den Anreiz, mehr zu arbeiten. Etwas, das sich von der Politik doch eigentlich so sehr gewünscht wird.

Gewalt

Die Umfrage zur Männlichkeit aus dem Jahr 2023 hat allerdings nicht nur ergeben, dass junge Männer gerne ihre Partnerinnen am Herd stehen hätten, sie hat auch gezeigt, dass diese Männer der Meinung sind, Gewalt gegen Frauen sei okay. 33% gaben an, es sei „akzeptabel“, wenn ihnen im Streit mit der Partnerin gelegentlich „die Hand ausrutscht“. 34% seien gegenüber Frauen schon mal handgreiflich geworden, um ihnen Respekt einzuflößen. Diese Zahlen erschrecken, überraschen tun sie aber nicht.

Etwa jeden dritten Tag stirbt eine Frau durch die Gewalt ihres Partners. Femizide sind keine Seltenheit. Genauso wenig wie sexuelle Belästigung, sexualisierte Gewalt und Vergewaltigungen. Im Jahr 2022 wurden 11.896 Fälle von Vergewaltigung und sexueller Nötigung in Deutschland polizeilich erfasst. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher sein. Täter sind fast ausschließlich Personen aus dem näheren Umfeld des Opfers.

Wir leben in einer Gesellschaft, die einen systemisch patriarchalen Blick auf die Frau hat, die sie immer als minderwertig gegenüber dem (heteronormativen) Mann sieht. Diese tief systemische Ungleichheit ist der Grund dafür, dass Frauen schlechter medizinisch versorgt werden und wahrscheinlicher an einem Herzinfarkt sterben. Es ist der Grund dafür, dass Periodenschmerzen nicht ernst genommen werden, obwohl sie so schmerzhaft sein können wie ein Herzinfarkt. Es ist der Grund, dass Homeoffice während der Corona Pandemie für Frauen eine doppelte Belastung darstellte und tradierte Frauenbilder zurück an die Oberfläche gezerrt wurden, die wir schon so lang als begraben erachteten. Es ist der Grund dafür, dass Abtreibung noch immer im Strafgesetzbuch steht. Es ist der Grund dafür, dass Frauen Gewalt erleben. Jeden Tag. Wir leben in einer Gesellschaft, die Frauen nicht besonders mag. Und das allein ist zutiefst patriarchal.

Vielleicht reden wir nicht genügend über das Wort mit P. Vielleicht hat Barbie uns einen Gefallen getan und dieses Wort, das sich so unangenehm sperrig im Mund anfühlt, wieder mehr in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerückt. Barbie, der Film, der von (überwiegend) Männern gehasst und niedergemacht wurde, während sich so viele Frauen auf der ganzen Welt in America Ferreras Monolog am Höhepunkt des Filmes wiederfanden. Der Film, für den Greta Gerwig, eine der begabtesten Filmemacherinnen unserer Zeit, wieder einmal für kaum einen Preis nominiert wurde. Für dessen Titelsong, nicht Billie Eilish einen Golden Globe gewann, sondern Ryan Gosling für den Song „I’m just Ken“. Wir brauchen Filme wie Barbie und wir brauchen das Wort mit P um auf die fortbestehenden Missstände in unserer Gesellschaft hinzuweisen. Anschaulicher geht es kaum.

„Es ist buchstäblich unmöglich, eine Frau zu sein. Du bist so schön und so klug, und es macht mich fertig, dass du denkst, du bist nicht gut genug. Wir müssen immer außergewöhnlich sein, aber irgendwie machen wir es immer falsch.

Man muss dünn sein, aber nicht zu dünn. Und man darf nie sagen, dass man dünn sein will. Man muss sagen, man will gesund sein, aber man muss auch dünn sein. Du musst Geld haben, aber du kannst nicht nach Geld fragen, denn das ist krass. Du musst eine Chefin sein, aber du darfst nicht gemein sein. Du musst anführen können, aber du darfst die Ideen anderer nicht unterdrücken. Du musst es lieben, Mutter zu sein, aber darfst nicht die ganze Zeit über deine Kinder reden. Du sollst eine Karrierefrau sein, aber auch immer auf andere Menschen aufpassen. Man muss für das schlechte Verhalten von Männern einstehen, was verrückt ist, aber wenn man darauf hinweist, wird man beschuldigt, sich zu beschweren. Du sollst für die Männer hübsch bleiben, aber nicht so hübsch, dass du sie zu sehr in Versuchung führst oder andere Frauen bedrohst, denn du sollst ein Teil der Schwesternschaft sein. Aber du sollst immer herausstechen und immer dankbar sein. Vergiss aber nie, dass das System manipuliert ist. Finde also einen Weg, das anzuerkennen, aber sei auch immer dankbar. Du darfst nie alt werden, nie unhöflich sein, nie angeben, nie egoistisch sein, nie hinfallen, nie versagen, nie Angst zeigen, nie aus der Reihe tanzen. Das ist zu schwer! Es ist zu widersprüchlich und niemand gibt dir eine Medaille oder sagt danke! Und es stellt sich heraus, dass du nicht nur alles falsch machst, sondern auch alles dein Fehler ist.

Ich habe es einfach so satt, mir und jeder anderen Frau dabei zuzusehen, wie sie sich selbst verknotet, damit die Leute uns mögen. Und wenn all das sogar auch auf eine Puppe zutrifft, die nur Frauen repräsentiert, dann weiß ich auch nicht weiter.“

America Ferrera in Barbie, 2023

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