Myanmar – Der Weg zurück in die Diktatur

Gepostet von

von Joshua Scherer, Psychologiestudent und ausgebildeter Intensivkrankenpfleger

Als ich im Frühjahr 2018 meine Berufsausbildung erfolgreich beendete, entschloss ich mich, wie viele andere, durch Asien zu reisen. Aufgrund besorgter Ratschläge von Freund:innen und Familie strich ich Myanmar allerdings von meinem Reiseplan. Ich selbst war gar nicht wirklich davon überzeugt, dass es eine echte, ernstzunehmende Bedrohung dort geben konnte. Mit einer gewissen westlichen, wohlbehüteten Arroganz dachte ich mir innerlich: „Ach, lass sie reden, so schlimm kann die politische Lage doch nicht sein. Myanmar ist ja schließlich ein demokratisches Land.“

Heute, ziemlich genau drei Jahre nach meiner Reise durch Asien, erlebt das Land Myanmar einen militärischen Putsch. Dies zeigt leider einmal mehr, dass die, für westlich zivilisierte Bürger:innen so selbstverständliche, Demokratie fragiler und schützenswerter ist, als die Meisten von uns denken. Wie konnte es dazu kommen, dass eine Demokratie abgeschafft wird, in welcher eine Friedensnobelpreisträgerin (Aung San Suu Kyi) regiert? Oder muss man sich sogar fragen: War es überhaupt eine Demokratie?

Um die Lage und die Menschen in Myanmar besser zu verstehen, ist es hilfreich einen Blick in die Historie des Landes zu werfen.

Bis zu Beginn des zweiten Weltkrieges war Myanmar, wie die meisten Staaten in Südostasien, unter Kolonialherrschaft. Die Menschen litten unter der stark suppressiven Regierung der britischen Kolonialmacht. Während des zweiten Weltkrieges wurde Myanmar ein weiteres Mal fremdbestimmt regiert und von der faschistischen japanischen Regierung als Marionettenstaat missbraucht. Gegen Ende des zweiten Weltkrieges gewann die kommunistische Gegenbewegung „Anti-Fascist People’s Freedom League“ (APFL) unter Ihrem Anführer Aung San an Bedeutung. Dessen Einfluss auf die Bevölkerung konnte nach Ende des zweiten Weltkrieges von der nun abermals britischen Besatzungsmacht nicht mehr ignoriert werden, sodass Aung San 1945 zum Regierungschef ernannt wurde. Aung San fiel zwei Jahre später jedoch einem Attentat zum Opfer, was zur Folge hatte, dass er  von der myanmarischen Bevölkerung heute als Nationalheld gefeiert wird.

Nachdem Myanmar 1948 die Unabhängigkeit erlangte, betrat das Land sinnbildlich neuen Boden und erlebte die erste demokratische Phase, welche bis 1962 andauerte. Diese 14jährige demokratische Phase war jedoch aufgrund der Vielzahl ethnischer Gruppen und immer wieder aufkommender kommunistischer und militärischer Bewegungen von starken Unruhen geprägt. Nach einem Militärputsch im März 1962 befand sich Myanmar bis 2015 in einer militärisch geführten Diktatur. Während dieser Diktatur gelang es dem Militär Myanmars, das Land außenpolitisch beinahe vollständig von der Welt abzuschirmen. Die Bürger:innen des Landes wussten nun jedoch aufgrund der vorangegangenen demokratischen Phase, dass eine fremdbestimmte, stark suppressive Regierung nicht alternativlos war. So kam es, dass während der langen und brutalen Militärherrschaft politische Gegenstimmen immer lauter wurden, obgleich das Militär diese mit Versammlungsverboten und Gewalt niederzustrecken versuchte.

In den späten 80er Jahren gründete Aung San Suu Kyi, die Tochter des ermordeten Nationalhelden Aung San, trotz der widrigen Umstände die NLD (Nationale Liga für Demokratie). Der wachsende Wunsch nach Demokratie in den Köpfen der Menschen führte in den ersten freien Wahlen 1990 sogar zu einem Wahlsieg der NLD. Dieser wurde von der militärischen Regierung jedoch nicht anerkannt. Selbst wenn der Sieg anerkannt worden wäre, hätte Aung San Suu Kyi diesen nicht feiern können. Sie wurde vom Militär von 1988 bis 1995 unter Hausarrest gestellt. Als Sie 1991 für Ihre demokratischen und sozialen Bemühungen im Land den Friedensnobelpreis erhielt, konnte Sie diesen wegen des Hausarrestes nur stellvertretend von ihrem Mann und ihren Kindern entgegennehmen lassen. Bis zu Ihrer endgültigen Entlassung 2010, sollte Aung San Suu Kyi insgesamt 15 Jahre im Hausarrest verbringen.

Aufgrund des steigenden internationalen Drucks zur Demokratisierung des Landes und anhaltenden Protesten der Bürger:innen Myanmars, kam es 2015 erneut zu freien Wahlen.

