Belfast – Ein Fenster in die Vergangenheit Nordirlands

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Bevor ich im vergangenen Monat das erste Mal in meinem Leben in Belfast, der Hauptstadt Nordirlands war, hatte ich kaum Vorstellungen zu ihr. Mit einem vagen Wissen zu den Konflikten, die die irische Insel in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts erschütterten, erwartete ich zwar geschichtlich eine nette Reise, was mich dann aber erwartete, war weitaus faszinierender und bedrückend zu gleich.

Als Irland 1541 zu einer britischen Kolonie wurde, begann eine jahrhundertelange Unterdrückungsgeschichte der mehrheitlich katholisch geprägten Gesellschaft in Irland. Die irische Bevölkerung wurde systematisch ausgenutzt und unterdrückt. Beispielsweise durch die Enteignung ihres Lands. Über die Jahrhunderte wuchs der Konflikt zwischen der katholische-irischen und der protestantisch-britischen eingewanderten Bevölkerung immer weiter an, bis schließlich im Jahr 1921 nach vielen Jahrzehnten gewalttätiger Auseinandersetzung die Insel in die Republik Irland und Nordirland unterteilt wurde. Damit erlangte zwar die Republik ihre Unabhängigkeit, doch Nordirland gehörte fortan zum Vereinten Königreich Großbritannien. Nordirland ist historisch protestantisch geprägt, denn dort wanderten viele britische Emigrant*innen nach der Einnahme im 16. Jahrhundert hin aus, während die Republik noch immer stark katholisch geprägt ist.

Die Aufteilung führte jedoch nicht zu einem langanhaltenden Frieden zwischen den beiden verfeindeten Gruppen. Die stark gegensätzlichen politischen und religiösen Ideologien sowie die geteilte kolonialistische Geschichte der beiden Länder und ihrer Bevölkerung waren das Pulverfass, dass während den gewalttätigen Auseinandersetzungen der Troubles explodierte und tausende Leben kostete. Diskriminierung und Ausgrenzung der in Nordirland lebenden katholisch-irischen Bevölkerung war allumfassend. Dies äußerte sich durch beispielsweise einen stark erschwerten Zugang zu Arbeit und Wohnen. Über die Jahrzehnte wuchsen die Spannungen vor allem in nordirischen Städten wie Belfast und Derry und in Grenzregionen zur Republik an. Der Konflikt zwischen den Katholik*innen und Protestant*innen eskalierte 1968, als in Derry ein friedlicher Protest katholisch-irischer Bürger*innen gegen die anhaltende Diskriminierung mit extremer Brutalität durch die Polizei niedergeschlagen wurde. Diese Eskalation wird als möglicher Startpunkt der Troubles gesehen, die noch weitere 30 Jahre andauern sollten. Diese Zeit von 1968 bis 1998 wurde durch unzählige, teilweise extrem blutige Angriffe von beiden Seiten gekennzeichnet. Während dieser Zeit zeichnete sich eine Gruppe, die Irish Republican Army (IRA), durch ihre sehr hohe Gewaltbereitschaft aus. Während den Troubles verübten sie zahlreiche Attentate und Anschläge bei denen viele hunderte Menschen ihre Leben verloren.

Das Good Friday Agreement, unterschrieben im Jahr 1998, beendete dann vor allem die brutalen Auseinandersetzungen. Doch auch im Jahr 2024, fast 26 Jahre nach dem Friedensabkommen, sind Belfast und seine Einwohner*innen noch immer stark gespalten. Die 1969 errichteten, 25 Meter hohen Peace Walls, die bestimmte protestantische und katholische Stadtteile voneinander trennen, stehen noch heute und sind symbolisch für die Gespaltenheit der Gesellschaft. Noch immer werden die Tore um die protestantischen Gemeinden jeden Abend um 19 Uhr abgeriegelt. Geöffnet werden sie dann erst wieder am nächsten Tag um 7 Uhr. Trotz des Friedensabkommens werden diese Maßnahmen noch immer ergriffen. Seit dem Krieg zwischen Israel und der Hamas in Palästina, haben sich die Fronten in Nordirland erneut verhärtet. Irland sicherte Palästina Unterstützung zu. Dabei spielt die geteilte Geschichte vom Kampf gegen Unterdrückung durch Dritte eine entscheidende Rolle. Damit stellt sich Irland als einziges Land der EU gegen den Trend anderer westlicher Länder, die Israel ihre Unterstützung zusicherten. Die Solidarity Wall in der Falls Road ist der Solidarität mit der Bevölkerung in Palästina gewidmet (siehe Bild).