Bei diesen erreichte die NLD einen Erdrutschsieg und erhielt weit über die Hälfte der Sitze im Unter- und Oberhaus. Diesmal sah sich das Militär gezwungen den Wahlsieg anzuerkennen, sicherte sich mittels geschickter Klauseln in der Verfassung jedoch weiterhin große Mitbestimmungsrechte in der Politik. So wurde zum Beispiel in der Verfassung verankert, dass in beiden Parlamentskammern mindestens ein Viertel der Sitze durch das Militär besetzt werden muss. Auch weist sie den Angehörigen des Militärs automatisch die Positionen des Innenministers, des Verteidigungsministers und des Ministers für Grenzfragen zu. Allen Mitbestimmungsrechten des Militärs zum Trotz, war Aung San Suu Kyi jedoch von 2015 bis 2020 De-facto Regierungschefin. Bei erneuten Wahlen im November 2020 konnte die NLD abermals die Mehrheit der Parlamentssitze für sich gewinnen, während die militärnahe Union Solidarity and Development Party (USDP), weit abgeschlagen nur 33 von 476 Parlamentssitzen erhielt. Dieses Mal wollte das Militär den Wahlsieg nicht anerkennen und sprach daher von Wahlbetrug, konnte hierfür jedoch keine Beweise vorlegen. Als sich das Parlament nun am 1. Februar 2021 zur ersten konstituierenden Sitzung treffen wollte, kam es zum Staatsstreich. War der Militärputsch also abzusehen?

Die Wiederwahl von Aung San Suu Kyi und ihrer Partei 2020 bestätigte das ungebrochene Vertrauen der Bevölkerung in sie. Doch, dass das Vertrauen zu Aung San Suu Kyi in der Bevölkerung ungebrochen scheint, ist keinesfalls selbstverständlich. Seit mehreren Jahrzenten wird in Myanmar die muslimische Minderheit der Rohingya vom Militär systematisch verfolgt und vertrieben. Als Aung San Suu Kyi das Land im Jahr 2019 stellvertretend vor dem UN-Gerichtshof bezüglich des Genozids vertreten sollte, stellte diese sich auf die Seite des Militärs und leugnete den Genozid an den Rohingya. Außerhalb der Landesgrenzen Myanmars hagelte es daraufhin scharfe Kritik an Aung San Suu Kyi. Innerhalb des Landes jedoch wurde Sie weiterhin als ungebrochene Freiheitskämpferin und Ikone gefeiert, was als Tochter des Nationalhelden Aung San auch mit Ihrer Familiengeschichte zu tun haben könnte. Dieses schier uneingeschränkte Vertrauen der myanmarischen Bevölkerung in Aung San Suu Kyi, könnte dem Militär Anfang Februar also eine zu große Bedrohung geworden sein. Auch, dass der Oberbefehlshaber des Militärs, Min Aung Hlaing, aufgrund seines hohen Alters per Gesetz im Sommer dieses Jahres hätte in Rente gehen müssen, wurde mit dem Militärputsch verhindert und somit seine Macht bewahrt. Durch seine schwindende Macht hätte dieser sich zudem vermutlich für den Genozid an den Rohingya vor Gericht verantworten müssen.

Doch stellt sich die Frage, ob die Militärs in Myanmar einen klaren Fahrplan für das Land haben.

Etwas mehr als einen Monat nach dem Militärputsch in Myanmar scheint sowohl der Wille des Volkes nach Freiheit als auch der Wille des Militärs nach totalitärer Kontrolle ungebrochen. Zahlreiche Menschen wurden getötet und weit mehr Menschen verletzt oder in ihrer Freiheit eingeschränkt. Gleichwohl zieht es die Menschen weiterhin für Demonstrationen auf die Straßen. Doch während das Militär den Krieg auf den Straßen Myanmars mit Waffengewalt dominieren kann, scheint es so, als hätten sie den Medienkrieg bereits verloren. So gelingt es den Demonstrant:innen, trotz Abschaltung von Facebook und Telefonleitungen, Bilder von den Gräueltaten des Militärs zu verbreiten. Auch unabhängige Medien berichten mittels moderner Technik und Satelliten mutig weiter. Es wirkt so, als hätte das Militär sowohl die stärkere Entschlossenheit der Menschen als auch die besseren technischen Möglichkeiten unterschätzt. Was 1962 beim ersten Militärputsch noch problemlos funktioniert haben mag, wird heute zum Problem für die Militärs und scheint ein verzweifelter Griff nach Macht. Dieser forderte bereits über 1000 Verletzte und fast 50 Tote. Vergangenen Montag kamen mindestens zwei männliche Demonstranten vor einer katholischen Kirche ums Leben, als mit scharfer Munition auf die demonstrierende Menge geschossen wurde. Am Ende bleibt die bittere Aussicht auf eine Militärdiktatur ohne Rechtsstaatlichkeit, da ein Land ohne den Rückhalt der Bürger:innen wohl nur schwer legitim regiert werden kann.

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