Falls Road ist eine der Hauptverkehrsadern in Belfast und war auch einer der Hauptschauplätze der Troubles. Die Straße verläuft durch einen katholisch-irischen Teil der Stadt. Das Pendant dazu ist die Gegend rund um die Shankill Road, die überwiegend protestantisch-britisch geprägt ist.

An vielen Stellen sind sowohl die Peace Walls als auch Wände von Wohnhäusern oder anderen Gebäuden mit Wandbildern bemalt, die beispielsweise eine bestimmte Auseinandersetzung oder eine Erinnerung an gefallene Kämpfer*innen oder Zivilist*innen zeigen. Je nach dem wo man sich befindest, also in einem katholisch oder protestantisch geprägten Wohnviertel, sieht man gegensätzliche Darstellungen von Vorkommnissen. Wo die katholisch-irische Bevölkerung, besonders Kämpfer*innen der IRA zu Held*innen machen, beklagen die Protestant*innen gefallene Soldat*innen der britischen Armee. Besonders einem Helden sind viele Darstellungen auf katholisch-irischer Seite gewidmet: Bobby Sands. Er war unter anderem ein IRA Kämpfer, der in britischer Gefangenschaft durch die Folgen eines Hungerstreiks starb.

In einem der protestantischen Viertel, wird die Loyalität zum britischen Königshaus besonders deutlich, denn dort ziert ein großes Wandbild von King Charles die Wand.

Nicht nur die getrennten Stadtviertel sind ein Hinweis auf die Spaltung in Belfast, auch ein Blick auf die Schulen verrät einiges über die verhärteten Fronten. Rund 93% der Schüler*innen gehen auf nach Religion getrennte Schulen. Nur etwa 7% auf religiös gemischte Schulen. Es scheint, als ob besonders in der Bildung die Annäherung zwischen beiden Gruppen nur sehr schleppend vorangeht. Schulen, die normalerweise einen Ort der Vielfalt darstellen sollten, in denen Akzeptanz und Toleranz durch ein gemeinsames Miteinander gefördert wird, bleiben hier verhärtete Fronten. Religiös „gemischte“ Schulen werden oft nur durch Initiative von Eltern und kaum durch Handeln aus der Politik eröffnet. Schon sehr früh in dem Leben eines Kindes werden klare Grenzen zwischen „Uns und den Anderen“ aufgezeigt, die Bemühungen zu Annäherungen zu einem späteren Zeitpunkt erschweren können.

Wenn man an bedeutsame Städte innerhalb Europas denkt, denkt man wahrscheinlich nicht als erstes an Belfast. Doch diese Hauptstadt mit rund 340.000 Einwohner*innen, ist noch immer in der Vergangenheit gefangen. Hier treffen die Lebensrealitäten der katholisch-irischen und protestantisch-britischen Gesellschaft aufeinander und zeigen vor allem in den Wohnvierteln außerhalb der Innenstadt und im Schulwesen die Spaltung der Bevölkerung auf. Mich hinterließ dieser Besuch mit einem besseren Verständnis für den Konflikt, der immer noch brodelt, aber vor allem mit einem bedrückenden Gefühl der Hilflosigkeit in einer so verfahrenen Auseinandersetzung, die unlösbar scheint. Nicht zuletzt entsteht dieses Gefühl, weil schon so früh im Leben der Bewohner*innen eine Entfremdung geschieht. Besonders in der Bildung sollte eine Annäherung priorisiert werden, um junge Generationen zu vereinen, um die Möglichkeit für einen friedlicheren Weg in die Zukunft zu eröffnen.

Ob es in den nächsten Jahrzehnten ein vereintes Irland geben kann, ist nicht ausgeschlossen. Politisch könnte eine Annäherung zwischen Nordirland und der Republik stattfinden, denn auch in der Republik wird dieses Jahr gewählt. Sollte Sinn Féin, eine Partei, die seither für die Wiedervereinigung Irlands kämpft, die Mehrheit gewinnen, wäre eine geschichtsträchtige Annäherung geschafft, denn mittlerweile ist die Partei stärkste Kraft Nordirland, seit sie 2022 einen historischen Sieg feierte. Eine Wiedervereinigung der gut sieben Millionen Einwohner*innen der irischen Insel, könnten vielleicht deshalb in den nächsten Jahrzehnten in den Karten stehen.

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